4. 24-Stunden-Lauf Rüningen

24. - 25.08.2013

Vorgeschichte

Verrückt, leichtsinnig, unausgeglichen - was muss man sein, um 24 Stunden lang im Kreis zu laufen? Wahrscheinlich alles auf einmal!

Nachdem meine Family schon 2012 ganz unvoreingenommen bei diesem 24-Stunden-Event mitgelaufen ist, haben alle nur Positives berichtet und mir versichert, dass wir 2013 gemeinsam teilnehmen werden. Seitdem denke ich bei jedem langen Trainingslauf an das, was mir mein Körper wohl nach 10, 15 oder 20 Stunden Laufen sagen wird. Nach meinem erfolgreich absolvierten 6-Stunden-Lauf in München im September 2012 blickte ich nun optimistisch Richtung Rüningen. Und natürlich rechnete ich damit, dass diese 24 Stunden nicht dasselbe sind, wie vier aneinander gereihte 6-Stunden-Läufe. Aus diesem Grund formulierte ich in den Wochen vor dem Tag X folgende Ziele: zum einen möchte ich mindestens 169 Kilometer erreichen, was exakt vier Marathons hintereinander entspricht, und zum anderen wäre eine Platzierung unter den Top-3 super! Sofern ich aber mein Distanzziel erreiche und es nicht für eine Top-3-Platzierung reichen sollte, wäre ich absolut nicht enttäuscht!

Nunja, die Wochen vor dem Ultralauf waren aus läuferischer Sicht die besten meines Lebens. Innerhalb von 11 Wochen absolvierte ich 1000 Laufkilometer. Kein Kilometer war mit Schmerzen verbunden, was an sich schon an ein Wunder grenzt! Außerdem habe ich einerseits meine 581 Tage alte 5-km-Bestzeit auf 17:08 min gesteigert und andererseits meine Marathon-Bestzeit auf 02:50:52 Std. verbessert. An meiner 10-km-Bestzeit scheiterte ich zudem zweimal ganz knapp (einmal 4 sec. und acht Wochen später nur 1 sec.). Hinzu kam noch der Hitze-Halbmarathon von Ibbenbüren.

Da man sich auf einen 24-Stunden-Lauf kaum richtig vorbereiten kann, habe ich mir selbstbewusst eingeredet, dass mir meine knapp 3 Monate im Vorfeld ausreichen sollten. Die letzten 10 Tage vor dem Lauf schaltete ich fast völlig ab und versuchte, so viel wie möglich zu schlafen. Da mein 7. Uni-Semester aber direkt am Montag danach beginnen sollte und ich vorhatte, an diesem Tag meinen Umzug durchzuziehen, waren in der letzten Woche noch viele organisatorische Dinge zu regeln, die mich zusätzlich beanspruchten.

Im Großen und Ganzen war ich aber gut drauf, mir tat nichts weh, die Vorfreude war riesig und auch meiner Family ging’s gut. Wenn nicht jetzt, wann dann!?!

Samstag, 24.08.2013

Vorher

Der Wecker klingelte heute erbarmungslos um 08.00 Uhr morgens. Da der Wohnwagen und die Zelte für eine potentielle Übernachtung während des Laufes schon vorbereitet waren, ging‘s bereits um 09.00 Uhr los nach Braunschweig. Während der Fahrt versuchte ich, so viel wie möglich zu schlafen. Und zum Glück klappte es, den Großteil der Zeit - mehr oder weniger bequem - zu schlafen. Gute zwei Stunden vor dem Lauf kamen wir an dem Leichtathletik-Stadion des TSV Rüningen an und schauten uns erst einmal ein wenig um.

Nachdem wir uns orientiert haben, wo der Zeltplatz liegt, wie die Strecke aussieht und so weiter, bauten meine Schwester und ich unser Zelt auf, während mein Eltern etwas weiter entfernt von der Strecke den Wohnwagen platzierten. Bevor wir unsere Startunterlagen abholten, folgte zur Stärkung noch eine Mittagspause mit ordentlich viel Pasta. Um 14.30 Uhr gab’s dann noch Kaffee und Kuchen am Zelt und erst dann war alles erledigt, was vor dem Startschuss um 15.00 Uhr erledigt sein musste. Trotz einigem Hin-und-Her und sonnig-warmen 25°C, waren wir noch recht fit und frohen Mutes vor der anstehenden Herausforderung.

