10. Båstad Marathon

29.06.2019

Vorher

Irgendwann im März dieses Jahres fragte meine Freundin mich, ob sie Ende Juni zusammen mit ihren Fußball-Mädels für ein verlängertes Wochenende nach Mallorca reisen solle. Da sie sich schon seit Längerem etwas mehr Zeit mit ihrer Clique wünschte, bot Mallorca eine gute Möglichkeit. Ich hingegen war mir sicher, diese Tage für ein etwas verrückteres Marathon-Projekt nutzen zu wollen.

Mir schwebte eine abenteuerliche Reise vor, die meine Freundin womöglich nicht oder nicht so gern mitgemacht hätte. Und so forschte ich in ganz Europa und verglich Preise von Bus, Bahn und Flügen. Letztlich fiel die Wahl auf Schweden, wo ich noch nie zuvor gewesen – geschweige denn einen Marathon gelaufen – bin. Dieses Land bot verhältnismäßig wenig Veranstaltungen über die Königsdistanz und doch passte es mit dem diesjährigen Båstad Marathon nahezu perfekt. Der beliebte Lauf um die Bjäre-Halbinsel herum findet alljährlich am Samstag nach dem Midsommer-Wochenende statt, also an einem der längsten Tage des Jahres.

Am 21.03.2019 machte ich Nägel mit Köpfen und buchte die Hin- und Rückfahrt von Hamburg nach Helsingborg. Mein eigentliches Ziel lag noch weitere 60 km nördlich davon, war aber mit dem Zug vor Ort gut erreichbar. Die besagten Fahrten buchte ich mit FlixBus so, dass ich am Freitag um 17:45 Uhr starten und am Samstag um 02:05 Uhr nachts in Helsingborg ankommen sollte, bevor es am frühen Sonntagmorgen um 04:15 Uhr in acht Stunden wieder zurück nach Hamburg gehen würde. Diese nächtlichen Fahrten kosteten mich zusammen 46,78 € und ersparten mir gleichzeitig zwei Hotelübernachtungen.

In den geplanten 26 Stunden in Schweden – von SA 02:05 Uhr bis SO 04:15 Uhr – wollte ich einen der schönsten Marathons Skandinaviens absolvieren. Selten gibt es hier Veranstaltungen dieser Größenordnung, die über einen attraktiven Ein-Runden-Kurs ausgetragen werden. Zudem galt Båstad bei Marathon-Sammlern als Geheimtipp, was meine Neugier noch weiter entfachte. Mit großem Interesse hatte ich zuvor den Bericht auf LaufReport.de gelesen, der die Veranstaltung nicht nur spannend beschrieben, sondern ebenso reizvoll bebildert hat.

Den Marathon-Startplatz buchte ich erst am 20.05.2019 und bezahlte hierfür umgerechnet 55,47 €. Für diese wunderschöne Landschaft, gute Verpflegung, eine Finisher-Medaille sowie Finisher-Mütze kann man nicht meckern. Ganz im Gegenteil: Ein besseres Preis-Leistung-Verhältnis werde ich in Skandinavien wohl nirgends finden. Mit über 5 Wochen Vorlauf war alles soweit eingetütet und die Vorfreude konnte weiter steigen.

Nur leider fiel mir das Training extrem schwer, da ich beruflich sehr häufig und lange eingespannt war. Neben anstrengenden Tagungen mit Vor- und Nachübernachtungen gab es auch im Büro selten vor 19 Uhr Feierabend. Somit kam ich im Mai auf insgesamt 230 Kilometer und im Juni gerade mal auf 184 Kilometer. Die Erwartungen mussten somit runtergeschraubt werden: Während in Båstad im letzten Jahr zwei Läufer deutlich unter 3 Std. geblieben sind und der Dritte länger als 03:10 Std. brauchte, nahm ich mir eine Top-3-Platzierung und die 03:10 Std. als zeitliches Ziel vor.

