17. Winterlauf Oldendorf

31.01.2016

Vorher

Ganze 127 Wochen ist es nun her, dass ich meinen letzten Ultra-Marathon bestritten habe, und auch heute ist noch nicht abzusehen, ob ich es wieder über den Tellerrand hinaus schaffe. Und da ich bei einem möglichen dritten Ultra kein DNF (= „Did Not Finish“ heißt so viel wie „nicht ins Ziel gekommen“) riskieren wollte, entschied ich mich Anfang Januar bewusst für den Winterlauf in Oldendorf. Hier ist es den Läufern nämlich gestattet, nach jeder einzelnen der maximal zehn 5-km-Runden auszusteigen und in eine separate Wertung zu kommen. So waren neben der längsten Ultra-Distanz von 50 Kilometern auch „krumme“ Distanzen wie 25 oder 35 km möglich.
Da ich diesen Wettkampf im Norden Deutschlands nur als flotten Dauerlauf nutzen wollte, machte ich mir also keinen allzu großen Druck hinsichtlich der geplanten Laufdistanz. Wenn es rund läuft, dann gern 45 oder gar 50 km und wenn nicht, dann eben nicht.
Meine Freundin begleitete mich an diesem Tag und musste nicht weniger leiden, als ich am Ende des Tages. Der Grund waren unsere vielen Wecker, die uns bereits um 05:45 Uhr morgens aus dem Bett scheuchten und sie nicht ausschlafen lassen haben. Mich hingegen weckten nicht nur die Wecker, sondern auch eine ordentliche Portion Nervosität. Wahrscheinlich sogar vorfreudige Nervosität, aber das weiß ich im Nachhinein leider nicht mehr …
Pünktlich um 06:45 Uhr ging’s auf den gut 200 km langen Weg von Laatzen nach Oldendorf im Kreis Stade. Während der Fahrt döste meine Freundin noch ein wenig vor sich hin, während ich das Auto an gefühlt 17 Blitzern vorbeimanövrierte, ohne geblitzt zu werden. Um 9 Uhr erreichten wir das Rudolf-Pöpke-Schulzentrum und damit das Start-/Ziel-Gelände der heutigen Veranstaltung. Knapp 150 Meter weiter fanden wir einen Parkplatz und gingen danach zunächst zur Startnummern-Ausgabe in der Aula der Schule.

Zusätzlich zur schlichten Startnummer gab es einen Gutschein für eine warme Suppe nach dem Lauf, die ich nach getaner Arbeit sicher sehr schätzen würde. Super Sache!
Und dann musste die Frage aller Fragen geklärt werden: Was ziehe ich heute an? Das Wetter war noch etwas unbeständig, obwohl kein Regen prognostiziert war. Die 4°C bei starkem Wind und dicken Wolken waren für einen Winterlauf im Norden noch ganz angenehm und so entschied ich mich zunächst für eine lange Lauftight, ein ärmelloses Unterhemd und mein rotes langärmeliges Laufshirt vom Big Sur Marathon. Außerdem wollte ich heute meine innovativen Laufschuhe von der Schweizer Marke On erstmals im Wettkampf testen. Diese habe ich im August letzten Jahres bei einem Wettbewerb auf Facebook gewonnen und seither über 300 km eingelaufen. Nun war ich gespannt, was die sogenannten Cloudsurfer von On im Rennen leisten konnten.
Zusätzlich zu all diesen Klamotten wollte ich nicht auf meine Handschuhe, meine Cappy und die Vaseline an empfindlichen Körperstellen wie Füße, Achselhöhle und Innenseite der Oberschenkel verzichten. Komplett ausgestattet gingen wir zurück zur Aula und trafen dort die ersten Wiederholungstäter, unter anderem die beiden Männer, die zusammen mit mir das Treppchen des Rubbenbruchsee Marathons 2015 komplettiert hatten.
Nachdem ich eigentlich schon final auf den Lauf vorbereitet gewesen bin, brach das Gewitter über unseren Köpfen herein und es regnete, schneite und hagelte in Strömen. 15 Minuten vor dem Start! Was sollte das denn nun?! Schnell entschied ich mich in der Klamotten-Frage für meine gelbe Laufjacke, die mich mehr schützen würde, als mein Shirt. Und so holte ich die Jacke aus dem Auto und zog mich noch rasch um. Meine Freundin half mir bei all dem Chaos und reichte mir die Sachen an, die ich brauchte. Außerdem erklärte sie sich bereit, mir im Zweifel andere Laufsachen oder gar Wechselschuhe an die Strecke zu bringen, falls ich diese nach ein paar Runden brauchte. Dankeschön, mein Schatz! :-)
Noch völlig unruhig im Kopf und auf der Suche nach einem GPS-Signal meiner neuen Laufuhr (Garmin Forerunner 220) begab ich mich mit allen Läufern langsam an die Startlinie. Wenige Sekunden vor dem befreienden Startschuss hörte es dann tatsächlich noch auf zu regnen und ein paar Sonnenstrahlen ließen sich blicken. Na toll, jetzt war die Laufjacke doch unnötig, dachte ich mir … naja, egal.
Auf ein lautes „Auf die Plätze“ folgte unmittelbar der Startschuss und so ging die ungewisse Reise los. Wie viele Runden möchte ich heut‘ laufen? Wie wird das Wetter? Wie fit sind meine Beine?  … Wie kann ich diese Wie-Fragen ausblenden und einfach nur LAUFEN?