Wenige Minuten bevor es losging, haben wir noch ein Foto von uns machen lassen. Der heimliche Hintergedanke war wohl, dass es einen gravierenden Unterschied zwischen „vorher“ und „nachher“ geben würde. Soviel vorweg: diesen Unterschied gab es in der Tat!

 

Der Lauf

Um 15.00 Uhr wurde der Countdown gestartet und nach einem „Los!“ des Moderators bewegten sich alle langsam auf die insgesamt 1000 Meter lange Runde. Bis auf einige junge Burschen wussten alle Läufer, dass das Rennen nicht auf der ersten Runde entschieden wird, und das sorgte dafür, dass es trotz vieler Läufer und zum Teil enger Kurven nicht zu Drängeleien kommen musste.

Die ersten 200 Meter verliefen zunächst in einer langen Linkskurve auf Rasen und einem anschließenden Geradeaus-Stück und wechselten dann auf einen Asche-/Grandplatz. Hier liefen wir etwa 300 Meter in einer Rechteckform, bevor es wieder ca. 100 Meter über ein festgetretenes Rasenstück ging. Nach ca. 600 Metern gab es die einzige sehr scharfe Kurve in Form eines Wendepunktes. Hier wechselte der Untergrund von Rasen auf die neu errichtete Tartanbahn des Vereins, die wir nach einer fast kompletten Runde (350 m) wieder verließen. Auf den restlichen 50 Metern bis zur Start-/Ziellinie ging es wiederum über einen Rasenabschnitt. Insgesamt war die Strecke durch viele Kurven geprägt, was bei dem mäßigen Tempo aber nicht stören sollte. Außerdem sorgten diese neben dem häufig wechselnden Untergrund für die nötige Abwechslung!

Bei einer Rundenlänge von 1000 m fiel es nicht schwer, sein persönliches Tempo zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren. Aber obwohl ich mir fest vorgenommen habe, die erste Runde ganz entspannt und langsam zu laufen, blieb sie durchgehend die schnellste des gesamten Rennens. Nach 04:32 min hörte ich zum ersten Mal das Piepen der Zeitmessmatten im Start-Ziel-Bereich. Dank eines elektronischen Chips am Fuß, den jeder Läufer mit seinen Startunterlagen ausgehändigt bekommen hat, wurden alle Rundenzeiten exakt notiert. Zusätzlich gab es zwei große Monitore wenige Meter hinter der Ziellinie, auf denen jede Person, die kurz zuvor die Linie überlaufen hat, angezeigt wurde. Neben aktueller Rundenzeit und Durchschnittstempo wurden auch die momentanen Altersklassen- und Gesamtplatzierungen angegeben. So konnte man sich hin und wieder orientieren, wie es im Gesamtklassement aussieht. Eine weitere organisatorische Glanzidee war der Versorgungstisch, der sich genau zwischen Ziellinie und den beiden Monitoren auf der linken Streckenseite befand. Das ermöglichte ein wenig Zeitersparnis, denn während man sich etwas zu Trinken oder zu Essen gönnte, konnte man die derzeitigen Ergebnislisten studieren. Für Zahlenliebhaber wie mich eine perfekte Sache!

Bei Sonnenschein und warmen Temperaturen um die 25°C versuchte ich von Beginn an, den Kopf auszuschalten und auf Wohlfühltempo zu kommen. Dieses liegt im Training bei etwa 04:40 min/km, allerdings wollte ich hier in Rüningen möglichst an die 05:00 min/km heran, um Kräfte für später zu sparen. Dass ich langsamer werden würde, war mir natürlich klar, jedoch mag ich das frühe „Bremsen“ nicht leiden. Es stört den inneren Rhythmus und kostet mich - rein subjektiv - mehr Kraft, als das etwas flottere Laufen. Und so folgten anfangs viele Runden mit Zeiten um die 04:45 min. Das führte unter anderem dazu, dass ich schon ab dem dritten Kilometer das Gesamtfeld anführte. Solange ich mich frisch fühlte, durfte das von mir aus auch so bleiben.

