6. Grönland Marathon
10.02.2019
Vorher
Wer kann schon von sich behaupten, in Grönland gewesen zu sein, geschweige denn einen Marathon in dieser gottverlassenen Gegend gelaufen zu sein? – Jetzt ich!
Aber alles der Reihe nach: Bereits am 02.12.2018 fiel meine Entscheidung für eine Teilnahme am Sibirien Marathon, einer beliebten Laufveranstaltung nahe Elmshorn, die von Christian Hottas – dem
Weltrekordler im Marathons-Sammeln – Anfang Februar organisiert wird. Ich ergatterte einen von 50 Startplätzen und überlegte mir sogleich, auch den Grönland Marathon eine Woche später unter die
Füße zu nehmen. So würde ich an der Serien-Wertung dieser zwei Läufe teilnehmen und hätte relativ hohe Siegchancen.
Man kann bereits erahnen, dass mit dem besagten Grönland nicht das Land zwischen Island und Kanada gemeint ist, sondern vielmehr eine kleine, unbekannten Ortschaft nahe Hamburg. Konkret handelt
es sich um sehr kleines Dorf, das zu der Ortschaft Sommerland gehörig ist und ebenfalls an Elmshorn angrenzt. Und dieses Grönland ist gar so klein, dass der Marathon im Wendepunkt-Verfahren an
der einzigen Straße des Ortes entlangführte. Auf dem Gehweg sollte über die Distanz von 1,06 km jeweils 20 Mal rauf und runter gelaufen werden, um die 42,4 km voll zu kommen.
Wer nun die Ergebnisliste des 6. Sibirien
Marathons durchforstet, wird meinen Namen leider nicht finden. Der Grund ist eine Erkrankung am Herzen, die bei mir um die Jahreswende herum diagnostiziert wurde und bis Anfang Februar
auskuriert werden musste. Zwei Tage nach meinem letzten Marathon in 2018 verspürte ich ein Stechen im Bereich des
Brustbeins und hatte dann im Krankhaus während meines dreitägigen Aufenthalts u.a. eine Ultraschall-Untersuchung. Eine Woche später folgte schließlich eine Magnetresonanztomographie, die mir noch
mehr Gewissheit brachte. Eine Entzündung an der äußeren Herzwand verursachte die stechenden Schmerzen, jedoch fiel zusätzlich auf, dass die rechten Herzklappen nicht vollständig schlossen. Diese
Fehlfunktion war zum Glück so klein, dass operativ nicht eingegriffen werden muss. Zudem könnte es sein, dass ich schon immer damit gelebt hatte oder aber in Zukunft alles wieder tip top werden
würde. Ich sollte mit meinem Sport lediglich ein paar Wochen pausieren, dann in Ruhe wieder starten und jederzeit in mich hineinhören.
Das führte folglich dazu, dass ich erst am 31. Januar meine ersten 5 km des Jahres gelaufen bin. Es folgten weitere kurze Einheiten von 5-7 km, jedoch sagte mir mein Verstand, dass ein Marathon
am 03. Februar keinen Sinn machte. Vielmehr konzentrierte ich mich auf eine ruhige Vorbereitung und einen langsamen Lauf durch Grönland am 10. Februar.
Mein Ziel war es, diesen Marathon im Wohlfühltempo (04:37 – 05:00 min/km) und somit im Bereich von 03:30 Stunden zu laufen.
Am Abend vor dem Tag X waren erst 52,6 Trainingskilometern in meinen Beinen, doch ich wollte mich weiterhin nicht stressen lassen. Meine Freundin Sophie und ich machten uns also einen entspannten Abend mit leckeren Ofen-Süßkartoffeln und einem guten Film. Und da ich ja nicht schnell laufen wollte, brauchte es dieses Mal auch keine Pasta zu sein.
Am nächsten Morgen frühstückte ich allein, bevor Sophie kurz vor Abfahrt um 08:30 Uhr wach wurde und ihr Brot im Auto essen wollte. Unterwegs hielten wir um 08:45 Uhr nördlich des Stadtparks, um
einen Lauf-Kollegen einzusammeln. Falko Haase, der Namensgeber meines 6. Ultramarathons, wartete bereits draußen an der Straße, sodass wir schnell weitergefahren und nach knapp 40 Minuten um 09:25 Uhr angekommen sind.