Der Lauf

Natürlich stürmten viele ambitionierte Läufer vorne weg und auch ich werde von dieser hohen Anfangsgeschwindigkeit nicht verschont bleiben, aber mein Ziel war es dennoch, mich möglichst bald auf ein Tempo von 04:20 min/km einzupendeln.
Nach der 150 Meter langen Start-/Ziel- und Wendepunkt-Geraden folgten eine 90°-Linkskurve und ein leicht abfallendes Stück mit Rückenwind-Unterstützung Richtung Rundkurs. Also wunderte mich der 1. Kilometer mit einer Zeit von 04:02 min nicht sonderlich. Sobald wir uns auf dem Rundkurs befanden, der leicht wellig und mit wechselnden Windverhältnissen durch Wiesen und Wälder führte, zwang ich mich zum Tritt auf die Bremse. Auf dem relativ flachen 2. Kilometer der Runde (04:19 min) wurde ein kleines Waldstück durchquert, bevor es bis KM 3 mit strammem Seitenwind kaum spürbar aufwärts ging (04:17 min). Dass es jetzt noch kaum spürbar war, hatte spätestens ab der 5. Runde nichts mehr zu bedeuten. Doch der mit Abstand anstrengendste Abschnitt lag zwischen KM 3 und 3,5. Auch hier mussten wir einen leichten Anstieg bewältigen, jedoch war der frontale Gegenwind ein viel größerer Störfaktor. Von wegen Winterlauf in Oldendorf … meiner Ansicht nach war das hier der WINDlauf in Oldendorf. Mal sehen, wie es mir hier im späteren Rennverlauf ergehen wird.

Für ein wenig Erholung sorgte dann aber eine gut 100 Meter lange Bergab-Passage, deren Schwung man noch auf den letzten Metern bis KM 4 mitnehmen konnte (04:18 min). Dadurch ließ sich die verkorkste Kilometerzeit wieder ein wenig nach oben korrigieren. Auf dem letzten Kilometer, der zu etwa 600 Metern dem ersten Kilometer entsprach, hatte man es wieder mit wechselnden Winden zu tun und auch die entgegenkommenden Läufer sorgten nach und nach für willkommene Abwechslung.
Als ich die große orangene Wendepunkt-Pylone bei KM 5 (in 04:12 min) erreichte, lächelte ich in die Handy-Linse meiner Freundin und machte ihr deutlich, dass mir die Strecke und der Lauf gefielen … also NOCH gefielen sie mir.

Nachdem ich die erste 5-km-Runde in 21:07 min absolviert habe, folgten die zweite mit einer Zeit von 21:30 min und die dritte mit 21:23 min. Der Sonnenschein und die positive Stimmung unter den Teilnehmern taten mir gut und auch die gelbe Laufjacke entpuppte sich als Glücksfall, denn so konnte ich mit dem Reißverschluss viel besser auf die verschiedenen Windpassagen reagieren. Während es mit Rückenwind ordentlich warm geworden ist und ich die Jacke bis zur Startnummer aufmachen musste, um nicht zu sehr zu schwitzen, zog ich den Verschluss bei Gegenwind bis unters Kinn. Auch die Handschuhwahl und die beiden gewöhnungsbedürftigen Schuhe an den Füßen waren die richtige Wahl und sorgten noch nicht für Probleme.

