1. Marathon "Rund um das Gut Leye" Osnabrück

01.08.2020

Vorher

Seit einiger Zeit suchte ich nach einem nahegelegenen Marathon an genau diesem Datum: den 1. August 2020. Warum? - Weil es zeitlich perfekt zwischen zwei andere Läufe passt und ich am Folgetag über 10 Stunden im Zug Richtung Schweiz sitzen würde. Ohne einen Marathon in den Beinen halte ich 10 Stunden Sitzen einfach nicht aus.

Da ich an diesem Tag ungern mehrere hundert Kilometer für einen zählbaren Marathon fahren wollte, musste ich bis kurz vor knapp warten und hoffen. Aber das Warten hat sich gelohnt, denn am 20. Juli schrieb der PUM-Organisator Günter einen spontanen Marathon bei Osnabrück aus. Die Rede war von zehn Runden à 4,26 km durch einen schattigen und flachen Wald rund um das Gut Leye in Osnabrück-Atter. Alle Eckdaten klangen für mich äußerst verlockend, sodass ich mir kurzerhand einen der zwölf begehrten, kostenlosen Startplätze sicherte.

Da ich für diesen Lauf keine besonderen Ambitionen hegte, zog ich mein Lauftraining konsequent durch und sammelte in der Vorwoche ordentlich Kilometer. Mit etwas müden Beinen sollte ein schattiger und flacher Marathon ja trotzdem kein Problem sein, dachte ich mir.

Um an diesem Wochenende vor unserem einwöchigen Urlaub noch etwas Zeit mit meinen Eltern zu verbringen, fuhr ich am Freitag nach Feierabend zunächst nach Hopsten und ließ mich dort mit Kaffee & Kuchen sowie einer leckeren Pasta-Party verwöhnen.

Gegen 22 Uhr fuhr ich nach Laggenbeck, wo meine Freundin Sophie nach einer kleinen Fete mit Freunden hinkommen würde. Logistisch machte der Wohnort ihrer Eltern am meisten Sinn, denn der morgige Marathon sollte bereits um 07:00 Uhr starten und Laggenbeck liegt nur 16 km von Osnabrück-Atter entfernt.

Da ich - warum auch immer - sehr spät eingeschlafen bin, kam ich in dieser Nacht auf sehr wenige Stunden Schlaf. Der Wecker klingelte erbarmungslos um 05:30 Uhr, mein Kopf pochte, meine Beine waren schlapp. Die Voraussetzungen für meinen 77. (Ultra-)Marathon hätten wohl kaum schlechter sein können.

Ich schnappte mir meine gemachten Käsebrote und zwei Flaschen Wasser und verschwand um 06:00 Uhr im Auto. Keine 20 Minuten später erreichte ich gemeinsam mit Maria als Erster den Start-Ziel-Bereich vor dem namensgebenden Gut.

Die aufsteigende Sonne warf ein warmes Licht auf das imposante Gebäude und ließ mich mehrere Fotos knipsen. Da ich plante, mein Handy im Auto liegen zu lassen, würden dies die einzigen Fotos von der Strecke sein.

Während der Wartezeit bis zum Start unterhielt ich mich mit Maria und aß dabei eine Banane. Ehe ich mich versah, war es bereits 06:40 Uhr und Günter war eingetroffen. Er verteilte an alle Anwesenden eine Blanko-Urkunde, in die wir nach dem Lauf unsere Zeit und Platzierung eintragen konnten. Außerdem legte er eine Teilnehmerliste aus, in der wir neben unserer individuellen Start-Uhrzeit auch die gelaufene Zeit festhalten sollten.

Aufgrund der aktuellen Corona-Situation sah der Veranstalter von einem „Massenstart“ ab und erlaubte allen Läufern einen flexiblen Einzelstart. Offiziell durften maximal zwei Teilnehmer gleichzeitig auf die gut markierte Strecke gehen.

Vor der Hofeinfahrt deutete Günter auf die kleine, pinke Start-Ziel-Linie und einen Richtungspfeil hin. In dieser Form sollte die gesamte Strecke markiert sein, sodass ein Verlaufen kaum möglich sein dürfte. Ich vertraute in seine Arbeit und freute mich auf einen hoffentlich interessanten und kurzweiligen Kurs.

Nachdem wir noch ein paar letzte Worte gewechselt hatten und ich weitere Läufer begrüßt hatte, brachte ich mein Handy zum Auto und trank noch ein paar Schlucke Wasser. Dann war ich im Prinzip startbereit und kündigte dies auch an. Veranstalter-seitig war sogar ein Frühstart vor 07:00 Uhr kein Problem, sodass ich mich für 06:44 Uhr entschied. Mein Plan war es, vor den angekündigten, heißen Temperaturen so viele Runden wie möglich abgespult zu haben. Diesen Plan hatten im Übrigen die meisten Teilnehmer.

