14. Remmers-Hasetal-Marathon

25.06.2016

Vorher

Der Hasetal-Marathon in Löningen steht seit vielen Jahren auf meinem Wunschzettel, doch jedes Jahr kam ein anderer Lauf dazwischen oder ich musste aus privaten Gründen passen. Doch jetzt ist es endlich soweit und ich traue mich an meinen nunmehr fünften (Ultra-)Marathon in diesem Jahr ran. Und da Ende Juni nicht gerade für ideale Laufbedingungen bekannt ist, möchte ich diesen familiären Lauf ohne Bestzeitambitionen und ohne zu großen Druck bestreiten.
Am letztmöglichen Anmeldetag – Sonntag, den 12.06.2016 und damit knapp 2 Wochen vor dem Lauf – sicherte ich mir für 36 € mein Ticket für Marathon Nr. 23! Das Startgeld beinhaltet neben der üblichen Streckensperrung und -verpflegung und der hoffentlich üppigen Zielverpflegung, eine Finisher-Medaille für jeden Läufer und ein offizielles Funktionsshirt, auf das ich mich schon freute. Außerdem soll es sich um einen schönen und vor allem flachen Kurs durch das idyllische Hasetal handeln, von dem ich bisher nur Positives gehört hatte. Besonders auf die hoch gelobte Stimmung am Streckenrand war ich gespannt, denn meine persönliche Messlatte aus meinen Läufen in den Niederlanden (z.B. Enschede und Venlo) liegt bekanntlich hoch.
Zudem freute ich mich auf eine charmante Fahrradbegleitung – meine Freundin Sophie –, die ab der Hälfte dazustoßen und mir besonders zum Ende hin als moralische Stütze dienen würde. Organisatorisch war somit alles in trockenen Tüchern. Was jedoch weniger „trocken“ war, war das Wetter der letzten Tage und vor allem die Prognose für Samstagnachmittag, also den Termin des Marathons. Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen und haben uns entsprechend vorbereitet: zu meiner Laufausrüstung durften die Kappe und Pflaster zum Abkleben der Nippel nicht fehlen, während Sophie sich mit Regenjacke und großem Regenponcho für das Fahrrad eindeckte. Trotz widriger Bedingungen versicherte sie mir schon am Vortag, dass sie 100-prozentig mitfahren möchte. Mutig!
Nach einem schönen Freitagabend mit Familie, Freunden und extrem guter Live-Musik der befreundeten Band Groove Center haben wir am Samstag bis 10:30 Uhr ausgeschlafen. Nach einem entspannten Frühstück fuhren wir zu meinen Eltern nach Hopsten, wo es gleich im Anschluss noch ein kleines Mittagessen mit Nudeln gab. Die Kohlenhydratspeicher waren somit aufgefüllt. Um 14:30 Uhr machten wir uns dann mit dem Klapprad im Kofferraum und etwas nervöser Stimmung auf nach Löningen. Knapp 50 Minuten später erreichten wir das Örtchen im platten Land und ließen uns vom Navi Richtung Startbüro leiten.
Kurz bevor dieses um 15:30 Uhr schließen sollte, holten wir meine Startnummer und mein Laufshirt ab und machten uns danach wieder zurück zum Auto. Noch immer regnete es ununterbrochen: zwar nicht stark, aber schon so, dass es für Läufer, Zuschauer und Radfahrer ungemütlich war. Im Auto planten wir zunächst mal unsere Taktik durch und versuchten uns sowohl auf dem online bereitgestellten Streckenplan, als auch bei google.maps in dem Städtchen Löningen zurecht zu finden. Doch so recht wollte uns das nicht gelingen, denn alle wichtigen Orte lagen überall im Dorf verteilt: Startbereich, Zielbereich, WCs und Duschen – allesamt so weit voneinander entfernt, dass man sich verlaufen konnte. Und zu allem Übel war die Ausschilderung sehr bescheiden.