Schon einige Tage vor diesem sportlichen Wochenende war meine Vorfreude so groß, dass ich täglich ein paar meiner Klamotten und Materialien bereitlegte. Sie sollten alle in einen Rucksack passen, damit ich ohne allzu viel Ballast und mit freien Händen unterwegs sein konnte. Für die zwei kurzen Nächte im Bus, die mir bevorstanden, mussten mein Nackenhörnchen und eine dünne Decke ausreichen.

Am besagten Freitag kam ich mit vollgepacktem Rucksack ins Büro, wo ich mich nach getaner Arbeit schnell umzog und um 16:30 Uhr den Weg zum Omnibusbahnhof einschlug. In Hauptbahnhofnähe gönnte ich mir zur Feier des Tages nicht nur eine Portion Bratnudeln mit Erdnusssoße, sondern gleich zwei. Immerhin musste diese besondere Pasta-Party meinen Hunger bis in die frühen Morgenstunden hinein stillen. Für den Folgetag nahm ich sicherheitshalber zwei Fertig-Sandwiches, eine Banane und zwei große Wasserflaschen mit. Man konnte ja nie wissen, wo man zu welcher Zeit landete und ob es dort etwas Leckeres zu kaufen gab.

Bei ca. 30°C freute ich mich allmählich auf die hoffentlich funktionierende Klimaanlage im Bus, der wiederum pünktlich um 17:45 Uhr angerollt kam. Als der Fahrer ausstieg und den mindestens 50 Fahrgästen mitteilte, er würde nur bis Malmö fahren, sank die Vorfreude und Zuversicht auf eine reibungslose Reise rapide. Malmö lag eine knappe Stunde von meinem ursprünglichen Ziel entfernt und sollte um 01:15 Uhr erreicht sein. Wie es von dort weitergehen sollte, wusste niemand so genau. Der Fahrer gab auch keine weitere Info von sich und verwies nur auf „technische Probleme“, die die Weiterfahrt unmöglich machten. Wir mussten es riskieren und auf einen Ersatzbus ab Malmö hoffen.

Als einer der wenigen ergatterte ich einen Doppelplatz für mich allein, sodass ich mich entspannt ausbreiten und gut gesättigt ein Nickerchen halten konnte.

Noch vor der ersten Fähre von Puttgarden nach Rødbyhavn in Dänemark erreichte mich die zweite Hiobsbotschaft: Meine FlixBus Rückfahrt wurde storniert und durch eine knapp acht Stunden spätere Fahrt ersetzt (Abfahrt um 11:55 Uhr). Na toll, das bedeutete einen kompletten, sonnigen Tag auf den Straßen zu verbringen. Außerdem brauchte ich nun doch eine Unterkunft, denn am Bahnhof oder unter der Brücke wollte ich ungern schlafen.

Und so nutzte ich die knapp 45 Minuten auf der Fähre, in der wir nicht im Bus verbleiben durften, um mich bei Booking.com und AirBnb nach bezahlbaren Zimmern umzuschauen. Erst da bemerkte ich, wie teuer das Leben in Schweden sein kann, denn eine Nacht für eine Person für unter 70 € war zunächst nicht zu finden. So viel zahle ich sonst für zwei Personen. Doch dann entdeckte ich bei AirBnb ein Zimmer in einer privaten Wohnung zweier junger Leute, die nur wenige hundert Meter von Helsingborgs Busbahnhof entfernt war. Die akzeptablen 54,72 € waren natürlich das Hauptargument.

Mit Erreichen Dänemarks fand die erste Polizeikontrolle statt, in der unter anderem ein Fahrgast aufgrund eines unplausiblen Passes den Bus verlassen und zurückreisen musste. Für mich war die Weiterfahrt endlich mit einem zweiten Nickerchen verbunden. Zwischen 22:00 Uhr und 00:30 Uhr war das auch gut möglich, bis wir beim zweiten Grenzübergang von der schwedischen Polizei kontrolliert wurden. Das bedeutete, dass wir nicht mehr allzu weit von Malmö entfernt waren. Wie es dort weitergehen sollte? – Ich wusste es immer noch nicht.