Um Hunger, Durst, Schmerzen und Krämpfen vorzubeugen, fing ich früh an, kurze Pausen zu machen. Meistens waren es nur wenige Sekunden am Versorgungstisch, in denen ich zwei Becher Wasser, Cola oder Apfelschorle und ein wenig Obst zu mir nahm. Häufig nahm ich mir noch einen Becher oder ein paar Salzstangen mit auf die nächste Runde. So blieb ich weiter im Laufrhythmus drin und hatte unterwegs ein wenig Ablenkung.

Für noch bessere Ablenkung sorgten die anderen Läufer und hierbei insbesondere meine Family. Durch die vielen Kurven und die recht kleine Runde sahen wir uns mehrmals auf der Strecke und bei Überrundungen. Nach den ersten vier oder fünf Runden sagte mein Vater zu mir, dass ich recht langsam wirke. Ich entgegnete, dass mein Tempo eigentlich noch zu schnell für den Anfang ist. Auch das ist eine Eigenschaft von Ultraläufen: man lernt andere und vor allem sich selber völlig neu kennen. Natürlich noch nicht nach 5 km, aber es deutet sich schon früh an, dass dieser 24-Stundenlauf etwas verändern wird.

Nach neun Kilometern und 42:38 Minuten sah ich am rechten Streckenrand meine Schwester mit der Kamera stehen. Sie machte ihre erste Pause und schoss in der Zeit ein paar Fotos von uns.

Knapp 2 Runden später stand meine Schwester dann nicht hinter der Start-/Ziellinie, sondern etwa 50 Meter davor und knipste abermals ein paar Fotos. Diese sind definitiv ein Beweis dafür, dass wir am Anfang noch fit waren und „ästhetisch“ laufen konnten. Ob und wann sich das ändern sollte, wusste keiner!

Ohne Gehpausen, mit kurzen Verpflegungsstopps und bei bestem Wetter lief es für mich weiterhin problemlos. Runde für Runde schaute ich mich nach meiner Family um und wechselte ab und zu ein paar Worte mit ihnen. Außerdem beeindruckten mich die vielen, bunten und vor allem unterschiedlichen Finisher-Shirts der Läufer, die mir als kurzweilige Leselektüre dienten. Einmal überholte ich jemanden, der schon mal an einem Knastmarathon teilgenommen hat. Ein anderer wiederum hat einen Inselmarathon absolviert und zeigte dies mit seinem neon-gelben Funktionsshirt.

Nach genau 2 Stunden Lauferei - also noch in der Aufwärmphase des Rennens - schlich sich bei mir die erste Runde über 5 Minuten ein (KM 26 in 05:01 min). Dies wiederholte sich seitdem natürlich immer häufiger. Anfangs hing es noch mit den Trink- und Essenspausen zusammen, die immer länger wurden. Später war es auch durch mein langsameres Lauftempo begründet.

Die erste große Marke war nach ziemlich genau 03:25:00 Stunden erreicht: der erste Marathon ist absolviert! Eigentlich deutlich zu schnell, wenn ich bedenke, dass noch mindestens drei weitere Marathons geplant sind. Aber egal, solange ich mich wohlfühlte, wollte ich Gedanken dieser Art vermeiden.

Nach 45 Runden unter fünf Minuten und 5 Runden über dieser Zeitmarke, war der nächst größere Meilenstein geschafft: die 50 Kilometer in exakt 04:02:42 Stunden! Spätestens an diesem Punkt wollte ich eine etwas längere Pause einräumen. Meine Family hatte schon vor einigen Runden geplant, zusammen Pommes essen zu gehen. Aber wie es in der Natur des Läufers liegt, musste ich es ein wenig hinauszögern. Nach rund 4 Stunden hatten meine Schwester 25 km, meine Mutter 27 km und mein Vater 37 km auf ihren Konten. Allen ging es soweit gut und so gingen wir zunächst zu dem Stand, wo man sich Wertmarken kaufen musste. Mit diesen ging’s rüber zur Pommes-Bude, wo es unverschämt lange dauerte, bis wir unser Essen bekamen. Eigentlich hätte auch die Streckenverpflegung ausgereicht, war mein erster Gedanke, aber letztlich bereue ich es nicht, auch etwas Warmes und Sättigendes im Magen gehabt zu haben.