Dennoch wollten wir es nicht nur der holprigen Organisation zuschreiben, sondern vielmehr dem schlechten Wetter. Wenn die Sonne geschienen hätte und wir uns die Umgebung in Ruhe anschauen könnten, wäre all das sich kein Problem gewesen.
Und so wagten wir uns erst 35 Minuten vor dem Startschuss aus dem Auto, richteten das Klapprad für Sophie ein und machten uns langsam aber sicher auf den Weg zum Startgelände, wo bereits um 16:45 Uhr die 10-km-Läufer auf die Strecke gelassen wurden. Warmlaufen wäre an solch einem Tag (Regen und 14°C) essentiell wichtig gewesen, doch ich beließ es bei kurzen Läufchen hin und her und ein paar Dehnübungen. Meine Beine fühlten sich locker an, wenngleich der linke Oberschenkel ein wenig meckerte. Ich stempelte es als übliches Vor-Marathon-Wehwechen ab und ignorierte es.
Nach zwei kurzen Klogängen in eine benachbarten Untergrund-Disco und zwei-drei Bissen von einer Banane fühlte ich mich bereit. Der Zeitmesschip war am Schuh, die Schuhe mit Doppelknoten zugeschnürt und der Regen ließ ein wenig nach. Auf geht’s!
Fünf Minuten vor 17 Uhr machten wir uns auf den Weg zur Startlinie. Sophie postierte sich mit dem Rad am rechten Streckenrand, während ich die Startgerade noch ein paar Mal hoch- und runterlief. Die Stimmung unter allen Läufern war locker und die Favoriten waren auch schnell ausgemacht. Sowohl der Vorjahressieger Elias Sansar (02:33:21 Std.), als auch Streckenrekordhalter Manuel Meyer (02:23:24 Std.) waren mit blauen Marathon-Startnummern ausgestattet an der Startlinie. Doch wo war der ebenfalls angekündigte Löningen-Vielstarter Marco Diehl (PB 02:28:04 Std.)? Durfte ich mir berechtigterweise Hoffnungen auf einen dritten Platz machen? Natürlich hatte ich die Hoffnung, denn dieser Treppchenplatz war mit einem 300 € Reisegutschein dotiert. Und träumen darf man ja wohl noch …

Nachdem ich mich von Sophie verabschiedet habe, suchte ich mir einen Platz ganz vorne im Starterfeld und ließ mich, wie alle anderen auch, vom Moderator zum „Arme-hoch-und-Klatschen“ animieren. Mit drei Minuten Verspätung wurde endlich von 10 runtergezählt. Vorfreudig nervös zählte ich laut mit: … 9 – 8 – 7 … und es hat aufgehört zu regnen … 6 – 5 – 4 … habe ich irgendwas Wichtiges vergessen? Nein, natürlich nicht … 3 – 2 – 1 – Schuss!

Der Lauf

Über eine leicht ansteigende Straße ging es zunächst Richtung Osten raus aus der Stadt Löningen. Da gemeinsam mit uns Einzelkämpfern auch die Marathon-Staffeln und Halbmarathonis unterwegs waren, zischten die ersten Ambitionierten vorneweg. Meine beiden Favoriten auf den heutigen Marathonsieg sah ich ganz langsam davonlaufen und mit ihnen einige ostafrikanischen Läufer, die sich jedoch auf den Halbmarathon konzentrierten, wie ich zuvor an der Farbe der Startnummern erkennen konnte. An etwa 15. Position liegend lief ich in großen Schritten über den nassen Asphalt dem ersten Kilometer entgegen. Diesen erreichten wir am westlichen Waldrand des Werwer Fuhrenkamps, durch den wir gleich laufen sollten (KM 1 in 03:41 min).
Wie immer zu ambitioniert begonnen, wusste ich, dass ich bald auf die Bremse treten musste. Meine heutige Zielzeit lag bei 02:50 Stunden, sodass ich mit einem Tempo um 04:02 min/km planen sollte. Jedoch fiel das heute bei einem solch gemischten Starterfeld besonders schwer.