Um 01:00 Uhr kamen wir an und alle verließen tatsächlich den Bus. Die Hälfte der ausgestiegenen Fahrgäste strömte recht zielstrebig in alle Himmelsrichtungen, die andere Hälfte, zu der auch ich zählte, stand etwas ratlos rum. Als mir jemand mitteilte, er habe eine SMS von FlixBus erhalten, fiel mir ein, dass ich die optionale Handynummer diesmal nicht angegeben hatte. Und in dieser SMS hieß es, wir sollten uns ein Hotelzimmer buchen, das von FlixBus bis maximal 80 € zurückerstattet wird. Eine Weiterfahrt solle es erst am nächsten Morgen um 06:30 Uhr geben.

Für mich ergab sich nach kurzem Überlegen folgende Lösung: Ich suche bei Booking.com nach dem günstigsten Zimmer in nächster Umgebung, quartiere mich für ein paar Stunden ein und nehme am nächsten Morgen den Zug, der direkt nach Båstad durchfahren würde. Leider hatten die zwei günstigsten noch verfügbaren Hotels keine 24-Stunden-Rezeption, sodass ich schließlich um 01:30 Uhr im noblen 4*-Hotel Scandic Kramer landete. Die Differenz zwischen den besagten 80 € und den zu zahlenden 94 € würde ich selbst tragen müssen, na gut.

Endlich konnte ich mich etwas frisch machen, mir die Zähne putzen und mich komplett ausgestreckt aufs Bett fallen lassen. Eingeschlafen bin ich allerdings nicht vor 3 Uhr, sodass bis zum Wecker um 06:15 Uhr nicht mehr viel Schlaf übriggeblieben ist.

Am nächsten Morgen checkte ich noch vor dem Frühstück aus und musste somit auf meine mitgebrachten Sandwiches und die Banane ausweichen. Bereits um 07:07 Uhr fuhr der Zug ein, der mich in 01:19 Std. über Lund, Helsingborg und Ängelholm nach Båstad brachte.

Im Ticketpreis (10,63 €) inbegriffen war nach 5-minütiger Umstiegszeit auch die Weiterfahrt mit dem Bus. Dieser brachte mich mit ein paar weiteren Läufern in den 5 km entfernten Ortskern, wo schon ordentlich Trubel herrschte. Neben dem Marathon (inkl. Halbmarathon und 10-km-Lauf) fand an diesen Tagen ein nationales Radrennen sowie ein Golf- und Tennisturnier statt. Die Stadt stand Kopf. Mehr Sport war nicht möglich.

Um 08:45 Uhr stieg ich aus dem Bus und stapfte langsam Richtung Strand. Vorbei am Veranstaltungsgelände des Radrennens erblickte ich bereits zwei Dixi-Toiletten, die ich später sicher noch aufsuchen würde, wenn es näher am Strand keine weiteren gäbe. Im Marathon-Pavillon angekommen reihte ich mich in die kurze Warteschlange ein und erhielt sehr bald meine Startnummer. Exakt 50 Minuten vor dem Start war ich endlich ausgestattet und konnte mich auf den Lauf vorbereiten.

Die Klamottenfrage war ebenfalls bereits entschieden, denn obwohl es aktuell stark bewölkt war, ließen die knapp 28°C kein anderes Outfit als „Kurz-Kurz“ zu. Das hieß, dass ich mich neben der blauen Flatterhose für mein gelbes Top entschieden hatte: so waren die schwedischen Farben vertreten.

Nach dem Umziehen und Anbringen der Nummer räumte ich meinen vollgestopften Rucksack zurück in den Pavillon, wo es eine unbewachte Gepäckabgabe gab. Ich hoffte auf das Gute im Menschen und versteckte meine Wertsachen an unterschiedlichen Orten im Rucksack. Das Handy nutzte ich noch für ein paar letzte Fotos von der Umgebung rund um das Start-/ Zielgelände und stopfte es erst 10 Minuten vor dem Start in die Tasche.

