11. Kristallmarathon im Erlebnisbergwerk Merkers

12.02.2017

Vorher

Am Montagabend, den 07.11.2016, fiel die Entscheidung so spontan, wie vor kaum einem anderen Marathon: Im Februar 2017 laufe ich unter Tage!
Auslöser waren die letzten beiden verfügbaren Startplätze, die es für diesen beliebten Event noch gab. 498 angemeldete Teilnehmer bei 500 möglichen Startplätzen – Diese Knappheit in Verbindung mit einem solchen Highlight lösen bei mir nun mal unberechenbare Reaktionen aus. Kurz mit meiner Freundin bequatscht und schon war die Sache geritzt: wir freuten uns auf unvergessliche Erlebnisse im Kristall-Bergwerk in Merkers.
Auch ein Hotel für die Nacht von Samstag auf Sonntag sollte schnell her. Da der kleine Ortsteil Merkers im Dreieck zwischen Fulda, Bad Hersfeld und Eisenach nicht gerade als Tourismus-Hochburg gilt, war die Auswahl dünn und ich rechnete schon mit hohen Preisen. Doch es kam anders, als erwartet, denn im 15 km entfernten Sünna bin ich auf das spannende Keltendorf gestoßen. Für nur 64 € sollte es neben einer Übernachtung im Keltenhotel auch ein reichhaltiges Frühstück geben. Außerdem weckte die hügelige Landschaft rings um das Dorf herum mein Interesse, denn bei gutem Wetter könnten wir hier am Samstag sicher noch ein wenig spazieren gehen.
Nachdem der Marathonstart und das Hotel fix waren, durften wir nicht vergessen, auch für Sophie ein Ticket für Untertage zu buchen. Am 23.01.2017 bestellte ich für 23 € (+ 4 € Porto) das sogenannte Begleiter-Ticket, mit dem Sophie mich von Anfang bis Ende des Tages begleiten durfte. Zu allen Daten & Fakten rund um das Bergwerk und den Marathon dann später mehr.

Ohne spezifischem Training für diesen besonderen Lauf, aber frisch ausgeschlafen und ohne jegliche Beschwerden machten wir uns am Samstagmorgen um 11:30 Uhr auf den langen Weg von Hamburg, meinem neuen Wohnort, Richtung Thüringen. Ohne viel Verkehr und Baustellen gelangten wir in 4,5 Stunden zu unserem Ziel weit abseits großer Straßen oder gar Autobahnen. Die Sonne stand schon tief, doch da der restliche Himmel wolkenlos war, wollten wir nach dem Check-In noch die Vorboten des Frühlings in Form eines Spaziergangs genießen. Wir erkundeten die Umgebung und entdeckten mehrere Hochsitze, die letzten Reste Schnee und Eis und einen Tipi aus Holzästen.

Gegen 18 Uhr machten wir uns fertig zum Ausgehen, denn die obligatorische Pasta-Party durfte auch irgendwo im Nirgendwo nicht fehlen. Im Internet entdeckten wir, dass es in Sünna ein einzelnes italienisches Restaurant geben soll, also war dies unsere erste Anlaufstelle. Dort standen wir jedoch vor verschlossenen Türen, na toll. Die Suche ging also weiter und so wurden wir erst 20 Minuten später im benachbarten Vacha fündig. Nachdem wir das Chinarestaurant „Peking“ und die Gaststätte „Scharfe Ecke“ links liegen gelassen haben, gelangten wir wenige hundert Meter weiter zur gut besuchten Gaststätte „Kellerhaus“. Hier war nicht nur der Parkplatz rappelvoll, sondern gefühlt auch der ganze Saal. Mit so vielen Gästen haben wir in diesem Dörfchen gar nicht gerechnet, aber es diente als gute Referenz.
Nachdem wir von vielen Leuten mit großen Augen als Fremdlinge erkannt und fast schon bestaunt wurden, bestellten wir unser Essen. Sophie entschied sich für einen Nudel-Schinken-Auflauf, während ich heute wieder mit zwei Portionen rechnete. Zuerst gab es einen leckeren Gnocchi-Auflauf, bevor ich danach noch einen großen Teller Spaghetti Bolognese hinunter drückte. Eine Pasta Party vom Feinsten!

Nach dem reichhaltigen Essen folgte im Hotelzimmer der obligatorische Zapping-Abend. Denn man sollte einen Fernseher in solch einer Nacht ausnutzen, solange man privat noch keinen hat. Die Wecker waren auf 6:30 Uhr gestellt, sodass wir getrost vor der Flimmerkiste einschlafen konnten.
Am nächsten Morgen wurde das Frühstück extra für uns und eine zweite Gästegruppe, die ebenfalls an dem Laufevent teilnehmen wollte, um eine gute Stunde nach vorne verlegt, sodass wir um kurz nach 7 Uhr in der guten Kelten-Stube waren und unsere Teller füllten.