 

Bei KM 1,5 erreichten wir, früher als erwartet, die erste Getränkestation. Diese ließ ich noch aus, aber bei der nächsten galt es zuzugreifen, da ich heute ohne Energiegel durchlaufen wollte.
Direkt hinter dieser Verpflegungsstelle ging es geradeaus in das besagte Waldstück. Hier ging es zunächst über schiefen Kopfsteinpflaster und anschließend über steinige Schotterwege stetig leicht bergab: ein herrlicher Abschnitt, egal ob bei gutem oder schlechtem Wetter. Neben den rhythmischen Schritten der Läufer hörte ich nur gelegentlich ein lautes Platschen und hoffte, dass nicht ich in eine der vielen, großen Pfützen getreten bin. Auch wenn es womöglich eine Regenschlacht werden würde, so wollte ich mir doch möglichst lang trockene Schuhe bewahren. Nach einigem Hin- und Herspringen durch den Wald waren KM 2 nach 03:53 min und KM 3 nach 03:50 min erreicht.
In der kleinen Bauernschaft Werwe erwarteten uns viele motivierende Helfer und die zweite Verpflegungsstation, bei der ich zu einem ersten Becher Wasser gegriffen habe. Direkt am Ende der Tische folgte jedoch eine scharfe Linkskurve, sodass ich erst dahinter einen Schluck zu mir nehmen konnte. Den Rest des Wassers versuchte ich mir gegen die linke Wade zu kippen, da sich hier Anzeichen eines Krampfes breitmachten. Hoffentlich nur ein vorübergehendes Symptom, das ich „rauslaufen“ konnte. Ich versuchte, es zu ignorieren.
KM 4 direkt hinter der scharfen Linkskurve erreichte ich nach 03:55 Minuten. Daraufhin leitete uns ein langer, im Bogen verlaufender Feldweg mitten nach Evenkamp, wo KM 5 nach 03:54 min abgehakt war. Das erste Achtel war somit fast geschafft.
Aus dem kleinen Örtchen Evenkamp war erstmals laute Musik zu hören, die aus großen Lautsprechern am nächsten Verpflegungsstand dröhnte. Obwohl es wieder angefangen hat zu regnen, hatten die Streckenposten sichtlich Spaß am Anfeuern. Wir Läufer zerren davon ungemein und schätzen es wert, auch wenn man es uns nicht immer ansieht. Ein Daumen-Hoch auf diese Stimmung gab’s natürlich trotzdem! Außerdem hörte ich hier zum ersten Mal folgendes laut rufen: „Die erste Frau, wuhuuu!“. Da ich sie noch nicht gesehen hatte, musste sie knapp hinter mir sein. Wahrscheinlich nicht mehr lange, denn es wird sich wohl um eine sehr ambitionierte Halbmarathon-Läuferin handeln, dachte ich mir.
Nach einem zweiten Becher Wasser, der je zur Hälfte im Mund und an der linken Wade landete, bogen wir erst links ab und keine 200 Meter später wieder nach rechts. Aus dem vor uns liegenden Waldstück war dann plötzlich wieder lautes Grölen zu hören, doch diesmal waren es tiefe Männerstimmen. Kurz vor KM 6 (in 03:53 min) stand am linken Streckenrand ein Planwagen, dessen lange Fensterfront offen war und aus dem uns mindestens 10 Senioren mit einer Flasche Bier in der Hand laut zujubelten. Na die haben’s gut!
Der nächste Abschnitt führte uns Richtung Süden direkt auf eine flache Brücke über den Fluss Hase, wo sich bereits KM 7 befand (in 03:55 min). An diesem Punkt konnte man kurz nach rechts flussabwärts und links flussaufwärts schauen, was eine willkommene Ablenkung zum vor mir laufenden Rücken eines Staffelläufers war. Für noch mehr Ablenkung sorgte dann aber tatsächlich die schnelle Halbmarathon-Dame, die mich erstmals überholt hatte und an deren Fersen ich mich daraufhin heftete.
Die folgenden zwei Kilometer (KM 8 und 9) über Asphaltstraßen laufend und durch das Örtchen Ehren hindurch absolvierten wir jeweils in flotten 03:51 min. Am Ende von KM 9 gelangten wir dann zu einer von Flaggen gesäumten Straße und der nächsten Getränkestation. Hier hat sich zudem ein weiterer Moderator ein Mikro und die Teilnehmerliste geschnappt und hat die Läuferinnen und Läufer persönlich motiviert. Sehr coole Aktion bei diesen Bedingungen!