Zwischendurch machte ich mich etwas warm, dehnte meine Beine und stattete dem Dixi einen Besuch ab. Etwa 5 Minuten vor dem Start lief ich zum Startbanner und reihte mich schon mal in vorderster Reihe ein. Ein Blick nach links und rechts offenbarte, dass mindestens eine Handvoll Läufer dabei war, die mir einen Treppchenplatz streitig machen könnte. Ich versuchte, positiv gestimmt an die Sache zu gehen und mich in den Windschatten einer dieser Läufer einzureihen.

Pünktlich um 10 Uhr wurde dann auf Schwedisch von 10 runtergezählt. Im Übrigen war dieser Countdown das einzige, das ich gerade so verstanden hatte. Alles andere war mir wahrlich zu fremd und unverständlich.

Bei „1“ angekommen ertönte ein Schuss, der uns auf die Reise um die wunderschöne Bjäre-Halbinsel herum schickte.

Der Lauf

Mit ordentlich Unterstützung durch das Publikum wurden wir auf die große Runde geschickt. Auf den ersten Metern begleitete uns zudem eine Drohne, die bei dieser schönen Kulisse sicher spektakuläre Aufnahmen gemacht hat.

Während der ersten zwei Kilometer, die in südlicher Richtung durch die Kleinstadt verliefen, wurde uns weiterhin applaudiert, bis es anschließend zunehmend ruhiger wurde. Als die letzten Siedlungen hinter uns lagen und wir über schmale Wirtschaftswege in die schwedische Natur eintauchten, entzerrte sich die ohnehin schon kleine Führungsgruppe. Ein schneller Läufer nutzte die ersten Hügel der Strecke, indem er sie gleichbleibend schnell hinauflief, und entfernte sich somit von mir. Gleichzeitig schlossen zwei weitere Läufer zu mir auf, sodass wir fortan mit kleinen Abständen zu dritt unterwegs waren.

Die nächsten 5 km, die ins hügelige – beinahe bergige – Inland der Halbinsel hineinführten, waren die wohl anstrengendsten des gesamten Streckenverlaufs. In kürzester Zeit waren über 150 Höhenmeter zu bewältigen und kein Meter führte hinab. Die Asphaltstraße führte uns an der ersten Verpflegungsstation vorbei weiter nach Westen, bevor am höchsten Punkt des Tages bei KM 6 eine große Golfanlage erreicht war.

Von nun an brannte die Sonne schon ganz ordentlich, während schattige Passagen kaum vorhanden waren. Lediglich der leichte Wind von vorne kühlte ein wenig und war daher keinesfalls hinderlich.

Die erste Belohnung für den harten Anstieg folgte zunächst durch einen traumhaft schönen Ausblick über die gesamte Halbinsel und das umliegende Meer. Der am weitesten entfernte Streckenpunkt im äußersten Nordwesten war kaum zu erahnen und würde trotzdem in gut einer Stunde zu Fuß erreicht werden. Marathonlaufen überbrückt schon wahnsinnig spektakuläre Distanzen, wurde mir an diesem Punkt wieder mal bewusst.

Die zweite Belohnung kam nach einer Linkskurve in Form eines sehr steilen Abstiegs hinunter nach Grevie, dem ersten kleinen Dorf nach Verlassen von Båstad. So schnell wir hineingelaufen kamen, so schnell waren wir auch wieder hinaus und auf dem leicht abfallenden Weg nach Öllöv, wonach bereits 10 km eingetütet waren.

Die nächsten 10 km waren verhältnismäßig unspektakulär, denn sie führten über kaum befahrene, breite Asphaltstraßen und an sehr wenigen Siedlungen und Häusern vorbei. Auch vermisste ich noch die typisch schwedischen, bunten Holzhütten mit weißen Fensterläden, die voraussichtlich erst in Küstennähe wieder mehr werden würden.

Die folgenden zwei Getränkestationen sorgten somit nicht nur für Erfrischung, sondern auch für etwas willkommene Abwechslung.

