1. Alfsee-Ultra Rieste

06.03.2021

Vorher

Genau 20 Wochen nach meinem letzten offiziellen Ultramarathon stand heute endlich wieder ein Lauf mit leichter Überlänge auf dem Programm. Der private Veranstalter dieses kleinen Events mit nur 17 Teilnehmern war diesmal Andreas Pluta aus der Nähe von Osnabrück, der in ähnlicher Taktung wie ich flotte Marathons sammelt. Für ihn sollte es die Prämiere als Organisator werden und dementsprechend gründlich hat er uns Läufer im Vorfeld informiert und auf den besonderen Tag eingestimmt.

Nicht nur die Ausschreibung auf einer separaten Homepage war vollständig und informativ, sondern auch die Infos und Fotos von der Strecke, die Andreas regelmäßig über die sozialen Medien mit uns teilte. So konnte man sich schon Wochen vor dem Rennen auf den Alfsee und das Vogelschutzgebiet drum herum einstellen. Noch mehr Vorfreude kam dann auf, als bekannt wurde, dass es für die Finisher neben einer gedruckten Urkunde eine weitere kleine Überraschung geben würde.

© Andreas Pluta
© Andreas Pluta

Für meine Freundin Sophie, die am Alfsee gern über 3 statt 6 Runden und somit über eine Distanz von 22,5 km gestartet wäre, fiel der Wettkampf leider aufgrund eines anderen Termins flach. Den Startplatz konnten wir freundlicherweise spontan auf meine Schwester Nicole übertragen, die an diesem Samstag erstmals nach dem Ägypten Ultrahalbmarathon wieder an einem offiziellen Lauf teilnehmen würde. Wir verabreden uns somit zu einem gemeinsamen Start um 8 Uhr und freuten uns auf einen sportlichen Morgen.

Am Vorabend überprüfte ich nochmals die Wetterprognose, die uns kühle aber gleichzeitig sehr gute Laufbedingungen prophezeite. Neben Temperaturen um den Gefrierpunkt sollte es einen Mix aus vielen Wolken und wenig Sonne sowie einer leichten Brise geben. Da die Strecke auf dem erhöhten Deich rund um den Alfsee verlief, wäre ein stärkerer Wind sicher ungemütlich geworden.

Zum Abendessen gab es für mich dieses Mal keine Pasta, da wir bei Sophies Eltern zu Besuch waren und den Geburtstag ihrer Mutter nachfeierten. Stattdessen gab es vegane Hackbällchen, Quesadillas, Tortilla, gefüllte Champignons, Ensaladilla Rusa, Antipasti und ordentlich Bier. Mit Veranstalter Andreas scherzte ich im Vorfeld, dass ich mich mit dieser „Vorbereitung“ für mehr Chancengleichheit am Wettkampftag einsetzte. Er entgegnete nur, dass es dann aber mindestens 4 Liter Bier sein müssten :-)

Nach einer etwas kurzen, aber guten Nacht stand ich am Samstagmorgen um 6 Uhr auf und bereitete mir ein kleines Frühstück mit Tee vor. Pünktlich um 7 Uhr ging ich vors Haus und bemerkte, dass die Autoscheiben gekratzt werden mussten – bei -5°C kein Wunder.

Wenige Minuten später war ich schließlich unterwegs ins knapp 50 km entfernte Rieste, nördlich von Osnabrück, wo ein großer Parkplatz nordöstlich des Alfsees unser heutiges Start-Ziel-Gelände darstellte. Andreas war dick eingepackt und empfing alle Läufer*innen persönlich, indem er ihnen einen verschlossenen weißen Umschlag überreichte. Darin befand sich neben der vorgedruckten Urkunde auch die bereits erwähnte Überraschung. Dazu dann aber später mehr.

Während der Veranstalter zwischenzeitig die nächsten Teilnehmer auf ihre sechs Alfsee-Runden entsendete, knipste ich ein paar Fotos vom überschaubaren Start-Ziel-Bereich oben auf der Deichkrone.

Keine fünf Minuten später erschien auch Nicole, die ihr Auto direkt neben meinem parkte. Bevor es gleich für uns losging, liefen wir uns noch ein paar Meter warm und suchten uns in einem kleinen Waldstück jeweils ein stilles Örtchen.

Man merkte uns die Aufregung an und es herrschte ein Mix aus Vorfreude und der wiederkehrenden Frage: „Warum machen wir das bloß?“.

Um 8:12 Uhr befanden wir uns dann endlich hinter der Startlinie und waren bereit! Gemäß Ausschreibung und Corona-Konzept durften wir zwischen 8 und 9 Uhr maximal zu zweit auf die Strecke und mussten sowohl unsere Zeit selbst stoppen, als auch eigene Verpflegung bereithalten.