Die folgenden drei Kilometer sind womöglich die langweiligsten der ansonsten sehr kurzweiligen Strecke. Sie verliefen über eine breite Asphaltstraße Richtung Nord-Osten und somit zurück nach Löningen. Für Ablenkung sorgten hier die motivierenden Sprüche an den Begrenzungspfählen zwischen Radweg und Straße, wie z.B. „Es ist immer zu früh, aufzugeben.“ Mit diesen kurzen Lektüren ließen sich KM 10 bis 12 in 03:52 min, 03:51 min und 03:48 min abspulen.
An der nächsten Verpflegungsstation bei KM 12 wurden auch wieder Früchte wie Bananen und Äpfel gereicht, wovon ich mich aber noch nicht bedienen wollte. Auf der nächsten Runde vielleicht. Kurz hinter KM 13 (in 03:50 min) konnte man bereits die erste Staffel-Wechselzone sehen. Danach würde unsere kleine Läufergruppe sicher durcheinander gebracht werden, was mich aber nicht zu sehr beirren sollte.
Im sogenannten Haseknie bogen wir inmitten der Wechselzone nach rechts ab und befanden uns erstmals direkt am Wasser, wenn auch noch nicht an dem Hauptfluss Hase. Bei KM 14 (in 03:52 min) erlebte ich dann die bisher größte Überraschung: eine riesige Bühne mit Live-Band und guter, motivierender Musik. Wow! Und auch hier wieder eine der reichlichen Getränkestationen, sehr gut!
Danach folgten nochmals zwei Kilometer Richtung Süden (KM 15 in 03:47 min und KM 16 in 03:57 min), bevor es nach einer scharfen Linkskurve dem nächsten Streckenpunkt mit lauter Live-Moderation entgegen ging. Bei KM 17 (in 03:57 min) wurde ich namentlich genannt und lauter Beifall ertönte, sehr geil. Ich schätzte diesen Punkt der Strecke aus dem Grund, dass er mir auf der zweiten Runde sicher das letzte Quäntchen Motivation geben würde.
Nach wenigen Metern auf der Hauptstraße ging es zum zweiten Mal über den Fluss und dann nach links unmittelbar auf die Flusspromenade zu. Dieser schmale Rad- und Spazierweg mit seinen dunkelroten Pflastersteinen war mir bereits aus älteren Laufberichten bekannt und nun wusste ich, welchem Streckenabschnitt er zuzuordnen ist. Der Weg schlängelte sich stets parallel zum Fluss direkt Richtung Innenstadt. Jedoch mussten zuvor noch drei harte Kilometer überwunden werden, die zum Teil durch etwas Gegenwind geprägt waren (KM 18 in 03:54 min, KM 19 in 03:55 min und KM 20 in 03:58 min). Für motivierende Ablenkung sorgten auch hier ein paar Sprüche, wie z.B. „Nur noch 3 km zum Erdinger!“ … nunja, für mich waren es noch gut 24 km, aber was soll’s?
Kurz hinter der achten Getränkestation gab es eine hölzerne Brücke, die uns einen kleinen Nebenfluss überqueren ließ und uns weiter Richtung Start-/Zielbereich leitete. 300 Meter vor der ersehnten Halbzeit ging es in die fast menschenleere Fußgängerzone der Stadt Löningen, in der bereits zwei Ordner standen und uns Läufer in die beiden unterschiedlichen Richtungen lenkten: Während die Halbmarathonis nach rechts in Richtung Ziel bogen, musste ich weiter geradeaus laufen (KM 21 in 03:51 min). Knapp 100 Meter später lagen exakt bei der Halbmarathon-Marke Zeitmessmatten aus, die meine Zwischenzeit sekundengenau notierten. Mit einer sehr ambitionierten ersten Hälfte in 01:21:29 Stunden konnte ich zwar zufrieden sein, jedoch ist das kein Zeichen von kluger Renneinteilung. Ich fühlte mich zwar nach wie vor frisch, aber das Wetter würde mir spätestens ab dem gefürchteten KM 35 einen Strich durch die Rechnung machen. So lautete mein Bauchgefühl.