 

Der Lauf

Im Licht der aufgehenden Sonne und ohne jegliches Publikum drückte ich auf den Startknopf meiner Uhr und folgte den ersten Pfeilen Richtung Osten. Die ersten knapp 800 Meter führten über eine schnurgerade, abschüssige Gerade auf Asphalt mitten durch den Wald hindurch. Ich hätte ein richtig gutes Tempo aufnehmen können, landete jedoch bei überschaubaren 4:17 min auf dem ersten Kilometer.

Da ich bereits ahnte, dass es doch nicht ganz so flach zugehen würde, und da meine müden Beine mir wahrscheinlich einen Strich durch die Rechnung machen könnten, verabschiedete ich mich recht früh von dem Gedanken, einen weiteren Marathon unter drei Stunden zu laufen. Dafür passte heute nicht genug zusammen. Aber egal! Dann sollte es zumindest nicht mein langsamster Marathon (03:34:30 Std.) werden. 

Am Ende der langen Bergab-Passage führten mich zwei oder drei pinke Pfeile nach links in einen unebenen Feldweg, der durch eine Schranke für Autoverkehr gesperrt war. Fußgänger oder aber Läufer konnten zum Glück rechts daran vorbei. Es folgten die ersten Höhenmeter, woraufhin die Strecke immer rauer und welliger wurde. Wurzeln und am Boden liegende Äste mussten übersprungen werden, nach einer Linkskurve folgten zwei Rechtskurven und anschließend wurde die Strecke schön schmal. All das hatte etwas von einer Miniaturversion der PUM-Strecke, die ich im Vorjahr mehrmals durchlaufen durfte. Doch das wunderte mich nicht, denn der Veranstalter beider Events ist der gleiche.

Da die Strecke weder flach, noch schnell zu sein schien, fokussierte ich mich voll und ganz aufs Spaß-Haben!

Nachdem die folgenden zwei Kilometer geschafft waren (KM 2 in 4:33 min und KM 3 in 4:38 min), ging es über den etwas breiteren Schotterweg „Leuchtenburg“ praktisch wieder Richtung Gut Leye. Doch da die Rundenlänge von 4,26 km noch nicht ganz erfüllt war, leiteten mich mehrere pinke Pfeile nochmals nach rechts in den dichten Wald hinein. Auch im Innern des Waldes sollte nicht einfach nur der Hauptwanderweg gelaufen werden, sondern spontan mal links und mal rechts abgebogen werden. So gab es ein kurzes, schmales Trailstück zwischen einigen Bäumen hindurch, während links davon der wesentlich breitere Weg mit gelenkschonendem Laub verlief. Das war die Handschrift von Günter, dachte ich mir in diesem Moment. Einfach kann ja jeder!

Wenige Augenblicke später trat der Fall ein, vor dem ich mich innerlich schon gefürchtet hatte. Ich lief und lief weiter geradeaus, bis ich an einigen Abzweigungen vorbeilief und plötzlich jegliche Pfeile vermisste. Ich hatte mich verlaufen! Schnell machte ich kehrt und suchte nach irgendwas Pinkfarbenen an einem Baum oder auf dem Boden. Da ich nichts Aussagekräftiges entdeckte, probierte ich die Abzweigungen aus, an denen ich vorhin vorbeigelaufen war. Schnell kam ein Extrakilometer zustanden, ohne dass ich wirklich weitergekommen bin (in 5:24 km).

Mir blieb nichts Anderes übrig, als auf meine ersten Verfolger zu warten. Meine Laufuhr lief natürlich unerbittlich weiter, denn würde ich sie im Wettkampf pausieren, käme das einem Betrug gleich. Meine Ambition, hier einen halbwegs flotten Marathon hinzulegen schmolz spürbar.

Als dann Jutta und Gerd angelaufen kamen und genauso verwirrt waren wie ich, entschieden wir uns gemeinsam für die wahrscheinlichste Variante. Wir schienen Glück gehabt zu haben, denn nach ein paar hundert Metern entdeckten wir wieder frische pinke Pfeile. Wir waren wieder auf dem richtigen Weg (KM 4 in 8:59 min).