Nicole und ich erfüllten alle Vorgaben und grinsten uns ein letztes Mal gegenseitig zu. Dann wünschten wir uns ‚Viel Spaß!‘ und starteten in unsere jeweiligen Rennen.

Mein Marathon Nr. 90 war somit gestartet!

 

Der Lauf

Wie bereits erwähnt starteten wir am nordöstlichen Ufer des Sees und liefen von dort zunächst Richtung Süden. Bei KM 1 gab es eine Unterbrechung in Form einer großen S-Kurve, die an dem Café ‚Seeterrassen‘, einem Spielplatz und einem Naturschutz-Bildungszentrum vorbeiführte. Aufgrund der Corona-Pandemie und des kühlen Wetters war es hier erwartungsgemäß menschenleer.

Es folgte ein weiteres, knapp 1,5 km langes Geradeaus-Stück, das am südlichen Ende des Sees in ein kurzes Bergab-Stück überging. Nach einer Rechtskurve befand man sich hier auf einer Überlaufschwelle, also einem kleinen Deich, der bei der Regulierung der Wasserhöhe eine Rolle spielt. Dadurch, dass hier durch insgesamt zehn kleine Schleusen Wasser floss, herrschte an dieser Stelle etwas mehr Lärm und erinnerte an einen Wasserfall.

Kurz vor KM 3 ging es nach einer weiteren Rechtskurve eine kleine Rampe und somit die einzigen Höhenmeter der Runde hinauf. Die folgenden zwei Kilometer verliefen geradeaus Richtung Norden und waren lediglich bei KM 4 durch einen großen, kahlen Busch unterbrochen.

Im Nordwesten angekommen wurde es wieder minimal abwechslungsreicher, indem das Ufer wieder einer S-Form ähnelte. Bei KM 6,4 liefen wir geradewegs auf ein Ausgleichsbauwerk zu, vor dem es jedoch links abzubiegen galt, um auf dem Radweg links vom Deich zu bleiben. Dieser war auch der Weg, der uns direkt zum Parkplatz und zur Verpflegungsmöglichkeit führte.

Bei KM 7 ging es schließlich nach rechts auf den Parkplatz, der mittlerweile etwas mehr gefüllt war. Es schien so, dass alle Teilnehmer anwesend und gestartet seien, sodass auch Veranstalter Andreas sich hoffentlich wieder warmlaufen konnte.

Laut Ausschreibung soll eine Runde 7,5 km lang sein, doch meine GPS-Uhr hielt beim Überqueren der Start-Ziel-Linie eine Distanz von 7,35 km fest. Diese Differenz ist kein Grund zur Sorge und ist womöglich auf die Kurven zurückzuführen, die diese Uhren gern mal anschneiden bzw. abkürzen. Ich entschied mich dennoch schon jetzt dafür, nach meinen sechs Runden die fehlende Differenz zu den 45 Kilometern dranzuhängen – fürs reine Gewissen sozusagen.

Mit der ersten Runde, die ich sehr kontrolliert und gleichmäßig gelaufen bin, durfte ich recht zufrieden sein (in 30:49 min; entspricht 4:11 min/km).

Die zweite Runde startete mit dem 2,5 km langen Abschnitt, der am ehesten vom Gegenwind betroffen war. Hier war es Zeit, dass ich mein Halstuch bis über die Nase zog, um im Gesicht nicht zu sehr auszukühlen. Sobald ich nach Überquerung der Überlaufschwelle aber wieder Wind von der Seite und von hinten hatte, zog ich das Tuch wieder hinunter.

Obwohl die Strecke überschaubar war und man von überall fast jede Uferseite einsehen konnte, erkannte ich anfangs nur wenige Läufer. Das Teilnehmerfeld hatte sich – auch aufgrund der Rahmenstartzeit – ordentlich in die Länge gezogen und noch wusste ich nicht, wer von den üblichen Verdächtigen auch heute am Start war.

Unbeirrt spulte ich weiter Kilometer um Kilometer ab und näherte mich langsam aber sicher dem Ende meiner zweiten Runde. Diese beendete ich zehn Sekunden schneller, als die vorherige (in 30:39 min; entspricht 4:10 min/km), womit ich weiterhin sehr zufrieden war.

Ohne Hunger, ohne Durst ließ ich aktuell jede Verpflegungsmöglichkeit aus und verblieb somit auf dem Radweg zwischen Parkplatz und Deich. Mit hochgezogenem Halstuch ging es dann auf die dritte Runde, auf der mir die vielen wilden Gänse bewusst wurden. Häufig befanden sie sich in unmittelbarer Nähe zu dem gepflasterten Weg, auf dem wir liefen, was auch an den vereinzelten Häufchen zu erkennen war. Sobald ich mich ihnen näherte, wurde das Schnattern lauter und einige Gänse flogen wild von links nach rechts. Da es hier ansonsten recht ruhig war, bildete ich mir ein, dass diese Tierlaute Applaus und Anfeuerungsrufe ersetzten. Je lauter, desto besser also!