Nach exakt 21,1 km sah ich Sophie am linken Streckenrand im roten Regenponcho eingehüllt, wie sie sich aufs Rad schwang und mir hinterher radelte. Dieses Mädel ist verrückt, dachte ich mir im ersten Moment, denn noch immer regnete es gleichmäßig und ohne Aussicht auf besseres Wetter. Es war kein starker Regen, aber nach nur einer Minute ist man auch bei diesem Schauer nass, Regenjacke hin oder her!
Das erste, was Sophie mir mitteilte, war meine derzeitige Position im Gesamtfeld: Dritter Platz! Sauber! Dann gab sie mir einen Status meiner Mitbewerber durch: Elias Sansar führte deutlich, Manuel Meyer passierte die Halbmarathon-Marke nach 01:18:23 Std. und hinter mir sah man keinen direkten Verfolger. Perfekt, so sollte es sein. Außerdem teilte ich ihr mit, dass ich bisher keinen Kilometer in über 4 Minuten absolviert habe und prinzipiell zu schnell unterwegs war. Nach 2-3 Minuten hatten wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand gebracht und konnten die gemeinsame Reise durchs Hasetal genießen, soweit das möglich war. Für ein wenig mehr Genuss sorgte bei mir die gute Nachricht, dass Polen im Elfmeterschießen gegen die Schweiz gewonnen hat und damit ins Viertelfinale der Europameisterschaften in Frankreich eingezogen ist. Top!
Mit dem nächsten Kilometer, der bereits an den Waldrand des Werwer Fuhrenkamps heranführte, war meine besagte Serie gerissen und die erste „4“ leuchtete auf (KM 22 in 04:01 min). Egal, denn damit war zu rechnen.
Für Sophie begann die Radtour nun sehr abenteuerlich, da es nach Passieren der Getränkestation bei KM 22,5 in den verregneten und mit Pfützen übersäten Wald hineinging. Mit einem Schmunzeln stellte Sophie fest, dass es sich hierbei wortwörtlich um einen Regenwald handelte. Oohjaaa, wie Recht sie hatte.
Nachdem ich von zwei schnellen Staffelläufern überholt wurde, die mich zu zwei schnellen Kilometern trieben (KM 23 in 03:56 min und KM 24 in 03:44 min), verließen wir den Wald und wurden wieder dem Wind ausgesetzt. Dies rang mir einen weiteren Kilometer über der 4-min-Barriere ab (KM 25 in 04:01 min). Ein Gefühl, mit dem ich mich nun zunehmend anfreunden musste. Dafür war die erste Runde mitunter durch die gute Konkurrenz zu schnell gewesen.
Als es Richtung Evenkamp ging (KM 26 in 03:57 min), bekam auch Sophie erstmals die super Stimmung am Streckenrand zu spüren. Sowohl die erste Verpflegungsstation mit lauter Musik, als auch der kurz darauf folgende Planwagen mit der Männerrunde haben uns begeistert und ließen uns die Strapazen kurzzeitig vergessen. Als es wieder ruhiger wurde, fiel meiner Begleiterin auf, dass sich ein junger Läufer näherte. Ob es sich um einen Staffel- oder Einzelläufer handelte, konnte sie noch nicht sehen, da die meisten Staffelläufer den Stab nah am Unterarm hielten und dieser somit von weitem nicht sichtbar war. Bei KM 27 (in 04:10 min) konnten wir jedoch vermuten, dass es sich um keinen Marathoni handeln konnte. Seine Geschwindigkeit war deutlich zu schnell im Vergleich zu meiner und so fiel mir ein weiteres Mal ein kleiner Stein vom Herzen. Den dritten Platz konnte ich somit nach Zwei-Dritteln des Rennens immer noch verteidigen.
Der junge Staffel-Läufer führte seinen flotten Überholvorgang genau auf der Brücke über dem Fluss Hase bei KM 28 (in 04:06 min) aus. Dabei zollte er mir seinen Respekt und gratulierte vorab. Dankeschön! Aber noch stand der harte Brocken aus.
Die folgenden 5 Kilometer, die über breite Straßen und vorbei an großen Feldern führten, boten abermals wenig Ablenkung. So war es glücklicherweise Sophie, die mit ein paar kurzen Erzählungen oder ganz kurzen Fragen die Stimmung auflockerte. Sie versuchte zudem, mir meinen Unmut über das langsamere Tempo auszureden. Doch wird sie sicher auch gewusst haben, dass ich mit meiner Eigenkritik Recht hatte, denn wer seinen 23. Marathon läuft und sich gern als „erfahren“ bezeichnet, sollte imstande sein, das Tempo zumindest bis KM 35 halten zu können. Das ist mein Anspruch und davon rücke ich nur ungern ab. Auch die heutigen Bedingungen sind da keine Ausrede. (KM 29 bis 33 in 04:00 min, 04:08 min, 04:05 min, 04:07 min und 04:10 min).
Als bei KM 33 wieder der Abschnitt mit den Flaggen vor uns war, mutmaßte Sophie, dass über die lauten Lautsprecher die Fußball EM übertragen werden müsste. Anders konnte sie sich die Szenerie nicht erklären. Ich wusste es besser, schwieg aber und freute mich wieder darauf, vom Moderator laut angekündet zu werden. Und nicht nur ich wurde als Marathoni erwähnt, auch Sophie bekam ein Lob für ihre Begleit-Dienste. Wir freuten uns über den erneuten Ansporn und bogen links in die nächste Straße ein. Im letzten Moment griff ich am dortigen Verpflegungsstand zu einer geschälten Banane, die mir eine Dame mit ausgestrecktem Arm entgegenhielt. Zwei kleine Bisse mussten reichen, um dem verwirrten Magen etwas verdauliche Beschäftigung zu bieten. Den Rest der Banane warf ich auf den rechten Seitenstreifen.