Nach einer knapp 40-minütigen Pause ging ich ohne Schuh- oder Shirtwechsel wieder auf die Strecke. Es war 19.40 Uhr und mein nächstes, kurzfristiges Etappenziel sah so aus, dass ich nach weiteren zwei Stunden meine Schuhe und mein Laufshirt wechseln wollte. Nun wieder in den alten Rhythmus zu kommen war nicht mehr möglich. Zwar lief es sich nach einer etwas mühsamen Einführungsrunde wieder recht gleichmäßig, allerdings jede Runde deutlich über 05:00 min. Die Pausen an dem Verpflegungstisch wurden auch immer länger und so kam es zweimal vor, dass ich dort bis zu drei Minuten verweilte. Neben Obst (Äpfel, Bananen, Orangen, Kiwis, Wassermelone), gab es kleingeschnittene Energieriegel, Traubenzucker, Kekse, Schokolade, Salzstangen und verschiedene Getränke (Wasser mit/ohne Kohlensäure, Cola, Apfelschorle, Isogetränke, später auch warme Brühe). Somit ist nachvollziehbar, warum es zu manch längerer Pause gekommen ist.

Nach rund 06:30 Stunden Lauferei (um 21.30 Uhr) verließen wir alle zusammen die Strecke. Die Bilanz sah wie folgt aus: meine Schwester hatte 36 km, meine Mutter 40 km, mein Vater 53 km und ich 70 km absolviert. Für mich folgte nun die zweite, etwas längere Pause inklusiv Schuhwechsel. Bis hierhin bin ich in meinen Brooks Glycerin 10 gelaufen und wollte jetzt auf meine neue Nike Free 3.0 wechseln. Zudem zog ich mein Achselshirt aus und wählte eins mit längeren Ärmeln aus. Noch war es nicht viel kälter geworden, aber sofern der Körper in nächster Zeit mal streiken sollte, kann es auch recht frostig unter der Haut werden.

Während meine Eltern zurück zum Wohnwagen gegangen sind, um sich für 2,5 Stunden ein wenig hinzulegen, bin ich nach weniger als 30 Minuten wieder auf der Strecke gewesen. Meine Schwester folgte mir nach weiteren 20 min, jedoch ist sie auf der nun beleuchteten Runde größtenteils spazieren gegangen. Mein nächstes, neu formuliertes Etappenziel sind die 85 Kilometer, die mehr als zwei Marathons entsprechen. Außerdem wollte ich diese Distanz deutlich vor Mitternacht erreichen, um mir vor dem Moonlight-Run eine dritte Pause im Zelt zu gönnen.

Bei dem Moonlight-Run handelt es sich um eine Art Zwischenwertung im Rahmen des gesamten Laufes. Hierbei bekommen alle Läufer(innen), die zwischen 00.00 Uhr und 04.00 Uhr mindestens 15 Kilometer absolvieren, das grüne Moonlight-Run-Shirt. Für uns stand es natürlich außer Frage, dass wir uns diese Trophäe ergattern möchten. Während meine Eltern entspannten und meine Schwester langsame fünf Runden zurücklegte, lief ich meine anvisierten 15 Kilometer (zwischen KM 70 und KM 85) in einem lockeren Tempo von durchschnittlich 05:30 min/km. Meinen Meilenstein erreichte ich um 23.22 Uhr und freute mich innerlich sehr auf meine dünne Matratze im Zelt. Zum ersten Mal seit dem Startschuss vor über acht Stunden hatte ich ein wenig die Schnauze voll und wollte mich einfach nur hinlegen. Am liebsten auch nicht mehr aufstehen, einfach nur hinlegen und chillen!

Die knapp 40 Minuten vergingen (natürlich) wie im Flug, aber glücklicherweise verspürte ich etwas neugewonnene Energie. Da ich mich vor dem Hinlegen gar nicht ausgezogen habe, brauchte ich so kurz vor dem Moonlight-Run auch keine Schuhe binden. Lediglich ein neues Shirt übergeworfen und die Laufjacke dazu und dann war ich bereit für die nächste, historische Marke: im Rahmen des Moonlight-Runs soll nämlich die 100-km-Marke fallen!