Als wir die kleine Siedlung Osnabrück-Atter rechts hinter uns gelassen hatten und abermals in den Wald eintauchten, lief ich meinen beiden Mitstreitern wieder davon – ohne zu wissen, dass es gleich ein zweites Wiedersehen geben würde. Denn nur einen Kilometer weiter passierte es erneut, dass ich an einer Kreuzung stand, wo ein wichtiger Pfeil fehlte. In diesem Moment kamen mir zwei weitere Läufer entgegen, die gut einen Kilometer Rückstand hatten und nach links abbogen. „Ahh, dort war ich vorhin auch schon.“, war mein erster Gedanke. Somit müsste ich hier nach rechts abbiegen, schlussfolgerte ich. Um auf Nummer Sicher zu gehen, wartete ich auf Jutta, die aber derselben Meinung war.

Alles klar, mit einem Extrakilometer und zwei Wartepausen im Gepäck lief ich langsam aber sicher dem Ende der ersten Runde entgegen (KM 5 in 7:37 min).

Vor dem Gut Leye schaute mich Günter an und sein Blick sah aus, als wolle er sich über meinen ersten Eindruck von der Strecke erkundigen. Ich hoffe, nicht zu aufbrausend gewirkt zu haben, aber meine erste Reaktion hing natürlich mit den zwei fehlenden Pfeilen zusammen. Das würden ihm in Kürze sicher auch Jutta und Gerd bestätigen. Da ich die Strecke von nun an kannte, konnte meine Einstellung nur besser werden. Rein objektiv betrachtet handelte es sich nämlich um eine super aufregende, kurzweilige, aber auch fordernde Strecke. Es war so, wie ein Trainingsmarathon nun mal sein sollte.

Mit ganz bisschen Wut im Bauch rannte ich also auf meine zweite von insgesamt zehn Runden zu. Der erste abschüssige Kilometer über Asphalt war nach 4:04 min abgehakt und schon ging es wieder in die wilde Natur hinein. Dank der frühen Uhrzeit kam die schwül warme Temperatur noch nicht im Inneren des dichten Waldes an, sodass wir noch sehr gute Luft zum Atmen hatten. 

Ich hakte weiter Steigung um Steigung und Kurve um Kurve ab und merkte sehr bald, dass mir die erste Rundenhälfte leichter fiel, als die zweite (KM 7 bis 9 in 4:18 min, 4:23 min und 4:33 min). Auf manch eine Passage freute ich mich bereits wieder und würde diese gern häufiger als nur zehn Mal ablaufen. Andere Abschnitte wiederum werden zeitnah zu den gefürchteten zählen. Insbesondere lange Geraden, die ganz leicht und stetig ansteigen, werden sich mit jeder weiteren Runde wie Kaugummi ziehen.

Die nächsten drei Runden gestalteten sich alle sehr ähnlich. Ich war zwar etwas müde, konnte aber dennoch ein moderates Tempo halten. Die schnellsten Kilometer dieser drei Runden waren jeweils die ersten (Runde 3 – 4:14 min; Runde 4 – 4:08 min; Runde 5 – 4:11 min). Der Rest bewegte sich im Bereich von 4:27 min/km. Ich merkte nun, dass ich zu rechnen anfing. Natürlich schmerzte die verkorkste erste Runde, aber ich konnte es dennoch in einer Zeit von unter 3:30 Stunden schaffen, was von nun an mein neu erklärtes Ziel war. Zur Hälfte hatte ich etwa 1:45 Stunden auf der Uhr, was auf der zweiten Hälfte trotz zunehmender Erschöpfung zu toppen sein sollte.

Da es nun immer sonniger wurde und wir mittlerweile ca. 30°C haben dürften, überlegte ich mir so langsam, wann ich am Auto Halt machen sollte, um Wasser zu trinken. Ich entschied mich für „nach der 6. Runden“ und „nach der 8. Runde“. So hatte ich schöne Etappenziele, die mich weiter motivierten.

Mit jeder Überrundung der anderen Teilnehmer gab es einen kurzen, meist sehr unterhaltsamen Wortwechsel. Auch diese Begegnungen hielten meine Motivation hoch, denn diese machen für mich einen offiziellen Marathon aus. In solchen Momenten spürt man, dass wir hier gemeinsam um das Marathonziel kämpfen und uns nicht auf das Gegeneinander versteifen.

Nach fast zwei Dritteln des heutigen Kampfes belohnte ich meinen trockenen Mund endlich mit ein paar ordentlichen Schlucken Wasser. Dabei kippte ich mir bewusst auch etwas Wasser ins Gesicht, bevor ich die Kofferraumklappe schloss und weiterlief. KM 26 fiel mit dieser kurzen Unterbrechung entsprechend langsam aus (in 4:56 min). Es folgten jedoch zwei weitere Runden, die mit einem Durchschnittstempo von 4:43 min/km nicht sehr viel schneller waren. Dass bald acht von zehn Runden eingetütet waren, motivierte mich trotzdem und auch mein Zeitziel schien nicht gefährdet zu sein.