Kurz vor der Staffel-Wechselzone war KM 34 in 04:11 min erreicht, acht Kilometer als (nur) noch. Langsam zweifelte ich wieder daran, meine Position halten zu können, und rechnete jederzeit damit, vom Viertplatzierten überholt zu werden. Mit einer mittelstarken Backpfeife wollte ich mir diese Gedanken einerseits aus dem Kopf schlagen und andererseits wieder wach werden und nicht in negative Träume versinken. „Wach auf, Patrick, reiß dich zusammen!“
In der Wechselzone feuerte mich der junge Staffelläufer von vorhin nochmal an und ich nahm diese und jede andere Reaktion von außen gerne als Motivation auf. So auch die kurz bevorstehende Live-Band bei KM 35 (in 04:21 min), auf die ich mich besonders freute, weil Sophie nun dabei war. Auch für sie sollte dieses Streckenhighlight eine Art Lohn für die vielen Strapazen sein.
Allerdings haben zwei ganz andere Personen zunächst ihre und dann auch meine Aufmerksamkeit gewonnen: meine Eltern! Wow, was für eine Überraschung!? Normalerweise habe ich nicht mehr mit ihnen gerechnet, nachdem bekannt geworden ist, dass das besagte Polen-Schweiz-Spiel um 15 Uhr stattfinden sollte und das Wetter alles andere als zuschauerfreundlich war. Und trotzdem haben es sich meine Eltern nicht nehmen lassen, die insgesamt 100 km Fahrt auf sich zu nehmen, um mich bei KM 35 ein einziges Mal anzufeuern. Wahnsinn, ihr seid die Besten!
Meiner Mutter habe ich einen Handkuss zugeschickt und mein Vater klopfte mir beim Vorbeilaufen leicht auf die linke Schulter. Das tat gut! Motivation pur! Und beide haben mir gleichzeitig zugerufen, ich wäre auf dem dritten Platz … na mal schauen, wie lange noch.
Vorbei an der Live-Band und einer Getränkestation, die ich nicht genutzt habe, ging es scharf links ab und in einen schmalen Pfad hinein. An dieser Stelle sagte Sophie etwas Ähnliches wie „Typisch Kaczynskis – für so eine Überraschung seid ihr zu haben!“
Hinter KM 36 (in 04:14 min), der wieder ein bisschen schneller war, wurde es aber wieder extrem hart. Zwei weitere Backpfeifen – eine links, eine rechts – mussten folgen, damit ich zuversichtlich blieb. Auch Sophie versuchte, die richtigen Worte zu finden, und tat sich etwas schwer damit. Jedoch hätte ich ihr nicht sagen können, was mir hilft und was nicht, da ich es selbst nicht genau weiß.
Bei KM 37 (in 04:29 min) griff ich erstmals zu einem Becher Iso-Getränk, das mir dankenswerterweise gereicht wurde. In drei Schlucken war der halb gefüllte Becher leer. Lecker! Normalerweise bevorzuge ich zu diesem Zeitpunkt Cola, die ich an diesem Getränkestand aber nicht so schön gereicht bekommen habe. Egal!
Mit KM 38 (in 04:35 min) erreichten wir wieder die Brücke über den Fluss und die bevorstehende Promenade. Obwohl diese echt idyllisch ist, fürchtete ich nun ihre Länge von über 3,5 km. Diese konnten nun extrem lang werden und das wurden sie auch (KM 39 in 04:48 min, KM 40 in 04:53 min und KM 41 in 04:55 min). Zudem machte mich ein weiterer Verfolger nervös, den ich aber nach einem kurzen Schulterblick nach links als Staffelläufer identifizieren konnte. Was ein Glück! Einzige Motivation boten ein paar langsame Halbmarathonis, die ich noch einholen und überholen konnte. Mehr war nicht drin. Sophie radelte links neben mir her und führte mir alle paar Sekunden vor Augen, dass es nun echt nicht mehr weit war. Sie hatte Recht und redete auf mich ein, dass ich es schaffen würde. Dass das klappen konnte, ahnte ich bereits, aber schön waren die Qualen nun doch nicht mehr.
Der ganz leichte Anstieg vor der letzten Getränkestation bei KM 40,5 war ein weiteres Hindernis, das ich mit einem zweiten Becher Iso belohnen wollte. Ein letztes Mal Zucker für den Schlusssprint. Etwa 500 Meter vor dem Ziel verließ ich die Flusspromenade nach rechts und machte mich auf den Weg in die Innenstadt. Durch einen weiteren Schulterblick habe ich mich vergewissern können, dass mir der dritte Platz und damit der Reisegutschein nicht mehr genommen werden konnten. Und dennoch wollte ich es mir nochmal beweisen und zog das Tempo an. Bei KM 42 zeigte die 04:40 min. Das war okay, mehr auch nicht.
Eine letzte Rechtskurve Richtung Kurt-Schmücker-Platz und ein lang gezogener Linksbogen bis schließlich 15 Meter vor der Ziellinie der ersehnte rote Teppich erreicht war. Meine Freundin auf dem Rad habe ich völlig aus den Augen verloren, eine Siegerpose habe ich mir ebenfalls nicht überlegt und so richtig genießen konnte ich das Ende auch noch nicht. Auf diese leicht abwesende Art und Weise überquerte ich die Ziellinie, stoppte meine Uhr und hörte durch die Lautsprecher meinen Namen. Nun war ich doch tatsächlich im Ziel …