Die Fahrt verlief entspannt und unterhaltsam, jedoch störte mich der dauerhafte Nieselregen, der im Übrigen den ganzen Tag lang anhalten sollte. Hinzu kam ein leichter aber stetiger Wind, der uns
das Nass seitlich ins Gesicht pusten würde. Ehrlicherweise wären diese Bedingungen an einem Sommertag gut auszuhalten, doch bei 5-7°C konnte ich mir wahrlich Besseres vorstellen.
Während Sophie noch etwas im Auto sitzen bleiben wollte, bereitete ich mir am Kofferraum mein heutiges Lauf-Outfit vor und lief anschließend zum 200 Meter entfernten Feuerwehrhäuschen, dessen
Toilette von uns Läufern mitbenutzt werden durfte. Da in dem kleinen Flur gut geheizt wurde, wollte ich Sophie gleich mal empfehlen, sich zwischendurch zum Aufwärmen reinzustellen. Andere
Möglichkeiten gab es nämlich nicht und den Motor des Autos laufen zu lassen ist auch nicht die ökologisch beste Lösung.
Als dann 10 Minuten vor Rennstart auch der Veranstalter eingetroffen war und den Verpflegungstisch in dem alten Bushaltestellenhäuschen postiert hatte, kamen alle 20 Teilnehmer aus ihren Autos
gekrochen. Auch Sophie zog sich ausreichend wärmende Klamotten und meine große gelbe Regenjacke an und kam als Fotografin zu uns hinzu.
Wenige Augenblicke bevor es losging, gab uns Christian eine kurze Einweisung und Informationen zur Strecke. Gestartet wurde in östliche Richtung, wo nach gut 600 Metern der Ortsausgang erreicht
und die dort platzierte Wasserflasche umrundet werden sollte. Auf dem Rückweg ging es in westliche Richtung zunächst am Start-Ziel-Gelände vorbei bis knapp 500 Meter weiter der Ort bereits
verlassen war und eine zweite Wasserflasche auf uns wartete. Auf diese Weise sollte es permanent hin und zurück gehen.
Kurz nach 10 Uhr stellten wir uns neben einem Briefkasten auf, der für den heutigen Tag die Start-Ziel-Linie symbolisierte. Dann wurden wir endlich auf die Strecke entlassen und durften für die
nächsten paar Stunden dem ekeligen Nieselregen trotzen.
Der Lauf
Ich konzentrierte mich vom ersten Augenblick an auf mich selbst und hörte in meinen Körper rein, wie mir aufgetragen wurde. Keine Schmerzen, kein seltsames Gefühl, lediglich die Beine mussten
erst mal warm werden. Ganz entspannt lief ich an mehreren sehr schönen Häusern vorbei, die ich hier in diesem Ort gar nicht vermutet hätte. Sie lenkten mich von der ansonsten sehr eintönigen
Streckenführung ab.
Nach den besagten 600 Metern erreichte ich als Führender die große Wasserflasche kurz vor dem Ortsausgangsschild, umrundete sie und blickte anschließend auf meine Kontrahenten. Diese waren
eindeutig in zwei unterschiedliche Gruppen aufgeteilt: zum einen gab es vier bis fünf Läufer, die jeweils für sich liefen und zu meinen direkten Verfolgern zählten, und zum anderen gab es eine
große Gruppe von über 10 Läufern, die derzeit noch in einem großen Pulk unterwegs waren und sichtbar gute Stimmung hatten.
Als ich auf meinem Rückweg an dieser Gruppe vorbeilief, gab es entsprechende Kommentare, warum ich es denn so eilig hätte und dass sie mir eng auf den Fersen seien. Ich mochte diesen Humor und
quittierte ihn mit einem Lächeln. Sobald ich wieder allein unterwegs war, näherte ich mich dem Start-Ziel-Bereich, wo ich Sophie in ihrer gelben Jacke schon von Weitem erblickte. Auch ihr
lächelte ich zu uns sagte, dass alles okay sei.
Nun ging es auf das westliche Wendepunktstück zu, das nicht mehr an so schönen Häusern vorbeiführte. Und als das kleine Feuerwehrgebäude passiert war, lief ich auf einen leicht welligen Radweg
zu, der mir sicher im Verlauf des Rennens einige Kraft abverlangen würde. Das wohl größte Hindernis war jedoch eine Pfütze über die gesamte Breite des Weges, sodass hier ein Überspringen oder
Vorbeilaufen mit zunehmender Regendauer immer schwieriger werden würde.