Da die anderen Gäste sehr früh aufbrachen und das Hotel schon verließen, während wir erst in die zweite Brötchenhälfte bissen, wurde auch ich etwas unruhig. Das führte dazu, dass auch unser Start in den Tag etwas abrupt endete, wir uns im Zimmer noch schnell frisch machten und um 8 Uhr auscheckten. Etwa 20 Minuten später befanden wir uns dann aber durchaus pünktlich am Erlebnis Bergwerk Merkers, wo bereits die Parkplätze knapper wurden. Wenige Meter von der Eingangshalle entfernt parkten wir auf einer Wiese und stapften von dort voll bepackt mit Proviant für alle Eventualitäten Richtung Startnummernausgabe. Auch auf diesen knapp 100 Metern wurden gefühlt 100 Fotos geknipst, so aufgeregt war ich.

Nun mussten Sophie und ich uns vorerst von dem bewölkten Himmel und Temperaturen von knapp über 0°C verabschieden, denn unter Tage erwarteten uns ganz andere und völlig neue Verhältnisse: Wo herrschen in Deutschland Mitte Februar 21°C bei 30 % Luftfeuchtigkeit und absoluter Windstille? Na hier im Bergwerk Merkers, das mit seinem Streckennetz von 4.600 km und maximalen Tiefe von 860 Metern weitere imposante Zahlen aufweist.
Nach Abholung meiner Startnummer und dem Zeitmess-Chip, den es am rechten Handgelenk zu tragen gilt, machten wir uns mit vielen anderen Läufern und Besuchern langsam auf den Weg zu den Liften. Am Anfang der Warteschlange wurden den Besuchern weiße Schutzhelme vergeben, sodass wir allesamt auf der abenteuerlichen Überführung zum Startgelände von eventuell herabfallenden Dingen geschützt waren. Ich bediente mich meinem Rennradhelm, den ich schon am Freitagabend mit meiner Stirnlampe versehen hatte. Beide Dinge sind verpflichtende Bestandteile unserer Laufausrüstung.

Um kurz nach 9 Uhr war es dann endlich so weit: wir stiegen in den mittleren Korb des dreistöckigen Fahrstuhls ein und hatten die anderen laut kichernde und ängstlich tuschelnde Leute sowohl über als auch unter uns. Wie erwartet war es kuschelig im Fahrstuhl, sobald die Türen geschlossen waren, und mit Beginn der ruckelnden Fahrt in die Tiefe wurde es zudem stockdunkel.

Nach gefühlt einer Minute waren wir schon in einer Tiefe von 500 Metern angekommen, wo der Marathon mit seinem Rahmenprogramm stattfinden sollte. Mit Verlassen des großen Käfigs waren die ersten „Wow“-Rufe zu hören und wir zwei gehörten definitiv dazu. Es folgte noch das Durchqueren einer Luftschleuse, bevor es auf die wartenden gelben Trucks zuging, die uns zum Event bringen sollten. Beim Vorbeigehen wurde noch schnell die Heilige Barbara, Schutzpatronin der Bergleute, abgelichtet und dann ging’s schon auf die Ladefläche des Wagens mit der Nummer „17“. Welch ein Zufall, denn dabei handelt es sich nicht nur um meine Lieblingszahl, sondern sie steht zudem symbolisch für die Anzahl an Marathons, die ich im Jahr 2017 absolvieren möchte.