Als die Halbmarathonmarke näherkam, erreichten wir in Küstennähe auch wieder einen der tiefsten Punkte des Kurses. Torekov, die nach Båstad die zweitgrößte Stadt auf der Route war, empfang uns mit viel Sonnenschein und ein paar mehr Zuschauern. Diese waren vielleicht auch deshalb hier, weil in Torekov vor einigen Minuten die Halbmarathonis gestartet sind, die wir zum Teil bald einholen würden. Uns standen nun ein paar wellige Kilometer durch Schwedens Küstenregion bevor.

Auf den ersten Kilometern der zweiten Streckenhälfte konnte ich mich zudem von meinen beiden Verfolgern distanzieren und somit etwas Puffer auf den dritten Platz herauslaufen. So als alleiniger Zweitplatzierter lief es sich recht angenehm und zeitgleich konnte ich nach und nach einzelne langsamere Halbmarathonis einsammeln. Das hielt die Motivation weiter oben.

Nun ging es für mich am kleinen Hafen von Torekov, einem Campingplatz und einem großen Golfplatz vorbei. All diese Touristenstätten lenkten mich noch gut von den harten Wetterbedingungen ab. Die Sonne knallte erbarmungslos vom Himmel, die Temperaturen erreichten mehr als 30°C, es war kaum Schatten vorhanden und der leichte Wind von hinten hatte keinen kühlenden Effekt mehr. Aber da alle dieselben Bedingungen hatten, wollte ich mich nicht beschweren.

Nachdem die Zivilisation hinter mir lag, wurde ich durch ein geöffnetes Zauntor auf ein schönes Trailstück am Meer geleitet. Hier grasten einige Ziegen und Schafe, die sich von uns Läufern nicht weiter irritieren ließen. Außerdem gab es durch den wechselnden Untergrund extrem viel Abwechslung: Nach einer großen Wiese folgten fester Sand und Geröll, bevor es über sehr schmale Pfade kurze Zeit lang keine Überholmöglichkeit mehr gab. Ich stellte mir vor, wie ich ein solch schönes Terrain zum Trainieren nutzen könnte, doch im Wettkampf zählte der Kampf um jede Sekunde. Mein Blick war hier fast durchgehend auf die zwei Meter vor meinen Füßen gerichtet, denn ein Umknicken konnte ich mir nach zwei Dritteln des Rennens nicht erlauben.

© Zejo
© Zejo

Als am nördlichsten Punkt der Strecke das Hovs Hallar Naturreservat erreicht war, wurden wir wieder nach rechts auf eine asphaltierte Straße geleitet. Dieser Punkt des Rennens nach knapp 30 km war sehr besonders, denn der zweite steile Anstieg stand uns bevor. Auf den nächsten 5 km mussten über 100 Höhenmeter erklommen werden und das führte bei mir dazu, dass ich spürbar an Tempo verlor und einzelne Kilometer sogar langsamer als 05:00 min/km absolvierte. Von einer Zielzeit unter 3 Stunden konnte ich mich wohl verabschieden, aber das war anfangs ohnehin nicht mein Hauptziel.

Teilweise waren die noch frischen Halbmarathonis bergauf schneller, als ich, sodass ich bei jeder Überholung um meine aktuelle Platzierung bangen musste. Oben angekommen gab es einen letzten schönen Ausblick über die Landschaft und endlich auch ein paar hübsche Schwedenhäuschen, bevor es eine extrem steile Straße hinabging. Die 100 Höhenmeter waren nach nur einem Kilometer wieder futsch und die letzten 6 km verliefen flach entlang der Küste.

Zum Glück führten diese letzten 6 km nicht nur über die asphaltierte, breite Küstenstraße, sondern zum Ende hin auch über eine Trailpassage im Schatten großer Bäume. Das war die Belohnung, die mir in diesem Marathon noch fehlte: Schatten!

So konnte ich das Tempo wieder etwas hochdrehen und mich sogar den 04:00 min/km nähern, sodass der zweite Gesamtplatz sicher erschien. Auch meine prognostizierte Zielzeit könnte noch deutlich unter 03:05 Std. liegen.