Mit einer zweiten Rennhälfte von 01:29:25 Std. war ich zwar weniger zufrieden, aber die Gesamtzeit von 02:50:54 Std. konnte sich sehen lassen. Mein nunmehr neunter Marathon in Folge unter 3 Stunden, genial!

 

Nachher

Aufgrund der wenigen Zuschauer entdeckte ich meine Eltern an der rechten Begrenzung des Zielbereichs. Sie winkten und riefen mir zu und ich bedankte mich sofort für die spontane und super-tolle Unterstützung, echt Hammer!
Dann tauchte auch Sophie auf, die ich im ersten Moment nur küssen wollte. DANKE für diesen harten Halbmarathon! Ich glaube, das werden wir beide so schnell nicht vergessen.
Bevor ich den abgesperrten Zielbereich verlassen konnte, gab es erstmal persönliche Glückwünsche vom Organisator und eine schöne Medaille umgehängt. Danach gönnte ich mir endlich meine lang ersehnte Cola und kippte davon gleich drei volle Becher hinunter. Es folgten ein Becher Apfelschorle und zwei Becher Krombacher Alkoholfrei auf die Hand, die es jedoch auch nicht lange ausgehalten haben. Als der Durst vorerst gestillt war, gab es noch eine Tafel Milka Schokolade, die wir uns zu viert teilten. Noch war ich nicht ganz bei Sinnen, aber ich genoss die Ruhe und versuchte, das Erlebnis positiv zu verarbeiten. Hatte der Lauf etwas Meditatives? Ich glaube nicht … wahrscheinlich war ich einfach nur extrem k.o.