Und was nun folgte, kannte ich bereits aus diversen YouTube-Filmchen von vergangenen Veranstaltungen: die knapp 10-minütige, rasante Fahrt durch die verwinkelten Stollen. Das Besondere daran war jedoch, dass wir auf den hinteren Bänken weder geschützt, noch angeschnallt saßen und nur wenig Luft zwischen Kopf und der Decke des Stollens hatten. Gefühlt hätte man diese während der hügeligen Fahrt anfassen können, versucht hat es zum Glück niemand. Ebenso besonders war, dass uns die 35 km/h mindestens doppelt so schnell vorkamen, und dadurch ein Achterbahn-Gefühl der Superlative entstand. Sophie und ich hielten uns durchgehend ganz fest aneinander und genossen das Kribbeln in vollen Zügen.
An einem der beiden Getränkestationen des 3,25 km langen Rundkurses angekommen, durften wir die Trucks verlassen und begaben uns zu Fuß auf die letzten Meter zur großen Halle, die mit ihren 250 Metern Länge, 22 Metern Breite und 17 Metern Höhe zum größten unterirdischen Konzertsaal der Welt gekürt ist. Von der einzigartigen Akustik durften wir uns sobald überzeugen, denn neben uns Läufern war auch laute Musik am Start.
Als weiteres Highlight entpuppte sich der riesige Schaufelradbagger, der als weltweit größter unter Tage gilt, und heute stets als Mittelpunkt und Blickfang dienen würde. Da die Halle schon gut gefüllt war, wir aber eine möglichst ruhige Ecke haben wollten, in der Sophie sich noch von der kurzen Nacht erholen konnte, gingen wir relativ weit nach vorne bis kurz vor die Bühne. Auch von dort hatte man einen Wahnsinnsausblick über die gesamte Halle. Jedoch sollte es heute an Ruhe mangeln, denn die Musik blieb dauerhaft laut aufgedreht.
Noch bevor der Start der 10-km-Läufer um 10 Uhr erfolgen sollte, wollte ich mich auf einem eigens dafür abgesperrten Teil des Kurses warmlaufen. Da ich allerdings mit so vielen neuen Eindrücken zu kämpfen hatte und mich an dem gigantischen Hochseilgarten hinter der Bühne nicht satt sehen konnte, fiel mein Warmlaufen bescheiden kurz aus. Was soll’s? Ich rechnete ohnehin mit keinen Höchstleistungen auf der mit 750 Höhenmetern gespickten Strecke. Da würde ich die ersten paar Runden einfach zum Warmlaufen nutzen und hoffentlich nicht zu schnell starten.

Um 9:47 Uhr überraschte uns die Organisation mit dem Steigerlied und einer begleitenden Laser-Lichtshow, die mehrere Minuten andauerte. Gänsehaut machte sich breit und dabei handelte es sich noch nicht um meinen Lauf, für den dieses Lied angestimmt wurde. Nachdem der ebenso laute Applaus verhalt war wurde die Aufregung bei den 150 Läufern über die 3 Runden (somit exakt 9,75 km) spürbar größer. Durch die vielen Fahrradhelme und Stirnleuchten wirkte das Starterfeld noch unruhiger, als bei gewöhnlichen Straßenläufen. Aber es hat Spaß gemacht, zuzusehen, und so verfolgten wir gespannt, wie sich die Truppe pünktlich um 10 Uhr in Bewegung setzte.

Der Sieger - ein junger Läufer von 17 Jahren - besiegte die Konkurrenz deutlich mit respektablen 36:01 Minuten, bevor wenig später auch die erste Frau mit einer Zeit von 42:41 min flott unterwegs war.
Danach konzentrierte ich mich fortan nur auf mich: der letzte Toilettengang (den ich aufgrund einer langen Warteschlange auf ein Frauen-Dixi verlegen musste), das letzte Stück Banane, das letzte Schnüren meiner neuen Hoka One One Laufschuhe und das letzte Richten meines Helms. Letzteres war der größte Faktor, den ich nicht einschätzen konnte, denn im Training habe ich den Helm vermieden. Warum eigentlich? - Aus Peinlichkeit? Nein, wohl eher aus Bequemlichkeit.
Dann begann ich, mich von Sophie zu verabschieden und ihr noch letzte Details zum Ablauf mitzugeben. Geplant war, dass sie mir nach etwa zwei Dritteln des Rennens ein Energiegel reicht, welches ich in der winzigen Tasche meiner kurzen Laufhose ungern mitschleppen wollte. Auch das Fotografieren hat sie von nun an voll übernommen und mich schon vor dem Start mehrmals abgelichtet.

Knapp 5 Minuten vor dem Start stand ich in der ersten Reihe des insgesamt 350 Teilnehmer zählenden Pulks. Etwa 200 von ihnen liefen die lange Distanz, während für 150 Sportler nach 7 Runden und insgesamt 22,75 km Schluss sein sollte. Da uns viele große Kameralinsen ins Gesicht gehalten wurden, versuchte ich stets zu lächeln und winkte das eine oder andere Mal in die Kamera. Wer weiß, ob das nicht auch in irgendeinem Online-Filmchen landen wird.
Sophie stand in der dicht gedrängten Zuschauermenge am rechten Streckenrand und lächelte mir ebenfalls zu. Das Handy hielt sie im Anschlag und als es dann endlich um 11 Uhr losging, war sie fleißig am knipsen.

Auf geht die Reise durch die weiten Tiefen eines riesigen Salzbergwerks - so ganz realisieren konnte ich noch nicht, was hier ab sofort geschah. Einfach los! Einfach genießen!