Ich fokussierte mich also voll und ganz auf das Ziel und übersah dadurch sogar die Schönheit des kleinen Hafens von Kattvik, den wir wenige Kilometer vor Ankunft in Båstad durchquerten. Glücklicherweise gibt es auch hiervon Drohnenaufnahmen, die ich mir nachträglich anschauen konnte.

Von nun an wusste ich, dass es keine extra Schlenker und Höhenmeter mehr geben würde, und so drückte ich nochmals ordentlich aufs Gaspedal. Wer weiß, vielleicht ist sogar doch noch eine Zeit von 02:59:59 Std oder schneller möglich. So genau konnte ich das aufgrund der dürftigen Kilometrierung der Strecke nicht sagen.

Und als ich von Weitem endlich den blauen Asics-Zielbogen entdeckte und meine Laufuhr eine Zeit von 03:00 Std. und ein paar Zerquetschten zeigte, hieß mein neues Ziel direkt mal „Sub 03:01“.

Ich breitete meine Arme aus, legte meinen Kopf in den Nacken und freute mich auf das Ende dieser dreistündigen Hitzeschlacht durch Schweden. Beim Übertreten der Ziellinie drückte ich aufs Knöpfchen meiner Uhr und freute mich über 03:00:51 Stunden.

Über den zweiten Platz mit einem Vorsprung von 05:48 min freute ich mich sogar noch mehr!

Und der Rückstand zum Ersten? – Ganze 14:41 min, die auf eine ganz andere Liga hindeuteten.

Nun war ich rundum glücklich!

Nachher

Sobald eine Finisher-Medaille um meinen Hals hing, zog es ich zum schattigen Verpflegungsstand, der nicht nur Getränke und Obst, sondern auch eine große Kiste mit salzigen Chips im Angebot hatte. Es war das erste Mal, dass ich so kurze Zeit nach einem Marathon zu Chips griff, und ich muss sagen: Es war megastark! So schnell und lecker hatte ich mir mein ausgeschwitztes Salz bisher nicht zurückgeholt.

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, mich weiter mit Salzigem und Flüssigem zu stärken, meinen Liebsten daheim ein paar Nachrichten zu schicken und mich einfach auf dem Boden liegend auszuruhen. Da der Rucksack mit meinen Klamotten und Wertsachen immer noch an Ort und Stelle war, fiel auch diese Sorge weg.

Für die Siegerehrung wählten die Organisatoren eine schöne Kulisse, indem sie das Treppchen einfach vor dem Strand, den Dünen und dem blauen Meer platzierten. Als Gesamtzweiter erhielt ich nicht nur eine Blume überreicht, sondern auch einen Gutschein für das örtliche Sportgeschäft. Da dieses für mich fußläufig zu weit entfernt lag, hoffte ich darauf, den Gutschein später auch online einlösen zu können.

Gegen 14:30 Uhr machte ich mich langsam auf den Weg ins Dorfinnere, wo ich einen Bus zum Bahnhof von Båstad ergattern wollte. Während des kurzen Spaziergangs telefonierte ich mit meinen Eltern und erzählte ihnen in Kürze alles von meinem bisherigen Kurztrip und dem Lauf.

Um kurz nach 15:00 Uhr saß ich dann endlich im Zug, der mich für 8,45 € in weniger als einer Stunde nach Helsingborg brachte. Während ich so aus dem Fenster schaute, musste ich gestehen, dass das herrliche Sommerwetter ordentlich Werbung für dieses schöne Land machte. Vielleicht komme ich nochmal für etwas länger her, dachte ich mir.