So spulte ich weiter Runde um Runde ab: jedes Mal zwischen KM 3 und 3,5 bekam ich die Krise, da der Wind „natürlich“ zunehmend  stärker wurde, und jedes Mal zwischen KM 0 und 1 und zwischen KM 3,5 und 4 fühlte ich mich wie auf Wolken getragen und genoss den majestätischen Rückenwind.

Mit den Runden 4 und 5 (in 21:16 min und 21:30 min) war ich ebenfalls sehr zufrieden und hoffte sehr, dass ich den Rhythmus halten kann. Nach nunmehr 25 Kilometern gönnte ich mir erstmals einen halben Becher Wasser, den ich mir etwa 150 Meter nach der Wende am rechten Streckenrand vom Tresen des Getränkewagens schnappte. Vorsichtig nippte ich zwei-dreimal an dem kalten Wasser, während ich weiterlief und an die kommenden Runden dachte.
Wann kommt er denn nun, der Mann mit dem Hammer? … ach, blöder Gedanke zu solch frühem Zeitpunkt, aber irgendwie rechnete ich bereits mit ihm, da mir die Trainingsläufe jenseits der 25-km-Marke fehlten. Zwar weiß ich aus der Vergangenheit, dass ich lieber den Kopf ausschalten sollte, doch ist ein Ultra eine ganz andere Hausnummer als ein Marathon. Und so kam es dann, dass ich am Ende meiner 6. Runde erstmals federn lassen musste (KM 29 und 30 in 04:29 und 04:28 min) und diese dann nach 21:54 min beendete. Meiner Freundin rief ich diesmal zu, dass es nun richtig hart für mich wurde und ich es in erster Linie dem Wind zu verdanken hatte.
Auf meiner 7. Runde konnte ich dem Trend leider immer noch nichts entgegensetzen und wurde von Kilometer zu Kilometer langsamer. Die Beine machten dicht und die Kein-Bock-mehr-Phase setzte ein. Nachdem der anstrengende KM 34 nach schmerzlichen 04:54 min absolviert war, zückte ich meinen Energieriegel, den ich in meiner hinteren Hosentasche bei mir trug und öffnete ihn auf umständliche Weise. Nach vier bis fünf Bissen war der Riegel dann weg und ich redete mir ein, er könne mich bald wieder zu Kräften kommen lassen … hahaha, von wegen. KM 35 folgte ebenfalls in 04:54min und so hatte ich für die 7. Runde eine Zeit von 23:22 min zu Buche stehen.
Bei der Wende rief ich meiner Freundin zu, sie solle beim nächsten Mal am Getränkewagen auf mich warten, da ich plante, dort zum Trinken für ein paar Sekunden stehen zu bleiben.
Auch zu Beginn der 8. Runde wollte ich wieder zu Wasser greifen, doch schnappte ich diesmal versehentlich einen leeren Becher und ärgerte mich fürchterlich darüber. Da ich wieder nicht angehalten bin, um meinen Rhythmus nicht zu stören, verzichtete ich auf das Getränk und quälte mich die lange Gerade Richtung KM 36 hinunter (in 04:51 min). Auch vom günstigen Rückenwind war nicht mehr viel zu spüren und so schlich sich noch vor der heftigen Gegenwind-Passage der erste Abschnitt mit einer Zeit von über 5 min ein (KM 38 in 05:09 min).  Natürlich setzte KM 39 noch einen drauf (05:20 min) und versetzte mich in ein entsprechendes Motivationsloch.
Da ich zu diesem Zeitpunkt der Führende im Läuferfeld zu sein schien, fingen mein Taktieren und Rechnen an. Laufe ich weiter bis KM 50 und gefährde damit meinen 1. Platz? Immerhin sind meine Verfolger alle wesentlich erfahrener und trainierter, als ich, und konnten hinten raus sicher noch zum Überholen ansetzen. Oder soll ich mich mit einem „kleinen“ Ultramarathon begnügen und nach 45 Kilometern aussteigen?
Ich hatte die Qual der Wahl und entschied mich kurz vor Beendigung der 8. Runde für die kurze Variante. Der Hauptgrund war allerdings nicht die Platzierung, sondern tatsächlich die Zeit. Im Rahmen meines ersten Ultras vor 3,5 Jahren in München hatte ich eine offizielle 50-km-Durchgangszeit von 03:43:48 Stunden, die noch heute meine Bestzeit ist. Da ich heute KM 40 nach einer Gesamtzeit von 02:57:18 Stunden erreichte, wären mir für die letzten 10 km nur noch 46:30 min geblieben, um eine neue persönliche Bestleistung aufzustellen. Deutlich zu wenig in Anbetracht meiner Verfassung. Und da ich den Anspruch an mich habe, diese Zeit im Rahmen eines 50-km-Rennens zu knacken, wollte ich mir diese Distanz für einen besseren Tag aufsparen und dem Elend gern frühzeitig ein Ende setzen.
Nach der 8. Runde (in 25:15 min) und der letzten Wende des heutigen Tages lief ich zurück zum Getränkewagen und kippte einen Becher Cola in mich hinein. Diese Art der Belohnung war jetzt nötig. Meine Freundin schaute mich währenddessen besorgt an und wünschte sich insgeheim, dass ich mich nicht völlig kaputt mache. Ich sagte ihr noch schnell, dass ich es heute bei 45 Kilometern belassen werde, drehte mich auf dem Absatz um und flitzte mit einem Becher Wasser in der Hand auf meine letzte Runde.
Wieder waren die ersten 3 km der Runde ganz akzeptabel (05:03 min, 05:10 min, 05:03 min), bevor mir der anstrengende Abschnitt abermals eine Zeit von 05:20 min (KM 44) abverlangte. Meine Marathon-Durchgangszeit betrug übrigens 03:08:22 Stunden, was meinem Anspruch auf eine Zeit von unter 3 Stunden ebenfalls nicht gerecht geworden wäre. Naja egal …
In Vorfreude auf die baldige Erlösung zog ich das Tempo auf dem letzten Kilometer nochmal an (KM 45 in 04:48 min) und verneigte mich im Zielkanal vor dem heutigen Tagessieger: dem Wind!

