85. Straßenläufe Herten-Bertlich

27.11.2011

Vorher

Warum ein dritter Marathon im Jahr 2011, warum ein drittes Mal nach Herten-Bertlich, warum das ganze bei miesem Wetter und hohem Regenpotential? - Darum!

Es gibt ehrlich gesagt viele Gründe, aber der größte Grund ist einzig und allein „das Laufen“. Anstelle eines langweiligen, langen Trainingslaufes, entschied ich mich kurzfristig dazu, nochmal die gut 80 km nach Bertlich zu fahren. Das kleine Örtchen zwischen Recklinghausen und Gelsenkirchen richtet dreimal im Jahr die Bertlicher Straßenläufe aus: Anfang Februar, Ende September und Ende November. Da ich schon im September 2010 und Februar 2011 jeweils über die 30 km erfolgreich war und mir die ca. 14-km-lange Runde sehr gefallen hat, wollte ich diese nochmal unter die Füße nehmen. Während sie damals beim 30er zweimal zu durchlaufen war, gilt es beim Marathon, sich ein drittes Mal zu motivieren. Mir gefällt’s!

Außerdem zieht mich die lockere, familiäre Stimmung der Veranstaltung an. Es gibt nicht viele Läufe, von denen man behaupten kann, dass sie liebend gern mehrere Male im Jahr stattfinden „dürfen“. Die Bertlicher Straßenläufe dürfen das, wie ich finde.

Ein weiterer - heimlicher - Grund ist, dass ich dieses Jahr beim BMW-Berlin Marathon an der 3-Stunden-Marke gescheitert bin. Zwar läuft man in Bertlich meistens alleine und orientiert sich nur an seiner Laufuhr und den Kilometerzeiten, aber auch das hat seinen Reiz. Hier sind die Erwartungen und Ansprüche niedriger als in der Metropole Berlin. Und sollte es wieder nicht mit Sub-03:00 klappen, so bleibt mir die Hoffnung auf eine Verbesserung des Altersklassen-Streckenrekordes, der bei 03:01:43 Std. liegt. Da meine Altersklasse „männliche Junioren“ recht klein ist (89 - 91) und nicht viele Läufer in meinem Alter diesen Marathon laufen, habe ich realistische Chancen, mit einer besseren Zeit lange in den Bertlicher Bestenlisten zu verweilen. Wir werden sehen, eine solide Motivationsgrundlage ist zumindest schon mal geschaffen ;-)

Die Prognose lautete „starke Bewölkung und zeitweise kurze Schauer“. Naja, da ich darauf eingestellt bin und ich während meiner ersten 3 Marathons noch keine Regen-Erfahrungen gemacht habe, gab ich meinem inneren Schweinehund keine Chance. Ab ins Auto und los geht’s! Die Fahrt dauerte wieder eine gute Stunde und in der Zeit vor dem Start durchlief ich dasselbe Muster wie vor fast jedem Wettkampf: Startnummer abholen (in Bertlich sind übrigens nur Nachmeldungen möglich; Marathon für passable 16 €), aufwärmen, dehnen, Banane essen, Toilette, Kleiderabgabe, nochmal kurz aufwärmen etc.

Da ich die Wetterprognose dieses Mal ernst nehme, entscheide ich mich erstmals seit Langem für ein langärmeliges Laufshirt. Hinzu kommt die Cappy, die mir im Falle von Regen meine Brillengläser trocken halten soll. Die obligatorischen Kompressionssocken sind entweder echt hilfreich oder ein reiner Marketing-Gag, fragt mich nicht!

Wenige Minuten vor dem Start begab ich mich mit 98 weiteren Läufern zum roten Startbanner (Rot: Marathon, Blau: 30 km, …). Der Wind peitschte uns bereits um die Ohren, bewölkt war der Himmel allemal, aber von Regen zum Glück noch keine Spur. Hoffentlich hält sich das Wetter noch gute 3 Stunden so, hoffentlich.

 

Der Lauf

Der Startschuss fiel pünktlich um 10.30 Uhr. Die Laufuhr ist gestartet. Meine Beine locker. Ich locker. Los geht’s!

Von Beginn an bin ich 04:10 min/km gelaufen, was auf eine Zielzeit von 02:55:50 Std. hinausliefe. Da ich im Vorfeld keinerlei Beschwerden hatte und ich an diesem Tag keine hohen Ansprüche an mich selbst habe, fiel es mir nicht schwer, den Kopf einfach mal auszuschalten. Einfach mal nicht nachdenken!