Sonntag, 25.08.2013

Der Lauf

Da ich noch ein wenig getrödelt habe, verpasste ich den neuen Startschuss um Mitternacht, was aber nicht weiter schlimm war. Mit ein paar Minütchen Verspätung folgte ich meiner Family auf die Strecke, die sich nun in Anbetracht der beliebten Finisher-Shirts wieder gut gefüllt hat. Bis auf drei langsamere Runden (KM 91 in 06:30 min, KM 93 in 07:29 und KM 96 in 08:31 min), kam ich wieder auf meine vorheriges 05:30-min/km-Tempo. Meine Beine waren zwar fest und etwas müde, aber Schmerzen hatte ich keine. Das motivierte mich zu dem Entschluss, dass nach dem Moonlight-Run noch nicht das Ende der nächtlichen Fahnenstange erreicht sein wird. Ich nahm mir fest vor, noch in der Nacht über die 100 km hinauszulaufen. Außerdem mobilisierte mich meine bisherige Gesamtplatzierung, denn seit dem dritten Kilometer am Samstagnachmittag habe ich den ersten Platz nicht mehr verloren. Mein Vorsprung betrug zwar nie mehr als vier bis fünf Kilometer, aber das reichte trotz meiner drei längeren Pausen aus.

Nichtsdestotrotz musste ich mir eingestehen, dass es ohne kurzer Schlafpause nicht auszuhalten sein wird. Ich wollte mich nicht unnötig quälen und so bestätigte ich nicht nur mir selbst, sondern auch meinen Eltern, dass ich heute Nacht ein-zwei Stunden schlafen werde.

Aber dann - ENDLICH - der emotionale 100. Kilometer war erreicht. Nach einer Laufzeit von 10:31:33 Stunden! Das ist zwar keine weltbewegende Zeit, aber im Rahmen eines solchen Laufes doch recht flott.

Nachdem meine Mutter und meine Schwester ihren jeweils 15. Nacht-Kilometer beendet haben und mein Vater und ich noch eine gemeinsame, schnelle Runde absolvierten (KM 104 in 05:25 min), gingen wir zusammen zu dem Zelt, wo die Finisher-Shirts verteilt wurden. Danach verabschiedete ich mich von meiner Family, die um 02.00 Uhr zum Duschen gegangen ist und drehte währenddessen weiter meine Runden, die nun immer sprunghafter wurden (zw. 05:11 - 08:10 min/km).

So ganz ohne Zwischenziel fiel es mir aber schwer zu laufen, sodass ich meine geplante Schlafpause erst nach meinem 120. Kilometer antreten wollte. Als meine Schwester fertig geduscht war und sie mich fragte, wann ich ins Zelt komme, entschied sie sich spontan für einen allerletzten Spaziergang auf der Strecke. So sammelte sie nochmals 1000 Meter, während ich mein nächtliches Pensum mit einem „super schnellen“ Kilometer (04:55 min) beendete. Nach einer Laufzeit von 12:45:05 Stunden (insgesamt 120 km, meine Schwester: 58 km) trank ich einen Becher warme Brühe, nahm mir noch ein paar Salzstangen mit und dann gingen wir zusammen zum Zelt, um uns schlafenzulegen. Um kurz vor 04.00 Uhr stellte ich den Wecker auf 05.30 Uhr, bereitete mir mein drittes Paar Laufschuhe (Brooks Glycerin 9) und ein frisches Laufshirt vor und pennte nach wenigen Sekunden ein.

Wie erwartet schaltete ich den Wecker um 05.30 Uhr auf Schlummerfunktion und haute infolgedessen mehr als zehnmal (d.h. alle 3 min) oben drauf, um weiter schlafen zu können. Meine Schwester, die direkt neben mir lag, hat davon zum Glück nichts mitbekommen. Gleichzeitig mit dem mühsamen Binden meiner Schuhe trank ich einen Energy-Drink, um hoffentlich schnell wieder auf Touren zu kommen. Mit dem Verlassen des Zeltes wuchs meine Motivation wieder ein bisschen und als ich merkte, dass meine Beine noch einigermaßen „funktionierten“, war ich optimistisch, mein Ziel von 169 km erreichen zu können. Als ich gegen 06.20 Uhr zum Versorgungstisch an der Start-/Ziellinie kam und mir dort ein Stückchen Apfel und Banane nahm, begrüßte mich einer der Organisatoren, mit dem ich mich in der Nacht noch gut unterhalten habe. Er sprach mir Mut zu und wünschte mir alles Gute für den langen Tag.