Auch wurde es dank der ersten Überrundungen etwas geselliger, denn nicht selten gab es während meines Überholvorgangs ganz kurze Konversationen. Meine Frage „Vermisst du die Höhenmeter?“ beantwortete Günter zum Beispiel mit „Ja, der Berg fehlt!“. Ansonsten hörte ich häufiger mal „Wow, bist du wieder schnell unterwegs.“

Dank dieser kurzen Wortfetzen kam mir die monotone Runde gleich viel kürzer und schneller vor.

Mit der dritten Überquerung der Start-Ziel-Linie war schließlich knapp die Hälfte geschafft. Runde 3 war ganze drei Sekunden schneller, als die vorherige (in 30:36 min; entspricht 4:09 min/km), und fühlte sich nach wie vor locker an.

Eine allzu konkrete Prognose in Bezug auf meine Finisherzeit wollte ich noch nicht abgeben, jedoch würde es mich freuen, wenn ich meine 45 km Bestleistung vom 2. Ägypten Ultramarathon (03:12:51 Std.) unterbieten könnte. Noch war ich auf Kurs.

Während meiner vierten Runde dachte ich an Nicole, die ich rein rechnerisch bald überrundet haben müsste. Es sei denn, sie lief schneller als die anfangs anvisierten 6:00 min/km. Und tatsächlich glaubte ich meinen Augen kaum, als ich sie anhand ihrer pinken Jacke auf der westlichen Uferseite sah, während ich noch auf Höhe des Cafés ‚Seeterrassen‘ war. Nicole hatte auf ihrer dritten und letzten Runde also immer noch einen Vorsprung von über zwei Kilometern.

Diese Lücke konnte ich bei bestem Willen nicht mehr schließen, bevor sie im Ziel war, und das freute mich riesig für sie. Ich durfte gespannt sein, was sie mir nach dem Lauf zu berichten hatte.

Sobald ich den südlichen Zipfel des Alfsees überquert hatte und wieder mit leichtem Rückenwind lief, war Nicole schon am nördlichen, kurvigen Ufer angelangt. Wahnsinn! Wenn meine Vermutung aufging, würde sie nach ihren 22,5 km zum Auto laufen, ihr Handy holen und noch schnell ein paar Fotos von mir knipsen.

Und was soll ich sagen? Wir tickten scheinbar gleich, denn genau das tat Nicole nach ihrem starken Finish auch. Vielen lieben Dank!

Während ich an Nicole vorbeilief, gratulierte ich ihr und verabschiedete mich gleich wieder in meine nächste Alfsee-Umrundung. Runde 4 reihte sich nahtlos in meinen bisherigen Steigerungslauf ein und war ganze zwei Sekunden schneller, als die vorherige Runde (in 30:34 min; entspricht 4:09 min/km).

Nachdem zwei Drittel geschafft waren, dachte ich über die Punkte „Verpflegung“ und „Endspurt“ nach. Hunger und Durst verspürte ich noch nicht und auch das Energiegel, das ich von Beginn an in meiner Hosentasche mittrug, wollte ich mir noch aufsparen, wenn ich es heute nicht zwingend bräuchte.

Also verdrängte ich die Gedanken an das Gel und Wasser und überlegte mir, wann ich die leicht angezogene Handbremse lösen und aufs Gaspedal treten sollte. Da eine Alfsee-Runde auch ganz schön lang werden konnte, wollte ich den Antritt erst mit Beginn der letzten Runde riskieren. Somit genoss ich noch das aktuell gleichmäßige Tempo und spulte weiter Meter um Meter ab.

Auf dem nördlichen Abschnitt merkte ich dann aber doch so langsam meine Beine und um dem Körper keine Chance für einen vorzeitigen Einbruch zu geben, legte ich schon jetzt ein wenig an Geschwindigkeit zu. Das war dann auch an der bisher schnellsten Rundenzeit sichtbar, denn die fünfte Alfsee-Umrundung war nach 30:23 min (4:08 min/km) eingetütet.

Nachdem ich kurz hinter der Start-Ziel-Linie das Metallgitter im Boden überquert hatte, das hier Schafe vor dem Verlassen der Felder hindern soll, sah ich Nicole mit ihrem gezückten Handy am linken Streckenrand stehen. Ich winkte freundlich in die Kameralinse und teilte ihr dabei mit, es sei nun meine letzte Runde plus ein Extra-Wendepunktstück.