Der Lauf

Von Beginn an wurde richtig Druck gemacht und die ersten Ambitionierten um mich herum rissen mich förmlich mit sich. Es ging links am großen Schaufelradbagger und dem mobilen Getränkethresen vorbei und nach 100 Metern erstmals scharf links ab. Die Kurve war gut ausgeleuchtet und bereits bekannt, da wir über diesen Schacht in die große Halle reingekommen sind. Die erste von zwei Getränkestationen pro Runde ließen wir noch unbeachtet rechts von uns zurück, doch es stand außer Frage, dass alle weiteren Wasserstände genutzt werden sollten. So auch die Empfehlung des Veranstalters.
Nach nur 200 Metern auf dem Rundkurs stand die erste kräftezehrende Steigung bevor. Über zwei steile Abschnitte, die von einem etwas flacheren Anstieg voneinander getrennt waren, wurden die ersten Höhenmeter gesammelt. Oben angekommen konnte man kurzzeitig wieder etwas durchschnaufen, doch der erste kleine Schock für mich folgte bald. Zwei meiner Kollegen - einer von ihnen ebenfalls Marathoni - machten kurzen Prozess und entwischten mir hinter der nächsten Kurve. Der Abstand wuchs deutlich an und gefühlt war ich keineswegs langsam unterwegs. Na mal schauen, wo deren Reise hingeht und ob sich das nicht rächen wird.
Und so lief ich gemeinsam mit dem Vierten im Bunde gleichmäßig einen gefühlten 04:00-min/km-Schnitt. Meine Laufuhr, deren GPS ich natürlich ausgeschaltet hatte und die dennoch in ca. 1 km langen Abständen zu piepen anfing, schenkte ich keine Beachtung. Viel lieber konzentrierte ich mich auf die äußeren Gegebenheiten. Der eckige graue Tunnel führte uns durch unzählige Kurven und sowohl leichte Steigungen, als auch Gefälle. Die Deckenhöhe variierte genauso häufig und es fühlte sich mit Fahrradhelm tatsächlich sicherer an. Ausgeleuchtet waren die Streckenabschnitte jedoch so gut, dass die Lampe am Helm kaum nötig war.
Die nächste Besonderheit auf dem Kurs war eine Stollenkreuzung, die diagonal durch ein Flatterband getrennt war und auf der wir zunächst rechts abbogen. Später würden wir die anderen beiden Wege der Kreuzung nutzen, sodass man hier gute Ablenkung durch andere Läufer kriegen konnte. Zudem war hier ein Mitarbeiter des Bergwerks unermüdlich mit seiner Rassel und seinem Megafon am anfeuern. Einfach mittendrin im Nirgendwo.
Es folgten weitere Kurven, Steigungen und Gefälle, sodass ich nach kaum 1,5 Kilometer völlig die Orientierung verloren hatte. Wahnsinn. Da war ich froh, dass dies eine offizielle Veranstaltung ist und ich stets die Trippelschritte meiner Kontrahenten hören konnte. Die restlichen Bedenken rund um den Sauerstoff und die Bodenbeschaffenheit waren unbegründet. Es gab sowohl eine stete Brise Frischluft, die hier in die Tiefe gepumpt werden musste, als auch einen glänzenden aber komplett rutschfreien Untergrund. Als einzige Stolperfalle zählten einige Löcher und Dellen im Boden, insbesondere in den Innenkurven. Aber auch an diese gewöhnte man sich schnell.
Als nach der Hälfte des Rundkurses der zweite Getränkestand folgte, griff ich beherzt zu einem Becher Wasser, von dem ich zwei bis drei Schlucke nahm. Den Becher pfefferte ich in eine große Tonne, die am linken Streckenrand stand, bevor es daraufhin nach einer weiteren Rechtskurve auf eine sehr lange Gerade zuging. Diese schien leicht anzusteigen, doch ließ sich dennoch sehr gut laufen. Mir kam es glücklicherweise nicht vor, dass ich hier langsamer würde. Mein direkter Konkurrent war nicht der gleichmäßigste Läufer unter uns und so kam es dazu, dass mal er und mal ich mit ein paar Metern Abstand vorne lag.
Am Ende der Geraden folgte nach einer Linkskurve das Highlight des Kurses: ein Gefällestück von 15%, dass mich beinahe zum freien Fall verleitete. Wir mussten höllisch aufpassen, denn die Verletzungsgefahr auf dieser Passage war enorm groß. Ich wollte gar nicht daran denken, wie es mir meine Knie nach dem Lauf „danken“ würden. Nach dem sehr steilen Stück folgten mehrere weniger anspruchsvolle Abschnitte, die uns gefühlt immer näher Richtung Start-Ziel-Bereich brachten. Etwas anstrengend war dann aber eine scharfe 180°-Rechtskurve um einen Pfeiler herum, nachdem es auf einem Bergab-Stück locker an die 18 km/h heranging.