Meine 121. Runde war grausam! Gehen schien kein Problem zu sein, aber Laufen?!? Nach dem ersten Übertreten der Ziellinie ging ich zunächst zu den Monitoren rüber, um zu schauen, auf welcher Gesamtplatzierung ich mich nach meiner „langen“ Pause befand. Die Ergebnisliste zeigte an, dass ich auf dem 3. Platz lag, 12 km Rückstand zum Erstplatzierten und nur 1 km Vorsprung auf den Vierten. Nun aber flott, dachte ich mir. Hoch motiviert im Kopf, aber K.O. in den Beinen absolvierte ich die zweite Runde in schmerzhaften 09:57 min. Glücklicherweise lockerte sich alles auf der dritten und vierten Runde, sodass ich schon bald wieder durchschnittlich 06:00 min/km laufen konnte.

Die Runden, in denen ich am Verpflegungstisch Pausen einlegte, lief ich meist in 8-10 Minuten. Aber ansonsten fühlte ich mich imstande, die besagten 06:00 bis 06:30 min pro Runde zu halten.

Nach einer Pause von über 4,5 Stunden kam auch meine Schwester um 08.30 Uhr zu mir auf die Strecke. Nachdem sie drei Runden spazierend absolvierte und auch meine Eltern wieder auf den Beinen waren, ging meine Family zurück zum Wohnwagen, um zu Frühstücken. Dass sie auf einmal weg waren und nach einer knappen Stunde wieder auftauchten, habe ich ehrlich gesagt nicht richtig wahrgenommen. Auch an meinen Platzierungswechsel vom 3. auf den 2. Platz kann ich mich unmittelbar nach dem Lauf nicht mehr erinnern. Meine ganz persönliche Schlussfolgerung ist, dass ich mich zwischen KM 125 und KM 165 in einer Art Tunnel befunden und nicht viel von außen wahrgenommen habe. Dennoch gibt es Fotos von diesem Zeitraum, auf denen ich winke. So ganz schlecht muss es also noch nicht um mich gewesen sein.

Obwohl ich mir am Samstag kleinere Etappenziele formuliert habe und mich diese Methode gut durch den Tag und die Nacht gebracht hat, fiel es mir am Sonntag deutlich schwerer, mir greifbare Zwischenziele zu setzen. Seit meinem 121. Kilometer morgens um 6.20 Uhr bis zum Ende des Laufes um 15.00 Uhr (bzw. 14.24 Uhr, weil ich den Lauf dann schon beendet habe) verließ ich die Strecke kein einziges Mal. Meinen ersten Marathon bei erneutem Tageslicht (KM 120 - KM 162) absolvierte ich in einer Zeit von 04:36:50 Stunden. Dies realisierte ich auf der Strecke - wie schon gesagt - keineswegs. Mit Tunnelblick und völliger Leere im Kopf lief ich Runde um Runde um Runde und merkte nur bei KM 169, dass ich mein großes Ziel von vier aufeinander folgenden Marathons bewältigt habe! Die Zeit bei dieser Marke betrug 21:02:09 Stunden, d.h. 05:15:32 Stunden pro Marathon! Viermal hintereinander, wow!

An diesem Punkt kehrte langsam eine Art Konzentration zurück. Ich nahm zum einen meine Umwelt wieder wahr und zum anderen meinen Körper. Schmerzen wurden spürbar. Die Sonne und die Wärme kamen zurück. Der zweite Gesamtplatz mit nur 2 km Rückstand auf den Ersten. Ist das überhaupt möglich? Vor „Kurzem“ waren es doch noch 12 km. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Wo war ich und wenn hier, wie schnell?

Während meine Schienbeine und Fußgelenke pochten und mich immer wieder umknicken ließen, wurden meine Rundenzeiten nun deutlich langsamer. So kurz vorm Ziel! Komm Junge, streng dich an! Unterdessen konnte ich den momentan Drittplatzierten ausfindig machen. Es war Peter Hanke, ein 67-jähriger Ultraläufer mit Millionen Prozent mehr Erfahrung als ich. Uns trennten zu meinen Spitzenzeiten sechs-sieben Kilometer, allerdings konnte ich nun prognostizieren, dass diese Differenz schmelzen wird. Er sah noch fit aus und konnte jede Runde durchlaufen. Als ich vermehrt Gehabschnitten einlegen musste, kam es dazu, dass wir beide uns irgendwie angesprochen haben. Er gab mir den Tipp, nicht stehen zu bleiben, geschweige denn mich hinzusetzen oder gar hinzulegen. Wahrscheinlich hatte er Recht, aber mein Körper wollte im Moment das genaue Gegenteil. In unseren letzten gemeinsamen Stunden hielt er häufiger mal an und motivierte mich. Er erklärte mir, dass sein Ziel die 180 km seien, also eine Distanz, die auch im Rahmen meiner Möglichkeiten liegen könnte. Hin und wieder konnte ich ein paar Hundert Meter laufen und so versuchte ich, ebenfalls die 180 km zu erreichen. Peter Hanke versuchte, mich zu motivieren, und es schien ihm geglückt zu sein!