Nach ein paar kurzen Anfeuerungsrufen à la „Super, Patrick!“ schraubte ich das Tempo kontinuierlich höher und freute mich auf meine Alfsee-Abschiedsrunde. Diesmal ging es nicht nur an mehreren Gänsen, dem Café und an überrundeten Kontrahenten vorbei, sondern manches Mal auch im Slalom an Spaziergängern und Radfahrern, die nun zu dieser Uhrzeit mehr geworden sind.

Hinzu kam ein plötzlicher Wetterumschwung, denn kurz bevor ich die Marathonmarke erreicht hatte, wurde es windiger und Schneeregen gesellte sich dazu. Komisch, damit hatte ich jetzt gar nicht mehr gerechnet. Also die Augen leicht zusammenkneifen und weiter rennen.

Nach exakt 42,2 km zeigte meine Uhr eine Durchgangszeit von 02:54:30 Std., womit ich heute Morgen noch gar nicht gerechnet hätte. Ich wäre auch mit glatt 3 Stunden sehr zufrieden gewesen.

Als dann auch der Radweg zwischen Ausgleichsbauwerk und Parkplatz geschafft war und ich schnurstracks auf die Ziellinie zulief, hatte meine Uhr erst 44,1 km aufgezeichnet. Mit hochgezogenem Halstuch winkte ich erneut in Nicoles Handykamera und machte mich ein letztes Mal auf und davon – 450 m hin und 450 zurück fehlten mir noch.

Nachdem die sechste Alfseerunde nach super-schnellen 28:50 min (3:55 min/km) abgehakt war, war ich gespannt, wie flott der letzte Kilometer werden würde.

Als die erste Parkbank auf der Deichkrone erreicht war, machte ich kehrt und lief mit langen Schritten zurück zum Ziel. Dort ging es ein letztes Mal über die dicken Gitterstangen, bevor wenige Meter später glatt 45 km im Display zu sehen waren. Nach dem insgesamt schnellsten Kilometer (KM 45 in 3:37 min) durfte ich auch mit der Gesamtzeit mehr als zufrieden sein: 03:04:56 Stunden!

Somit war ich über sieben Minuten schneller, als bei meinem bisher schnellsten 45er. Was will man mehr?!

 

Nachher

Nicole und ich gratulierten uns gegenseitig und sprudelten beide vor Freude. Während ich ihr berichtete, dass ich ganz erstaunt über ihr hohes Tempo war, bestätigte sie meine Auffassung und erzählte von ihrem gleichmäßigen, flotten Rennen. Auch sie konnte stetig schneller werden (Runde 1-3 in 39:50 min, 39:36 min und 39:32 min) und hat anschließend noch ein paar hundert Meter drangehängt, um auf exakt 22,5 km zu kommen.

Etwas ärgerlich erschien ihr die Tatsache, dass ihre Halbmarathon-Durchgangszeit von 01:53:55 Std. nicht als offizielle Bestzeit gewertet werden kann. Das ist natürlich schade, aber gleichzeitig zeigt es einem, dass die Corona-bedingte Wettkampfpause und alternative Sportarten wie Rennradfahren und Wandern ihre Vorteile haben. Der Körper erholt sich ein wenig und muss nicht mehr so häufig Höchstleistungen erbringen.

Wenn meine Schwester gesund und verletzungsfrei bleibt und sie einen perfekten Wettkampftag erwischt, prognostiziere ich ihr eine Halbmarathonzeit von 01:49:59 Std. oder schneller. Tschakka!

Sobald wir wieder an unseren Autos waren und auch ich mich in trockene Klamotten geworfen hatte, öffneten wir gespannt unsere weißen Umschläge und zogen hübsche kleine Finisher-Medaillen heraus. Diese sind in der aktuellen Zeit von Low-Budget-Läufen keine Selbstverständlichkeit. Und natürlich ließen wir es uns nicht nehmen, direkt ein gemeinsames Foto samt Urkunden und Medaillen zu knipsen.

Nachdem wir noch ein wenig gequatscht hatten und uns dabei langsam wieder kalt wurde, entschieden wir uns, unser Gespräch ins Auto zu verlagern. Während Nicole zurück nach Münster und ich zurück zu Sophie nach Laggenbeck fuhr, telefonierten wir via Freisprechanlage einfach weiter.

Dabei resümierten wir nochmals den erfolgreichen Wettkampf und freuten uns über das kurze Geschwister-Wiedersehen, das in dieser Form gern häufiger stattfinden darf :-)

 

Zahlen & Fakten

Distanz

 

Gelaufene Zeit (Netto)

 

Gelaufene Zeit (Brutto)

 

Altersklasse

 

AK-Platzierung

 

Platzierung (Männer)

 

Gesamtplatzierung

45 km

 

03:04:56 Std.

 

03:04:56 Std.

 

M30 (87-91)

 

1.

 

1. von 11 (9,1 %)

 

1. von 15 (6,7 %)