Von hier an wurden die Gänge dann wieder breiter und höher. Auch wurde es zunehmend lauter und wir konnten ahnen, dass es in großen Schritten auf das Ende der 1. Runde zuging. Mit einer leichten Steigung und einem weiteren starken Gefälle-Stück betraten wir die große Kletter- und Abenteuerhalle. Mit einer Art Schlusssprint freute ich mich erstmals auf Sophie am rechten Streckenrand und war zudem gespannt auf meine Zwischenzeit. Geplant waren 13:50 min pro Runde, die dann multipliziert mit 13 eine Gesamtzeit von minimum 02:59:50 Stunden ergeben sollten.
Entgegen des Plans standen nach dem ersten Piepen am Zeitmesspunkt ganze 12:11 Minuten zu buche. Uff, das war definitiv zu schnell, keine Widerrede! Und so lächelte ich Sophie entgegen, freute mich über das erste Streckenfoto von mir und entschwand als derzeit Zweitplatzierter im Marathon auf meine 2. Runde.

Motiviert durch den Applaus aus der großen Konzerthalle nutzte ich die erste Getränkestation für einen weiteren Schluck Wasser und sprang anschließend die nächsten Höhenmeter empor. Noch konnte von einer Art „Hochspringen“ die Rede sein, doch das wird sich sicherlich bald ändern. Hauptsache nicht gehen müssen, dachte ich mir an dieser mit Abstand schwersten Passage des Tages.
Ich duellierte mich weiterhin mit dem Läufer in Grün und bemerkte kaum, wie sich ein Läufer in Rot aus dem Raum Berlin an uns heranpirschte. Nun waren wir also eine Dreiergruppe, die sich jedoch gut verstand. Wir wechselten ein paar Worte und witzelten ein bisschen herum. Zum Beispiel stellte sich heraus, dass der Berliner lediglich den Halbmarathon lief, um sich für die Deutschen Meisterschaften im 6-Stunden-Lauf in Münster zu schonen. Ich wiederum merkte scherzhaft an, wie schade es sei, dass wir bei dem 15-%-igen Gefälle binnen Sekunden alles Erarbeitete wieder verloren hatten. Ein kurzes Kichern entwich. So unterhalten wir schnellen Marathonis uns nun mal. Viel mehr als ein paar Worte braucht es nicht für neue Freundschaften.

Am Ende der 2. Runde schaute ich auf die große Leinwand rechts der Strecke und sah eine Zeit von 12:52 Minuten aufleuchten. Immer noch war ich knapp eine Minute pro Runde zu schnell unterwegs, aber der Trend ging zumindest in die richtige Richtung. Von der Platzierung her änderte sich nichts und ich blieb auf dem zweiten Platz des Marathonfeldes. Die beiden Kollegen in Grün und Rot waren jeweils Halbmarathonis und somit nicht weiter gefährlich für mich.

Auch die dritte Runde spulte ich völlig entspannt ab und genoss die einmalige Kulisse des Salzbergwerks in vollen Zügen. Das eine oder andere Mal versuchte ich, der Luft etwas Salziges zu entlocken, doch da waren meine Nase und Zunge wohl nicht feinfühlig genug.
Weiter über Aufs und Abs und vorbei an zwei Wasserstationen mit netten Helfern flog ich der Ziellinie ein drittes Mal entgegen und sah nun eine Zeit von 12:57 min. Damit konnte ich leben, auch wenn es etwas zu schnell erschien. Meine neue Messlatte lag von nun an bei 13 Minuten, sodass ich damit auf eine Zielzeit von exakt 02:49:00 Stunden aus war. Eine schier utopische Zeit in solch einer Umgebung mit insgesamt 750 Höhenmetern und diesem ollen Helm auf dem Kopf - dachte ich mir. Aber da es sich locker anfühlte, sammelte ich Minute um Minute und Sekunde um Sekunde auf mein Polster-Konto.