Als ich mir meine Laufjacke übergezogen habe, die Sophie zum Glück bei sich hatte, machten wir uns langsam auf die schwierige Suche nach dem Auto. Mit meinen Eltern haben wir währenddessen vereinbart, dass wir uns erst spät am Abend zu Hause wiedersehen würden. Denn bis zur Siegerehrung zu warten, würde für beide viele Stunden im Kalten bedeuten. Als wir nach über 10 Minuten das Auto endlich wiedergefunden und das Klapprad im Kofferraum verstaut hatten, entschieden wir uns spontan dazu, den Weg zu den Duschen mit dem Auto zurückzulegen. Auf noch mehr Sucherei in diesem unübersichtlichen Dorf hatten wir beide keine Lust mehr.
Nach knapp 2 Kilometern erreichten wir in der Nähe des Startbereichs den Parkplatz des Wellenfreibads von Löningen. Die dortigen Duschen durften von uns mitbenutzt werden, jedoch sieht angemessener Komfort anders aus: der Eingang zur Damendusche verlief durch die Herrnumkleide und wir drei Männer mussten uns gemeinsam eine einzige Dusche teilen. Zum Glück habe ich noch eine gute Lücke erwischt, denn nach mir folgten noch einige mehr in den kleinen Vorraum. Immerhin war das Wasser warm und so konnte ich trotz schnellen Duschens wieder zu Kräften kommen.
Gegen 21 Uhr machten Sophie und ich uns wieder auf den Weg zum Kurt-Schmücker-Platz, wo wir um 22 Uhr die Siegerehrung erwarteten. Vorher gönnten wir uns an einem der Essensstände drei Kartoffelpuffer mit Apfelmus.
Als sich dann aber herausstellte, dass um 22 Uhr nur die Staffel-Teams geehrt wurden und nochmals 45 Minuten 90er-Jahre-Live-Musik folgten, fanden wir es doch ein wenig schade, so lange warten zu müssen. Sophie entschied sich also gleich nochmal für drei Kartoffelpuffer, während ich etwas Herzhafteres brauchte und mir mal wieder eine Dönertasche mit allem Drum und Dran holte.
Pünktlich um 23 Uhr wurden dann erst die besten drei Damen auf die Bühne gebeten, bevor ich als drittplatzierter Mann folgen durfte. Mir wurden ein schöner Blumenstrauß und ein großer, laminierter Reisegutschein in Höhe von 300 € überreicht. Meine vage Hoffnung auf diese Platzierung und diesen Preis hat sich bewahrheitet und so haben sich unsere investierte Zeit und Kraft mehr als gelohnt. Für welche Art von Reise der Gutschein aufgewendet wird, wird sich mit der Zeit ergeben, aber dass es eine Reise zu zweit sein wird, steht völlig außer Frage.

Nachdem ich am Ende unserer Ehrung erfahren habe, dass die Altersklassen entgegen der Aussage in der Ausschreibung doch nicht geehrt werden, machten wir uns um 23:15 Uhr auf den knapp einstündigen Rückweg nach Hopsten, wo meine Eltern noch auf uns warteten. Sie gratulierten mir nochmals und freuten sich mindestens genauso über diesen einmaligen Preis. Gegen 01:00 Uhr lagen wir dann endlich alle im Bett und brauchten nicht lang, um tief und fest einzuschlafen.

Wenn die Organisatoren des Remmers-Hasetal-Marathons in Löningen an einigen Punkten nachbessern würden (z.B. Ausschilderung im Ort, ordentliche Duschen, frühere Siegerehrung), wäre dies eine tip-top Veranstaltung, die ich wärmstens empfehlen könnte. Die Strecke und Atmosphäre sind einfach super und bei sonnigem Wetter sicher noch weitaus schöner und stimmungsvoller, als es heute schon der Fall war. Für mich bleibt Löningen vorerst ein einmaliges Erlebnis, das ich in guter Erinnerung behalte!

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,195 km

 

02:50:54 Std.

 

02:50:55 Std.

 

Männl. Hauptklasse (87-96)

 

1. von 8 (12,5 %)

 

3. von 120 (2,5 %)

 

3. von 144 (2,1 %)