Nach einer Laufzeit von 21:30 Std. und 171 absolvierten Kilometern passierte das vermeintlich Unmögliche: Führungswechsel an der Spitze! Der bisher Führende musste aufgeben. Ich habe ihn noch am Verpflegungstisch getroffen und ihn ebenfalls motivieren wollen, aber er schien völlig leer gewesen zu sein. Trauriges Bild, muss ich gestehen. Da kämpft sich ein junger Läufer fast 22 Stunden über die Strecke und dann sowas! Mich motivierte der erneute erste Platz natürlich sehr, aber dennoch wurde es mit jeder Runde schwieriger, durchzulaufen. Seit meiner persönlichen 169-km-Barriere gelang es mir nur noch zweimal, eine Runde ohne Pause durchzulaufen (KM 174 in 07:15 min und KM 176 in 07:52 min). Alle weiteren Runden lagen bei 10:08 bis 17:38 min!

Meine Mutter, die gemeinsam mit meiner Schwester fast jede Runde spazierend zurücklegte, begleitete mich immer mal wieder. Berechtigterweise machte sie sich Sorgen um mich, aber ich wollte nicht kampflos aufgeben und meinen ersten Platz wieder verlieren. Es ging mir zwar richtig dreckig, aber Gehen war immer noch möglich. Lediglich mein Vater war noch imstand, zu laufen. Ich konnte es kaum fassen und hatte mächtig Respekt davor.

Auf meiner 179. Runde, die gleichzeitig meine vorletzte war, kühlte ich mir nochmals meine schmerzenden Schienbeine mit ein bisschen Wasser. Außerdem tauchte ich meine Mütze mehrmals in die großen Wassertanks im Start-Ziel-Bereich, damit ich im wahrsten Sinne des Wortes kühlen Kopf bewahren konnte. Im Allgemeinen ging es mir zwar ganz gut, jedoch verspürte ich im Inneren des Körpers merkwürdige Wallungen. Mal fühlte ich mich super und dachte kurz daran, ein paar Meter zu laufen, und ein anderes Mal wollte ich mich auf der Stelle hinfallen lassen und schlafen.

Um 14.24 Uhr war es dann endgültig soweit. Der 24-Stunden-Lauf hat mich kaputt gemacht! Ich selbst habe mich kaputt gemacht! Keinen einzigen Meter wollte ich mehr laufen. Im Zielbereich kam nochmals Peter Hanke auf mich zu und zollte mir seinen Respekt und gratulierte mir vorzeitig zum Gesamtsieg. Ich sagte ihm, dass ich 181 km gelaufen (und gegangen) bin und dass er vielleicht auch noch seine anvisierten 180 km schaffen kann, aber er legte nicht mehr so viel Wert darauf. Er versprach mir mehrere Male, dass er nicht mehr als ich laufen wird. Er gönnte mir den Sieg, aber ich wollte nichts geschenkt bekommen! Deshalb versuchte ich mehrfach, ihn zum Weiterlaufen und Siegen zu überreden. Letzten Endes waren es aber vier Kilometer, die uns trennten, denn er beendete den Lauf mit 177 km.

Ob erster oder zweiter Platz wäre mir am Ende ernsthaft egal gewesen, denn niemandem hätte ich den Sieg so sehr gegönnt wie meinem Motivator Peter Hanke. In diesem Alter allen jüngeren Sportlern so davonzulaufen verdient größten Respekt! Hut ab!

Die letzten fünf Minuten des Events wurden nochmals laut angekündigt und gefeiert. Viele Läufer begaben sich noch ein letztes Mal auf die Strecke und liefen ihren letzten Kilometer gemeinsam. Leider konnte ich nicht dabei sein, denn nach fast 8 Stunden auf den Beinen wollte ich einfach nur sitzen. Sitzen und nichts tun, gar nichts!