Endlich hatte das Leiden ein Ende und mein dritter Ultramarathon war in trockenen Tüchern. Sicher durfte ich stolz auf meine Leistung sein, aber das brauchte noch etwas Zeit, denn die Enttäuschung überwog im ersten Moment. Kopf hoch …

Nachher

Im Zielbereich baute mich meine Freundin moralisch wieder auf und ich freute mich über die warmen Worte. Dennoch musste ich meiner Enttäuschung Luft machen und ärgerte mich noch ein wenig. Dass ich Erstplatzierter unter den 45-km-Läufern geworden bin, war nur ein kleines Trostpflaster, aber immerhin.
Zusammen gingen wir nochmal zum Getränkewagen und bedienten uns an Cola und warmer Brühe. Besonders die Brühe tat uns richtig gut, denn trotz vieler Sonnenstrahlen und passender Läufer- und Zuschauer-Bekleidung, waren wir beide doch ein wenig ausgekühlt.
Danach gingen wir zurück zur Aula, wo ich mich für ein paar Minuten setzen musste. Nach einer kurzen Pause machten wir uns um 14 Uhr auf dem Weg zum Auto, um unser Duschzeug und Wechselklamotten zu holen und unter die wohlverdiente, warme Dusche zu verschwinden. Leider war nur die Herrendusche mit heißem Wasser ausgestattet, wie mir meine Freundin später mitteilte. Wie ärgerlich.
Noch bevor die Siegerehrung stattfand, holten wir uns von dem Gutschein eine Schüssel Gemüsesuppe mit Wurststückchen und Croutons. Geschmacklich war die Suppe einfach nur Wahnsinn! Insbesondere nach solch einem Lauf. Und auch die beiden Stücke Kuchen, die wir uns danach noch gönnten, waren allererste Sahne! So durfte der sportliche Tag in Oldendorf gern ausklingen.

Kurz nach 15 Uhr bekam ich dann meine Urkunde und einen kleinen Pokal überreicht und nach ein paar Glückwünschen von anwesenden Laufkameraden, machten wir uns auf den langen Rückweg zurück nach Laatzen. Dort kamen wir kurz nach Anpfiff des Handball-EM-Finalspiels zwischen Deutschland und Spanien an, bei dem Deutschland bereits 5:1 führte. Der krönende Abschluss des Tages war dann tatsächlich der EM-Titel für die deutschen Handballer bei einem Endstand von 24:17.

Sauber, Jungs!

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

45 km

 

03:22:42 Std.

 

03:22:42 Std.

 

Männl. Hauptklasse (87-96)

 

1. von 1

 

1. von 16 (6,3 %)

 

1. von 18 (5,6 %)