Sophie lächelte ich ein weiteres Mal zu und zeigte ihr den Daumen-Hoch. Wie ich sie kenne, ahnte sie sicher schon, dass ich etwas zu flott unterwegs war, und so sendete ich Signale, dass es mir sehr gut ging. Was sie mir eventuell zurief, weiß ich leider nicht, da die Halle nach wie vor tobte. Es war jedes Mal aufs Neue ein Anflug von Gänsehaut, als wir dem Saal näher kamen. So durfte es gern weiterlaufen.
Was nun mit der Zeit ebenfalls zunahm, waren die Überrunden. Da es sich um so kurviges Terrain und viele Steigungen handelte, waren die Überrundungen normalerweise kein Problem. Lediglich an den Getränkeständen verweilten die langsamen Läufer etwas zu lang, sodass es zu Staus und Rempeleien kam. Tut mir leid, aber bei solch besonders schwierigen Bedingungen verstehe ich die Leute nicht, die in Scharen vor den Tischen stehen bleiben und den Griff zu einem Wasserbecher verhindern. Lieber sollen sie sich einen Becher schnappen und weitergehen oder hinter den Tischen erst stehen bleiben. Ich wollte mir keine Pause erlauben, die meinen ohnehin schwankenden Rhythmus zusätzlich negativ beeinflussen würde. Und so riskierte ich ein-zweimal, ohne einen Schluck Wasser weiter zu laufen. Die nächste Wasserstelle folgte immerhin schon nach gut 1,5 km.
Nach nunmehr 10 km (in 38:59 min) ging es schnurstracks auf das erste Viertel zu. Doch plötzlich schien mein zweiter Gesamtplatz nicht mehr so sicher. Ein weiterer Läufer der Ultralauf-Gemeinde aus Berlin (LG Nord Berlin Ultrateam) heftete sich zunächst an meine Fersen und überholte mich dann auch zwischenzeitig. Kurz bevor die 4. Runde beendet war, ging er an mir vorbei und lief einen 2-sekündigen Vorsprung raus. Dadurch verleitete er mich zu einer Rundenzeit von 12:44 min (13 km in 50:44 min).

Sophie lächelte ich erneut zu, doch ein fröhliches Daumen-Hoch gab es nicht mehr. Ich fragte mich, ob sie sich die Durchgangszeiten von mir und meinen Kontrahenten auf der Leinwand anschaute und sich ausrechnen konnte, wie meine Chancen stehen. Spätestens wenn die Halbmarathon-Läufer von der Strecke sein werden, würde die ganze Sache sicher auch für sie übersichtlicher werden. Und normalerweise liebe ich das Kopfrechnen während des Laufens ja auch, doch hier 500 Meter unter der Erde würde ich den reinen Genuss vorziehen. Nunja, dann musste halt ein Kompromiss aus beidem her.
Durch die neue starke Konkurrenz, die auch auf den schwierigen Streckenabschnitten taff erschien, blieb ich hoch motiviert und hielt mein Tempo gleichbleibend schnell. Runde Nr. 5 abermals in 12:44 min war das Resultat, doch diesmal überliefen wir die Ziellinie gemeinsam. Ich näherte mich also wieder dem zweiten Gesamtplatz und war höchst gespannt, wie der Kollege aus Berlin das Tempo verkraftete.

Noch blieben wir gleich auf und die Atmosphäre in der Halle schien uns beide gleichermaßen zu beflügeln. Jedes Mal wurden wir auf der Start-Ziel-Geraden spürbar schneller und es wurde zu einem wahren Krimi, obwohl gerade mal gut zwei Drittel absolviert waren. Mein Kopf bekam ordentlich was geboten und doch fürchtete ich mich gerade bei diesem Streckenprofil vor dem Mann mit dem Hammer.
Also nicht zu lang Grübeln, sondern weiter im Programm. Höhenmeter um Höhenmeter erklommen wir die unterschiedlichen Schächte des verzweigten Tunnelsystems. Beinah orientierungslos irrten wir mit 15,5 km/h umher und richteten den Blick stets auf den Boden knapp vor den Füßen. Bloß nicht umknicken und keine kleine Sandfläche erwischen, sondern vielmehr immer auf der Suche nach der Ideallinie sein. Mann gegen Mann, Schulter an Schulter. Es gab keine netten Pläuschchen mehr, denn wir wollten beide nur das Eine. Wie Instinkt-gesteuert wir doch immer noch sind. Und das macht den Reiz aus an diesem wundervollen Sport.
Nach sechs Runden und insgesamt 19,5 km in 01:16:14 Stunden (03:55 min/km) kamen wir abermals nebeneinander auf die Ziellinie zu. Da ich mich rechts befand, merkte ich nicht wie ich aus Versehen nicht in den Streckenkanal, sondern in den Zielkanal eingebogen bin. Das führte dazu, dass ich wenige Meter vor mir eine Absperrung aus einer dicken Eisenkette sah und mir schnell überlegen musste, ob ich darunter hindurch schlüpfe oder darüber springe. Da es etwas zu hoch schien und ich das Risiko eines Sturzes so gering wie möglich halten wollte, entschied ich mich fürs Hindurchschlüpfen.  So ein Mist, dachte ich mir. Da war sie nun, die Störung meines Rhythmus‘.

Nun war ich erst recht geladen und spurtete meinem Konkurrenten davon. Was solch eine Situation auslösen kann, merkte ich schnell, denn mein Tempo wurde etwas flotter und der Abstand zum Dritten zunehmend größer. Ich hangelte mich an den überrundeten Läufern entlang und sammelte einen nach dem anderen ein. Zur Halbzeit konnte ich eine Zeit von 01:22:42 Stunden verbuchen und war sehr erstaunt darüber. Diese Zeit würde mir sogar auf flacher Strecke einiges abverlangen und so lief ich stolz den nächsten Etappenzielen entgegen.