Die ersten zwei Kilometer verliefen durch Wiesen und Felder, während der Wind stark von der Seite blies. Viele Höhenmeter erwarteten mich hier nicht, allerdings kann einem die Strecke auf der dritten Runde hügeliger vorkommen, als auf der ersten. Wen wundert’s?

Zu diesem frühen Zeitpunkt des Rennens befand ich mich auf dem vierten Gesamtplatz. Der Vierte ist zwar der „undankbare“ Platz, aber mich juckte das heute keineswegs. Die Verpflegungsstelle hinter KM 2 nahm ich noch nicht in Anspruch und lief mit der Unterstützung von ordentlichem Rückenwind dem zweiten Wasserposten bei KM 5 entgegen. An der Landschaft änderte sich herzlich wenig. Die spätherbstliche Schönheit zeigte sich lediglich in Form von kahlen Bäumen am Wegesrand und herumfliegenden Blättern.

Nach einem kleinen Becher Wasser verlief die Strecke von KM 5 bis 9 weiterhin Richtung Osten und somit weiterhin mit Rückenwind. Nachdem bei KM 6 eine Hauptverkehrsstraße dank der Polizei problemlos überquert wurde, mussten wir nach weiteren drei Kilometern entlang einiger Waldabschnitte und Bauernhöfe ca. 200 Meter auf dem rechten Seitenstreifen der Bundesstraße B225 laufen. Erst dann bogen wir wieder rechts Richtung Bertlich ab. Der Rückenwind änderte sich in Gegenwind und der härtere Teil der 14-km-Runde begann.

Bei KM 10 erreichte man die insgesamt vierte Verpflegungsstelle, an der ich mir zum zweiten Mal einen Becher Wasser schnappte. In böser Vorahnung, dass nun der schwierigste Kilometer über die buckelige, Kopfsteinpflasterähnliche Asphaltstraße folgte, war ich umso überraschter, dass dieser Abschnitt scheinbar im letzten halben Jahr ausgebessert worden ist. Mich erwartete bester Asphalt, der sogar für internationale Inlineskates-Rennen genehmigt worden wäre. Ein Traum, der den starken Gegenwind für einen Moment vergessen ließ.

Am Ende der neu asphaltierten Straße überquerten wir abermals die zuvor erwähnte Hauptstraße und liefen dann fast zwei Kilometer auf einem Radweg an einem Waldstück entlang. Nach Überquerung einer weiteren, viel befahrenen Straße bogen wir in den Bauernweg ein. Dieser ist wörtlich zu nehmen, denn wir durchliefen in der Tat einen großen Bauernhof. Rechts und links der schmalen und in der Mitte nach oben gewölbten Straße befanden sich stinkende Ställe und Fachwerkhäuser. Für mich definitiv ein kleines Highlight auf dieser Strecke.

Nach dem 500 m langen Bauernweg bogen wir links ab und passierten auf der rechten Seite den Veranstaltungs-Parkplatz beim Real,-. Nach einer Rechtsabbiegung ging es auf einer langen, abfallenden Siedlungsstraße dem Start-Ziel-Gelände entgegen. Ich freute mich bereits auf das Ende der dritten Runde, denn dann werde ich (hoffentlich) trotz müder Beine noch einen schnellen letzten Kilometer hinlegen.

Die letzten 5 bis 6 Kilometer mit starkem Seiten- und Gegenwind sind mit Beenden der ersten Runde zunächst einmal Geschichte. Ab KM 14 beginnt für mich meine zweite Runde und damit auch wieder angenehmer Rückenwind. Zudem hat sich der Regen auch noch nicht blicken lassen. Für meine geplante Trainingslauf-Wettkampf-Kombi perfektes Läuferwetter also. Da ich weiterhin auf dem vierten Gesamtrang liege und weit vor und weit hinter mir kein Konkurrent zu sehen ist, erspare ich mir jegliches Rumrechnen und belasse meinen Kopf frei von störenden Gedanken.