Meine Family genoss währenddessen den Zieleinlauf und alle drei haben ihre Leistung des Vorjahres übertroffen. Allen voran hat mein Vater sein Ziel von 100 km um fünf Kilometer übertroffen und ist mit nun 60 Jahren 105 km innerhalb von 24 Stunden gelaufen! Wahnsinn! Meine Mutter (81 km) und meine Schwester (80 km) trennte lediglich ein einziger Kilometer und beide haben sich im Vergleich zum letzten Jahr deutlich gesteigert. Gratulation an alle an dieser Stelle! Zusammen haben wir 447 km erlaufen. Eine kaum vorstellbare Leistung, die wir wohl erst nach einiger Zeit so richtig realisieren werden!

Nachher

Um nicht zu weit vom Geschehen zu sein, habe ich mich aufgerafft und bin mit dem Campingstuhl zum Zielbereich gehumpelt. Auf dem Weg dahin kam mir einer meiner besten Kumpels mit seiner Freundin entgegen. Er studiert in Braunschweig und hat es also nicht allzu weit nach Rüningen. Obwohl man es mir sicherlich nicht angesehen hat, habe ich mich über den Besuch riesig gefreut.

Am Zielbereich angekommen haben wir noch ein letztes Familienfoto gemacht und auch wenn jeder ein Lächeln im Gesicht hat, müde und k.o. war jede(r) von uns!

Bis zur Siegerehrung dauerte es etwas weniger als eine Stunde und da ich in dieser Zeit nur im Stuhl saß und meine Beine kaum bewegt habe, sind diese hart wie Beton geworden. Ich fühlte mich wie halbtot, wie gelähmt, unbeweglich, schutzlos! Und doch musste ich mich noch zweimal dazu mobilisieren, aufzustehen. Nach der Ehrung der Altersklassensieger folgte nur wenig später die Ehrung der Gesamtsieger. Da ich nicht nur Zweiter oder Dritter war, sondern Erster, wollte ... naja, musste ich höflichkeitshalber die vier Stufen hoch und wieder runter. Muskelkater war das gewiss nicht mehr - schon eher Muskelschwund!

Neben meinem Erfolg kann auch meine Schwester mehr als stolz auf sich sein, denn in ihrer ebenfalls großen Altersklasse (18 bis 39 Jahre) belegte sie von 39 Läuferinnen den 3. Platz.

Nach der Siegerehrung schaffte ich es gerade noch so zum Wohnwagen, wo mein Kumpel, seine Freundin und ich ein wenig entspannten, während meine Family liebenswerterweise unser Zelt abbaute. Sooo gerne hätte ich das übernommen, aber mein Körper sagte zu jedem meiner Befehle: „NEIN, vergiss es, du Idiot!“.

Während der Autofahrt habe ich abermals fast durchgehend geschlafen und zu Hause angekommen musste mich mein Vater stützen, damit ich den Weg vom Auto in die Wohnung schaffe. Ich war erschrocken, wie mein Körper reagierte. Mein ganzes Immunsystem schien völlig geschwächt, nichts ging mehr, und während des Abendessens fiel mein Kopf mehrmals nach vorne in meine Armbeuge und auf den Tisch. Das war das erste Mal im Leben, dass ich den Döner von Rossini nicht richtig genießen konnte! Traurig!

Ursprünglich hatte ich geplant, am Montag zum Semesterbeginn nach Venlo zu fahren und nach der Vorlesung meinen Umzug vorzunehmen. Das ging natürlich auf gar keinen Fall und so verschob ich diese Pläne auf Dienstag. Immer noch k.o. und auf die Hilfe von Krücken angewiesen fuhr ich dann endlich Dienstagmorgen los. Glücklicherweise klappte alles wie geplant, nur das Kupplung-Drücken war eine Herausforderung für sich!

 

Mein persönliches, kurzes Fazit zum Thema 24-Stunden-Lauf lautet übrigens: „NIE wieder ... oder nächstes Jahr nochmal, aber sonst nie wieder!“ :-D

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

181 km

 

24:00:00 Std.

 

24:00:00 Std.

 

Männl. Hauptklasse (U40)

 

1. von 53 (1,9 %)

 

1. von 226 (0,4 %)

 

1. von 375 (0,3 %)