Meine zweite Trinkpause verursachte, dass KM 36 mit 5:00 min zu meinem langsamsten Kilometer des Tages wurde. Auch damit konnte ich leben, denn nun erlebte ich jeden noch so schwierigen Abschnitt mit folgenden Augen: „Hier laufe ich nun zum vorletzten Mal hoch!“.

Mit der Zeit gab es ein weiteres Hindernis, dass mir im Wald immer häufiger begegnete. Es waren Hunde mit ihren Herrchen oder Frauchen und einer Leine, die meist über die gesamte Breite des Waldweges gespannt war. Wenn die Tierbesitzer nicht schnell genug reagierten, führte das zu unnötigem Abbremsen, was wiederum meinen Rhythmus störte. Egal, das gehört zu solch einem Cross-Marathon einfach dazu, versuchte ich mir einzureden.

Nachdem ich zwei weitere Kilometer in jeweils über 4:50 min absolvierte, folgte ein letztes Mal das abschüssige Asphaltstück, das ich im heutigen Rekordtempo von 4:02 min hinter mich brachte. Auch auf den wurzeligen und kurvenreichen Waldstücken konnte ich nochmal aufdrehen und KM 40 und 41 in 4:27 min und 4:29 min abspulen. Obwohl es auf dem letzten Viertel einer Runde – wie bereits beschrieben – leicht und stetig bergauf ging, haute ich nochmal eine 4:18 min für KM 42 raus. Obwohl ich im topfitten Zustand noch deutlich schneller hätte laufen können, fühlte sich diese letzte Runde rasend schnell an. Ich flog förmlich über den Waldboden und freute mich gleichzeitig, dass ich es endlich hinter mir hatte.

Sobald ich den Wald verlassen und nach rechts auf den asphaltierten Waldweg vor dem Gut Leye eingebogen war, wagte ich einen Blick auf meine Uhr. Eine Zeit von 3:24 Stunden schien realistisch und so war es letztlich auch, denn als ich am Eingangstor des Guts vorbeilief und auf den Stopp-Knopf drückte, leuchtete eine Zeit von 3:24:17 Stunden auf. Sehr gut!

 

Nachher

Schnell überflog ich meine Kopfrechen-Aufgabe und war mir bald sicher, dass es heute eine Zeit von knapp unter 3:10 Stunden geworden wäre, wenn ich mich nicht anderthalb Male verlaufen hätte.

Von dieser Erkenntnis konnte ich mir nichts kaufen, aber es gab mir trotzdem die Zuversicht, dass ich heute keinen ganz so schlechten Tag erwischt hatte, wie die Zeit vermuten lässt.

Ich trug meine gelaufene Brutto-Zeit in den bereitgelegten Zettel ein und schlenderte zurück zum Auto, wo ich recht bald zum Handy griff, um ein Selfie von mir zu knipsen.

Dieses schickte ich sowohl Sophie, als auch meiner Family, damit sich keiner Sorgen um mich machen musste. Kurze Zeit später tauchten weitere Läuferinnen und Läufer im Start-Ziel-Bereich auf, um sich zu verpflegen und anschließend weiterzulaufen. Ich nutzte die Gelegenheit, mich mit einigen von ihnen kurz zu unterhalten und ihnen viel Erfolg auf den letzten Runden zu wünschen.

Als auch Günter an seinem Auto eintraf und einen Kasten mit gekühltem Erdinger Alkoholfrei offenbarte, bekam ich große Augen. Zusätzlich zum kostenlosen Marathon-Startplatz und einer bereits vorgedruckten Urkunde gab es also ein kühles Bier für jeden Finisher. Einfach genial!

Nachdem ich mich gut 20 Minuten ausgeruht und wieder gestärkt hatte, nahm ich den knapp 20-minütigen Rückweg zurück nach Laggenbeck auf mich. Wenn ich mich nicht ganz täuschte, könnte ich es zu Sophies ersten und meinem zweiten Frühstück schaffen … und so kam es dann auch. Nach einem leckeren Kaffee und einem weiteren Käsebrötchen konnte ich zur zweiten Tageshälfte übergehen. Immerhin musste heute noch der morgige Reisetag in die Schweiz organisiert werden …

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

42,6 km

 

03:24:17 Std.

 

03:24:17 Std.

 

M30 (86-90)

 

1.

 

1. von 9 (11,1 %)

 

1. von 11 (9,1 %)