Die 7. Runde absolvierte ich in etwas schnelleren 12:43 min, bevor mit der 8. Runde (12:54 min) eine unweigerlich langsamere folgte. In dieser Zeit erreichte mein Rückstand auf den Erstplatzierten etwa 3 Minuten. Kaum erreichbar für mich, wenn kein Wunder geschieht, also gönnte ich dem Unbekannten vorab schon seinen Erfolg.

Am Ende der 9. Runde, die ich in 12:57 min absolvierte, rief ich Sophie zu, sie solle mir nach der nächsten Runde ein Energiegel reichen und dieses schon geöffnet haben. Mein Ziel ist es, dieses direkt hinunter zu schlucken und den ersten Getränkestand des Kurses zu nutzen, um mit Wasser nachspülen zu können. Hoffentlich hatte mein „Personal Coach“ die ganzen Instruktionen akustisch verstanden, aber vorgewarnt war Sophie sowieso, sodass ich mir kaum Sorgen machen musste.
Als dann endlich zehn Runden in der Tasche waren (10. Runde in 13:12 min), folgte die erste kleine Belohnung in Form eines Energiegels. Es war höchste Zeit für Belohnungen, denn die Kraft ließ zusehends nach. Auch wenn es sich nur um wenige Sekunden handelte, die ich nun pro Kilometer und pro Runde verlor, so lag ich im Großen und Ganzen auf einem top Schnitt von 03:57 min/km, womit ich nie im Leben gerechnet hätte.

Nach Runde 11 (in 13:15 min) zeigte ich Sophie mit zwei Fingern, dass es sich nur noch um zwei Runden handelte. Das motivierte ungemein, denn keine Runde würde ich heute freiwillig mehr laufen wollen. Zudem ist mein Abstand zum Drittplatzierten größer geworden und nach vorne raus hatte ich keine allzu ambitionierten Ziele mehr. Beides führte zu einer Art Entlastung, sodass ich den Beinen etwas Ruhe gönnte und die Bremse leicht betätigte. In harten Zahlen ausgedrückt bedeutete dies eine Zeit von 13:35 min für die vorletzte Runde. Nachträglich sah ich in den Online-Ergebnislisten, dass der Führende allein in dieser 12. Runde zusätzlich 50 Sekunden Vorsprung rauslaufen konnte - Respekt.

Um diese gelungene Veranstaltung gebührend zu verabschieden, wollte ich am Ende nochmal eine letzte flotte Runde abspulen. Gedanklich habe ich mich von jeder Kurve, jeder Steigung und jedem Gefälle, aber auch von jeder kleinen Stolperfalle verabschiedet. All diese Tücken der attraktiven Laufstrecke unter Tage habe ich am Ende deutlich verinnerlicht und empfehle jeder Läuferin und jedem Läufer, sich diese Veranstaltung einmal ganz oben auf die To-Do-Liste zu setzen.
Als dann auch der letzte Getränkestand passiert und die darauf folgende lange Gerade geschafft war, kam die Belohnung in Form des 15-%-igen Gefälles und der letzten angenehmen Bergab-Passagen. Ich hörte bereits die Veranstaltungshalle und es kam ein kribbeliges Gefühl in mir auf. Unbeschreibliche Vorfreude auf einen außergewöhnlichen Treppchen-Platz in meiner Läufer-Vita.
Ein letztes Mal bergab sprinten und danach die Beine rollen lassen. Große Schritte. Kopf in den Nacken. Und dann waren es auf den Punkt 13:00 min für Runde 13. Yay!
Mit Überlaufen der Ziellinie auf der rechten Seite der Absperrung (wie nach Runde 7) piepte das Zeitmessgerät ein letztes Mal. Ich riss die Arme hoch und freute mich unendlich über meinen bisher drittschnellsten (!) Marathon in insgesamt 02:47:50 Stunden.

Nachher

Direkt hinter der Absperrung wartete schon mein Schatz. Sophie hat heute ähnlich viel Ausdauer bewiesen und bisher über 4,5 Stunden Dauerbeschallung durch die Lautsprecherboxen ertragen (müssen). Ich hingegen hatte über den Großteil jeder Runde meine Ruhe.
Aber jetzt hatten wir uns zwei wieder und freuten uns gemeinsam über meinen Erfolg. Es tat gut, mit jemandem um die Wette zu strahlen und dieser Person sofort alles haargenau erzählen zu dürfen. Es sprudelte nur so aus mir heraus. Die ganze Szenerie wirkte so irreal auf mich, dass ich nur ständig den Kopf schütteln konnte. Wow!