In Helsingborg angekommen musste ich mittels Google-Maps den Weg zu einem kleinen Café in der Innenstadt finden, da dort der Schlüssel zu meinem AirBnB-Zimmer hinterlegt war. Als ich diese abgeholt und den Weg zu einem modernen Wohnkomplex in Hafennähe zurückgelegt hatte, gab es noch ein paar Schwierigkeiten beim Öffnen der zentralen Tür zum Treppenhaus sowie der eigentlichen Wohnungstür. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit den schwedischen Schlössern nicht so recht klar kam. Rührt da die Metapher „Hinter schwedischen Gardinen“ her? Wohl eher nicht.

Als ich die kleine Wohnung betreten hatte, sah ich rechterhand direkt mein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer für die kommende Nacht. Dahinter folgten das Badezimmer mit einer Dusche, die ich schon sehnlichst vermisste, und die sonnige Wohnküche mit wundervollem Ausblick über den lebendigen Hafen von Helsingborg. Eine schöne Notlösung für eine stornierte FlixBus-Nachtfahrt, wie ich finde.

Nach einer entspannten Dusche und einer kurzen Pause in der sturmfreien Bude, machte ich mich nochmal auf den Weg zu einem Supermarkt, um mir für den heutigen Abend etwas zu Essen und Trinken zu kaufen. Die Wahl fiel auf ein warmes Baguette mit Frischkäse, Käse und Schinken sowie eine große Cola-Lemon und eine Dose Bier für insgesamt 9,50 €. Auf dem Heimweg machte ich einen kleinen Umweg und klapperte noch ein-zwei Sehenswürdigkeiten ab. Für mehr war keine Kraft und Motivation mehr vorhanden.

Gut gesättigt entspannte ich ein wenig auf dem gemütlichen Balkon, sah der untergehenden Sonne nach und daddelte ein wenig in den sozialen Netzwerken herum. So verging die Zeit bis spät am Abend das junge Pärchen, dem die Wohnung gehörte, heimkam. Das war auch ungefähr der Zeitpunkt, an dem ich ins Bett ging und wenig später tief und fest einschlief.

Am nächsten Morgen verließ ich die Wohnung, nachdem die beiden Bewohner schon nicht mehr da waren. Den Schlüssel ließ ich auf dem Küchentisch zurück, zog die Haustür zu und spazierte einfach mal drauf los. Hinter der Altstadt entdeckte ich eine Treppe zu einem Aussichtspunkt und obwohl meine Beine extrem schwer und träge waren, motivierte ich mich irgendwie hinauf. Der Ausblick belohnte die kurzen Strapazen allemal.

Um 10:30 Uhr suchte ich mir eine kleine Bäckerei in Busbahnhofnähe, in der ich mir zum Frühstück einen kleinen Cappuccino und ein Apfel-Zimt-Teilchen für 5,40 € kaufte. In der letzten halben Stunde bis zur Abfahrt meines Busses Richtung Hamburg entspannte ich auf einer kleinen vertrockneten Rasenfläche unmittelbar neben den Bussteigen. 

Dabei ließ ich das verrückte Abenteuer Revue passieren und entschied für mich, sowas jederzeit wieder tun zu wollen. Bis auf die kurzfristigen Stornierungen durch FlixBus war es ein rundum gelungenes Wochenende mit bester Atmosphäre, bestem Wetter und der besten Laufkulisse, die ich mir hätte vorstellen konnte. 

Sogar die achtstündige Reise, die mir nun bevorstand, war recht aufregend. Durch die zwei Fährfahrten von Helsingborg (Schweden) nach Helsingør (Dänemark) sowie von Rødbyhavn nach Puttgarden hatte man immer mal wieder Gelegenheit, die Beine zu lockern und etwas Neues zu entdecken.

Aufgrund eines Staus vor Lübeck verzögerte sich die Fahrt um eine Stunde und endete somit erst um 21 Uhr am Busbahnhof von Hamburg.

Ich hab’s geschafft und zur Belohnung gab es auf dem Heimweg – wie sollte es anders sein – einen leckeren Döner.

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,195 km

 

03:00:51 Std.

 

03:00:51 Std.

 

Männl. Hauptklasse (90-99)

 

?. von ?

 

2. von 85 (2,4 %)

 

2. von 111 (1,8 %)