Als dann auch hier die zweite große Wasserflasche erreicht war, ging es wieder zurück nach Grönland rein, wo nach gut 9,5 Minuten die erste Runde hinter mir lag und ich wieder auf Sophie
traf.
So ging es nun weiter: Rauf und runter, rauf und runter. Und jedes Mal entdeckte ich neue kleine Besonderheiten entlang der Strecke, die mich sehr positiv ablenkten. Im Fokus stand dabei der
große Stromkasten, der getreu dem Ortsnamen bemalt worden ist. Von allen drei sichtbaren Seiten lächelten uns Eskimos zu und bei jedem Vorbeilaufen musste ich ein kleines bisschen schmunzeln.
Für weitere Ablenkung sorgte eine Art Rätsel von Christian Hottas, das er allen vorbeilaufenden Läufern kurzerhand mit auf den Weg gab: Entlang der Strecke standen in regelmäßigen Abständen
Hydranten, die auch als solche kenntlich gemacht worden sind. Außer ein einziger, dessen Bezeichnung eine andere ist. Wir sollten nun herausfinden, wie und warum er anders hieß.
Bereits auf meiner dritten Runde entdeckte ich den Hydranten namens „Saugstelle“ und wie ich später von Sophie erfuhr, drückt hier das Wasser nicht von selbst heraus, sondern muss von der
Feuerwehr über eine Pumpe angesaugt werden, damit es zutage kommt. Interessant, was man so während eines Marathons alles lernen kann.
Sophie habe ich es zudem zu verdanken, dass ich diesen Laufbericht mit einigen Fotos füllen kann, denn sie trotzte während der ersten Stunde ebenfalls dem Wetter und spazierte die Strecke einmal
fast vollständig ab. Unter anderem wartete sie am östlichen Wendepunkt auf mich, um auch die 180°-Kurve fotografisch festzuhalten.
Was meine Kilometerzeiten betrifft pendelte ich mich perfekt ein und lief auf den ersten 20 km alle Abschnitte in 04:38 min/km bis 04:45 min/km. Das ist zwar etwas langsamer, als mein
Wohlfühltempo im Training, aber in Anbetracht meines Trainingsrückstandes war das genau richtig. Ich genoss diese Phase des stressfreien Laufens, denn erstmals seit Langem wollte ich keinen
Marathon in weniger als 3 Stunden finishen.
Erst der Abschnitt zwischen KM 21 und 27 zeigte, dass meine Beine doch gern etwas schneller unterwegs sein wollten (04:33 min/km bis 04:37 min/km). Bis zu dem Zeitpunkt, als zwei Drittel hinter
mir lagen (KM 28 in 04:39 min), lag meine Konzentration voll und ganz auf dem gleichmäßigen Rhythmus.
Erst jetzt wollte ich mir eine kurze Pause für ein Getränk gönnen. So rief ich Sophie zu, dass ich nach dem nächsten Wendepunkt-Abschnitt gern eine Tasse Tee hätte, den wir uns von zu Hause
mitgebracht haben. Als ich sie schon von Weitem sah, freute ich mich auf ein wenig Wärme von Innen. Den Becher leerte ich mit 4-5 Schlucken und erzählte zwischendurch, dass es zwar gut lief, ich
jetzt aber sicher ein wenig federn lassen würde. Sophie empfahl ich zudem, sich nun auch mal im Feuerwehrhäuschen aufzuwärmen.
Nach KM 29 in 04:54 min folgten fünf weitere Kilometer im Bereich von 04:35 min/km bis 04:45 min/km. Der Mann mit dem Hammer schien sich noch nicht anzukündigen. Gut so!
Von nun an blieb mir der Kampf „Patrick gegen Wind & Wetter“. Mit mehr als 2,5 Stunden in den Beinen waren auch die leichten Wellen im westlichen Teil des Radwegs zu kleinen Bergen mutiert
und die Pfütze zu einem großen See herangewachsen. Die Schritte wurden kürzer und meine Augen wurden müde. Alles mir bekannte Symptome, die einzig und allein auf das fehlende Training
zurückzuführen sind. Signale aus dem Brustkorb und vom Herzen gab es keine, was mich sehr beruhigte.