Mein Laufrhythmus, mein Gefühl, die äußeren Bedingungen und alle weiteren Faktoren der ersten und zweiten Laufrunde (KM 14 - KM 28) ließen sich „eins zu eins“ kopieren. Im Nachhinein betrachtet, kann ich tatsächlich keine Unterschiede erkennen. Ich habe jeweils zwei Becher Wasser getrunken, eventuell ein kleines Stückchen Banane gegessen, der Wind blies unverändert, der Regen blieb aus, überholt wurden nur vereinzelt langsamere Läufer aus den anderen Wettbewerben und mein Körper streikte zu keinem Zeitpunkt. Weiter so, würde ich sagen!

Zu Beginn der dritten Runde, als wieder der ersehnte Wechsel von Gegen- zu Rückenwind erfolgte, fielen plötzlich einzelne Regentropfen nieder. Zunächst nur ganz selten, dann etwas häufiger und nur wenige Minuten später hörte es auch wieder auf. Hoffentlich waren das nicht die Vorboten eines größeren Schauers. Zum Glück hatte ich aber schon zwei Drittel der Strecke absolviert, sodass die Bilanz am Ende eine positive sein wird.

Bei KM 30 näherte ich mich einem Läufer, der eigentlich nur ein Marathoni sein konnte. Sein Tempo war nur geringfügig langsamer als meines und ich meine, ihn schon zu Beginn vor mir weglaufen gesehen zu haben. „Ist er womöglich der Gesamtdritte und bin ich womöglich kurz davor, mir diesen Platz zu ergattern?“ Ohne meine Geschwindigkeit zu verändern näherte ich mich ihm weiter. Um beim Überholen sicher zu gehen, dass er ebenfalls den Marathon läuft, versuchte ich aus dem Augenwinkel heraus zu sehen, welche Farbe seine Startnummer hatte. Sie war rot. Yes! Marathon. ‚Nicht mehr unnötig umdrehen, sondern weiter nach vorne orientieren‘ lautete die Devise.

Mit einem lockeren Gefühl im Magen spulte ich die weiteren Kilometer ab. Seit der Halbmarathon-Marke, die ich nach 01:28:00 Stunden erreicht hatte, spürte ich keinen Tempoverlust. Noch nicht. Die letzte Gegenwindpassage stand mir ja noch bevor und das Wetter wurde nun auch unbeständiger. Die vereinzelten Regentropfen kamen wieder und verwandelten sich ab KM 35 in einen leichten Nieselregenschauer. Na toll, sieben Kilometer vor dem Ziel noch nass werden; warum nicht schon eher oder am besten einfach gar nicht? Egal, gleiche Bedingungen für alle.

Mit Beginn des Regens entdeckte ich weit vor mir einen Läufer, der in etwa meine Geschwindigkeit lief. Er musste definitiv auch zum Marathonfeld gehören, anders konnte ich ihn nicht einordnen. Auf etwas kurvenreicheren Streckenabschnitten habe ich ihn dann jeweils aus dem Auge verloren, aber auf den geraden Passagen wieder vor mir sehen können. Meine Motivation ist von Neuem entfacht und der Nieselregen rückte in den Hintergrund.

Auf den folgenden Kilometern wurde es sowohl durch den erneuten Gegenwind, als auch durch die immer noch schnellen Schritte meines Konkurrenten schwierig, sich diesem zu nähern. Zusätzlich motivierte er sich durch seine Fahrradbegleiterin, die ihm unter anderem mitteilte, wie weit ich noch von ihm entfernt bin. Das konnte ich aus deren Körpersprache entnehmen.

Bei der vorletzten Verpflegungsstelle (etwa KM 38) war es dann soweit, dass ich den Läufer vor mir überholen konnte. Mir kam es allerdings vor wie ein Elefantenrennen, bei dem sich zwei müde Bullen gegen den Wind stemmen und von denen sich der eine mit einer minimal schnelleren Geschwindigkeit an dem anderen vorbeiquält.

Mich freute allerdings die nette Reaktion meines Mitläufers. Er entgegnete mir: „Super Junge, zieh durch, mach dein Ding und hol dir den zweiten Platz! Sauber!“ Meine Antwort war - so hoffe ich zumindest - nicht minder motivierend: „Danke dir, aber zieh du auch durch! Unter 3 Stunden ist noch völlig drin! Los jetzt!“

Unter 3 Stunden, ein ganzer Marathon, 42 Kilometer und ein paar Zerquetschte. Sollte hier und heute im beschaulichen Bertlich ein Läufertraum wahr werden? Warum eigentlich nicht? Ich war bereit dafür! Nur noch vier Kilometer Wind und Wetter zu bekämpfen, dann durfte ich mich endgültig freuen. Um die restliche Zeit zu überbrücken, kalkulierte ich, wie schnell bzw. langsam jeder der letzten vier Kilometer gelaufen werden muss, um bei 02:59:59 Std. ins Ziel zu kommen.