Als ich aus dem Zielbereich heraus geleitet wurde, bekam ich zusätzlich zur schönen Medaille, die wie eine Bergwerk-Fahrmarke aussah, noch einen ausgedruckten Bon mit meinen Zwischenzeiten. Das nenne ich Sofort-Service vom Feinsten. Nachdem ich auch Sophie noch ein paar Mal gedrückt habe, kam eine Reporterin auf mich zu, um mich zu interviewen. Sie fragte mich viele Dinge aus meinem Leben: woher ich denn komme, was mein bisheriges Lauf-Highlight war, wie mir der Lauf heute gefallen hat und vieles mehr.
Unter anderem habe ich von ihr erfahren, dass selbst ich als Zweitplatzierter unter dem alten Streckenrekord geblieben bin. Wenn der heutige Sieger nicht gewesen wäre, dann wäre das Spektakel nicht zu überbieten gewesen. Ufff, das musste ich erst mal sacken lassen. Wahnsinn!
Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten und ich mir ein paar trockene Klamotten anstelle der verschwitzten Laufsachen angezogen habe, gönnten wir uns eine Bockwurst im Brötchen. Meine Wurst war sogar in der Startgebühr enthalten.

Anschließend wechselten wir noch ein paar Worte mit einigen Läuferkollegen, unter anderem mit dem marathon4you-Reporter Wolfgang Bernath, der mich bereits vom Rubbenbruchsee Marathon kennt. Er lud uns nach unserem Small Talk zu seinem eigens veranstalteten Marathon am Tag der Deutschen Einheit in Waldbreitbach zwischen Bonn und Koblenz ein. Wir bedankten uns für die Einladung und versprachen, uns das mal durch den Kopf gehen zu lassen. 
Beinahe zwei Stunden später - als die Halle bereits zu drei Viertel leer war - erfolgte ab 16:00 Uhr die Siegerehrung. Für diese hat es sich aus meiner Sicht zwar gelohnt zu warten, jedoch hätte die Atmosphäre mit mehreren hundert Menschen der Zeremonie besser getan.
Leider musste dies aus logistischen Gründen genau so erfolgen, da nicht alle Läufer und Begleiter zeitgleich nach oben befördert werden konnten. Somit sind die langsamen Läufer, die nicht mehr auf die Ehrung warten mussten, eher aufgebrochen. Dennoch hätte ich mir gerade für meine Begleitung eine schnellere Prozedur gewünscht.
Die Siegerehrung war, wie angedeutet, nicht allzu pompös. Persönlich und schön war sie zwar und auch die Preise können sich sehen lassen, aber die Luft schien bei allen Beteiligten raus zu sein. Mit einem außerordentlich schönen Pokal, einer Medaille und zwei Urkunden (1 x für den 2. Gesamtplatz und 1 x für den Altersklassen-Sieg) ausgestattet stellten wir beiden uns ganz weit vorne in die Warteschlange, um möglichst früh den Anschluss Richtung Fahrstuhl zu ergattern.

Um kurz vor 16:30 Uhr brachen wir unter der Führung eines Bergwerk-Mitarbeiters zu einem der gelben Laster auf. Dort angekommen freuten wir uns schon auf die letzte rasante Fahrt durch das Erlebnis-Kristallbergwerk Merkers. Mit einem ordentlichen Wind im Gesicht fegten wir durch die Tunnel in Richtung Luftschleuse und dann letztlich zum Fahrstuhl.

Nach der weniger aufregenden Fahrt nach oben, mussten sich die Augen zunächst mal an das restliche Tageslicht gewöhnen. Auch die frische, kühle Luft tat gut und so atmeten wir noch mehrmals tief ein und aus, bevor es wieder für mehrere Stunden ins Auto ging. Dort überreichte ich Sophie noch eine kleine Überraschung, die ich von unter Tage mitgebracht habe: ein paar kleine Salzkristalle. Aus diesen durfte sie sich ein paar schöne aussuchen und als Andenken an dieses Abenteuer behalten.
Anschließend verlief die Rückfahrt ruhig, jedoch nagte der anstrengende Tag an den Nerven und der Gesundheit. In Hamburg angekommen hüpften wir zwar noch schnell unter die Dusche, doch lange hat es uns nicht mehr auf den Beinen gehalten. Das Bett rief.
Alles in allem haben sich die Mühe, Zeit und Anstrengung für solch ein einmaliges Erlebnis gelohnt. Gerade als Marathon-Sammler darf man die Laufschuhe nicht ohne solch eine Trophäe an den Nagel hängen. Extrem empfehlenswert also!

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,25 km

 

02:47:50 Std.

 

02:47:50 Std.

 

Männl. Hauptklasse (88-97)

 

1. von 4 (25,0 %)

 

2. von 100 (2,0 %)

 

2. von 110 (1,8 %)