Nun brauchte ich also erneute Ablenkung und so probierte ich, die schönen Häuser Grönlands gedanklich zusammenzufassen und das schönste daraus zu küren. Vor Ort war das nicht ganz einfach und so
greife ich gern auf Sophies Fotos zurück. Die nachfolgende Reihenfolge entspricht meiner Präferenz.
Auf den letzten gut 7 km wurde es dann richtig anstrengend für mich. Erstmal gab es die Zahl 5 zu sehen (KM 35 in 05:00 min und KM 36 in 05:21 min). Ich schlussfolgerte, dass mir etwas fehlte,
und so entschloss ich mich dazu, mir beim nächsten Vorbeilaufen am Bushaltestellenhäuschen etwas zu Essen zu schnappen.
Sophie blieb währenddessen bei der warmen Feuerwehr und schaute uns Läufern durch ein Fenster zu. Bei jedem Vorbeilaufen winkte ich über die Hecke und zeigte einen Daumen-Hoch, damit sie wusste,
dass es mir soweit gut ging. Vielleicht merkte sie trotzdem, dass die Zeitabstände zwischen meinem Winken nun etwas länger wurden.
Als ich bei KM 37 (in 06:14 min) eine kurze Pause einlegte und mir eine großzügige Hand voll Salzstangen als Wegverpflegung schnappte, wusste ich noch nicht so recht, wie ich das Trockene dann
aus dem Mund bekommen sollte. Zum Glück hatte Sophie in diesem Moment ihren Unterschlupf verlassen und mich gefragt, ob ich nochmal etwas Tee wolle. Ich antwortete „Ja, ein bisschen“ und konnte
mich dann darauf einstellen, dass sie bei meinem nächsten Vorbeilaufen mit einem weiteren Becher bereitstehen würde.
So war es dann auch. Sie reichte mir mit beiden Händen den Tee und sagte nur: „Trink vorsichtig!“ Ich trank vorsichtig und war schließlich gewappnet für die letzten 5 km des Tages. Diese waren
zwar extrem anstrengend, aber zumindest einigermaßen gleichmäßig (KM 38 bis 42 in 05:34 min/km bis 05:49 min/km).
Die Beine waren müde, aber dem Rest des Körpers ging es gut: der Kopf war wach, das Herz pochte ruhig und gleichmäßig und ich bin trotz Nieselregen nicht erfroren. So sollte es sein und ich war
ein wenig stolz auf mich, dass ich nicht noch mehr auf die Tube gedrückt habe.
Nach den letzten 400 Metern war ich endlich im Ziel und sehr zufrieden mit dem Gesamtsieg und der Zielzeit von 03:27:03 Stunden, was meinem zweitlangsamsten Marathon überhaupt entspricht. Doch
wenn man bedenkt, dass mein langsamster Marathon (03:34:30 Std.) damals der zweite des Tages war, ist die heutige Leistung
tatsächlich schwach.
Aber egal. Ich freute mich mehr, als dass ich traurig war. Endlich darf ich wieder laufen! Endlich wieder Marathon-Luft schnuppern!
Nachher
Direkt hinter dem gelben Ziel-Briefkasten stoppte ich die Laufuhr und teilte Christian Hottas meine Zeit mit. Er notierte sie in seiner Liste und überreichte Sophie die Finisher-Medaille, die sie mir um den Hals hängen durfte. Das war ein sehr schöner Moment und ich freute mich, dass meine Liebste dies machen durfte.
Nachdem ich anschließend noch ein paar Becher Cola getrunken und ein paar Salzstangen gegessen hatte, gingen wir zum Auto, wo ich mir endlich trockene Klamotten anziehen konnte. Wenige
Augenblicke später verabschiedeten wir uns schon und fuhren zurück nach Hamburg, wo eine heiße Dusche auf uns wartete.
Das war am Ende die beste Belohnung für einen kalten und anstrengenden Vormittag!
Zahlen & Fakten
Distanz
Gelaufene Zeit (Netto)
Gelaufene Zeit (Brutto)
Altersklasse
AK-Platzierung
Platzierung (Männer)
Gesamtplatzierung
42,4 km
03:27:03 Std.
03:27:03 Std.
Männl. Hauptklasse (90-99)
1. von 1
1. von 16 (6,3 %)
1. von 19 (5,3 %)