Vier Kilometer vor dem Ziel hätten es lediglich noch 05:00 min/km sein müssen, da meine Uhr 02:40:00 Stunden Laufzeit anzeigte. Das geht noch schneller, denke ich mir. Nach einem weiteren Kilometer in 04:10 min, war es nur noch ein Tempo von 05:17 min/km, das ich hätte laufen müssen. Ein bequemes Polster, wie ich finde. Meine Vorfreude stieg mit jedem Laufmeter, der nicht langsamer war, als der vorherige. Der ekelige Nieselregen war schnell vergessen, die Klamotten eh feucht bis nass, alles schei*egal.

Bei KM 40 rechnete ich fast schon nicht mehr, zu groß war die positive Nervosität. Vergleichbar mit der kindlichen Vorfreude vor dem Geschenkeauspacken an Weihnachten. Bis Weihnachten sind es zwar noch vier Wochen, aber ein Geschenk ist es trotzdem, einen Marathon unter 3 Stunden laufen zu können. Völlig gedankenverloren bemerkte ich dann plötzlich, wie ich mich auf der abfallenden Zielgeraden in der Siedlung befand. Nur noch 300 Meter auf Asphalt und nochmals 300 Meter auf der Aschebahn. Das Tempo wurde symbolisch nochmal angezogen, die Arme ausgestreckt, Daumen hoch. Vorzeitiges Finisherfoto von Photobello 400 Meter vor dem Ziel. Einen kurzen Blick nach hinten riskiert - auch automatisch und völlig unbegründet. Grinsen im Gesicht. Letzte Zielkurve auf der Bahn. Fünfzig Meter noch. Daumen auf dem Stoppknopf der Laufuhr positioniert. Zielkanal. Ziellinie. 02:56:41 Stunden!

 

Nachher

Emotionen! Und doch konnte ich es noch nicht ganz so realisieren wie ich’s wollte. Altersklassen-Rekord in Bertlich: ein Nichts für die Menschheit, aber ein Riesending für mich. :-)

Im Ziel befand sich noch der Gesamtsieger, der nur gut 2 Minuten vor mir angekommen ist. Was mich dann aber auch noch überrascht und sehr gefreut hat, war die super Zeit des Dritten, den ich auf meiner 3. Runde erst eingeholt, überholt und letztlich noch motiviert habe (02:57:51 Std.). Er hat ebenso gekämpft und hat’s verdient, unter 3 Stunden geblieben zu sein.

Nach einigen Bechern mit heißem Zitronentee rief ich meine Family an und gab ihr eine kurze Zusammenfassung durch. Sie waren stolz auf mich, fanden es aber schade, dass sie nicht dabei sein konnten.

Dann ging es zur Kleiderabgabe, um meine Sporttasche abzuholen und zu den warmen Duschen zu gehen. Nach solch einem Schmuddelwetter genoss ich diese in vollen Zügen. Ganz entspannt und ohne Stress ging ich danach in die Aula der Schule, wo bereits die Siegerehrungen der kürzeren Läufe stattfanden. Pommes und Bratwurst gab’s diesmal nicht, sondern ein-zwei Butterbrote und ein bisschen Süßkram, das ich mir von zu Hause mitgenommen habe.

Was ich mir allerdings sehr wohl - zum ersten und vorerst letzten Mal - gönnte, war das Finisherfoto von Photobello für 3 €. Diese „musste“ ich investieren, um neben dem späteren Läuferpokal eine weitere Erinnerung an diesen Tag zu haben.

Der besagte Pokal (Nr. 3 aus Bertlich) wurde mir dann bei unserer Siegerehrung um 16.00 Uhr zusammen mit einer schönen Urkunde überreicht. Damit endete ein wunderschöner Läufertag und gleichzeitig mein letzter Wettkampf in 2011, der mich eines lehrte: Erwarte nicht zu viel und du wirst dich umso mehr selbst überraschen.

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,195 km

 

02:56:41 Std.

 

02:56:41 Std.

 

Männl. Junioren (89-91)

 

1. von 3 (33,3 %)

 

2. von 82 (2,4 %)

 

2. von 99 (2,0 %)