Hamburgiade Tag der Langstrecke
17.06.2018
Vorher
Man muss schon ordentlich verrückt sein, um das zu machen, was ich mir vorgenommen habe.
Am Ende unseres zweiwöchigen Urlaubs auf Zypern fällte ich die Entscheidung, am Tag nach der Rückreise spontan an der Hamburgiade teilzunehmen. Konkret gesagt nahm ich den Marathon auf der
Jahnkampfbahn ins Visier. Das bedeutete 97 Runden auf Bahn 6 (je 435 m).
Aber alles der Reihe nach: Während unseres sonnigen Urlaubs in der Umgebung von Paphos war in erster Linie Entspannung angesagt. Nach vielen harten Trainingswochen mit über 100 km hatte auch ich
Lust auf zwei Wochen Ruhe bekommen. Beine hochlegen, Sonne auf den Bauch scheinen lassen, das Meer und kühle Bierchen genießen. In diesen zwei Wochen kam ich läuferisch auf gerade mal 15 km:
einmal ging es über 10 km ins hügelige Inland hinein und das zweite Mal – über 5 km – holte ich frische Brötchen und Bananen für uns.
Am Donnerstag oder Freitag vor unserer Abreise kam ich mit meiner Freundin Sophie auf das Thema des Marathons am Sonntag zu sprechen. Dieser sollte im Rahmen der Company Games, der sogenannten
Hamburgiade 2018, auf der Tartanbahn des Jahnkampfstadions stattfinden. Dieses schöne, im Stadtpark gelegene Leichtathletik-Stadion ist gerade mal 6 km von meiner Wohnung in Hamburg entfernt.
Somit stellte ich mir vor, dass ich am Sonntagmorgen um 9 Uhr den Wettlauf bestreiten könnte während Sophie ausschläft, und dass unser gemeinsamer Tag spätestens um 13:00 Uhr mit einem Brunch
starten könnte.
Allerdings hatte ich mit Sophie keinen besonders großen „Fan“ dieser Idee. Sie machte sich Sorgen um meine Gesundheit und hätte sich einen anderen Verlauf des Morgens gewünscht. Unter anderem
ging es darum, dass wir erst um 01:30 Uhr in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Hamburg ankommen sollten, nachdem unser Flieger um kurz vor 22 Uhr in Berlin gelandet war. Der Schlaf vor dem
Wettkampf sollte sich somit auf wenige Stunden verkürzen. Ich erkannte Parallelen zum Aaseelauf in Münster Mitte Mai, als ich trotz
sehr kurzer Nacht eine gute Laufleistung abliefern konnte.
Das wenige Laufen in den letzten zwei Wochen in Kombination mit meinem Dickkopf führte schließlich dazu, dass ich am Sonntag um 9 Uhr definitiv am Start stehen wollte. Die Beine sollten einfach
mal wieder etwas Auslauf bekommen.
Um 07:30 Uhr klingelte somit mein Wecker und während ich mir mein Lauf-Outfit anzog, backten zwei Brötchen auf, die ich zum Glück noch im Vorratsschrank liegen hatte. Diese belegte ich mit Käse,
packte sie in eine Tüte und verließ um kurz nach 8 Uhr die Wohnung. Um sowohl kurz vor dem Lauf, als auch danach flexibel sein zu können, nahm ich trotz des kurzen Weges das Auto. Außerdem konnte
ich so auch während der Fahrt frühstücken.
Um 08:30 Uhr kam ich an der Jahnkampfbahn an, fand auf Anhieb einen Parkplatz und ging zum Anmeldetisch, um mich nachzumelden. Da es sich um eine Betriebssport-Veranstaltung handelte, konnte ich
auf meine ganzjährige Tchibo-Startnummer 107 zugreifen, die ich mir von Zuhause mitgenommen hatte. In der Starterliste musste ich aber dennoch verzeichnet werden.
Dank meiner heutigen Teilnahme freuten sich die anderen beiden Marathon-Starter, denn nur ein Lauf mit mindestens drei Startern kann laut offizieller 100-Marathon-Club-Zählordnung als Marathon gewertet werden. Super, dann verbuche ich das mal als eine gute Tat :-)
In den 20 Minuten vor dem Start machte ich mich noch so gut wie möglich warm. Dazu kamen zwei Toilettengänge und die Vorbereitung meiner persönlichen Getränkestation. Da ich leider keine
Sportflasche mit ausziehbarem Mundstück dabei hatte, stellte ich eine große 1,5-Liter-Flasche mit Schraubverschluss auf das kleine Tischchen, das auf der Zielgeraden auf Bahn 4 und 5 bereitstand.
Sicherheitshalber steckte ich mir zusätzlich ein kleines Energie-Gel in die Tasche meiner Laufhose. Das sollte reichen.
Etwa fünf Minuten vor dem Start gab es für uns Marathonis und die Läufer der anderen Wertungen (Halbmarathon, Stundenlauf, Team-, Staffel- und Paar-Läufe) noch letzte Informationen zum heutigen
Rennverlauf. Außerdem wurde ein Gruppenfoto aller Teilnehmer geschossen.
Um 9 Uhr ging ich zur Startlinie auf Bahn 6 und positionierte mich vorne direkt neben der Digitaluhr. Nach einem Countdown von 5 runter ertönte ein lauter Pfiff und die 97 Runden waren eröffnet
(Kleine Info: Ein Startschuss war aus Naturschutzgründen erst ab 10 Uhr erlaubt).
Der Lauf
Mit dem Startpfiff ging es direkt in die erste von insgesamt 194 langen Linkskurven. Da jedoch nur die Außenbahn 6 belaufen werden sollte, hielt sich der Radius in Grenzen. Mit muskulären
Problemen durch die einseitige Belastung rechnete ich daher nicht.
Obwohl es eine sehr überschaubare Zahl an Teilnehmern war, setzte ich mich nicht wie gewohnt als Erstes von der Gruppe ab. Vielmehr war es ein Staffel-Läufer mit weißem Christiano-Ronaldo-Shirt,
der direkt zum Sprint ansetzte. Ganz so sympathisch machte ihn das Trikot nicht, aber da es sich um keinen Marathoni handelte, ließ ich mich nicht weiter beirren.
Dank des Runden-Laufens herrschte am Streckenrand viel Abwechslung, die das Rennen kurzweiliger machen müsste. Außerdem konnte ich alle 217,5 Meter – also jede halbe Runde – kontrollieren, wie es
um meine Laufzeit stand. So wollte ich mich bei höchstens 55 Sekunden pro halber Runde und bei maximal 01:50 Minuten pro großer Stadionrunde einpendeln. So sollte eine Zielzeit von höchsten
02:57:50 Minuten für mich rausspringen. Unter 3 Stunden war natürlich wieder das Maß aller Dinge.
Die ersten paar Runden absolvierte ich wie erwartet etwas schneller, als geplant. Auf eine erste schnelle 01:44-min-Runde folgten drei Runden à 01:47 min. Erst die Runden 5 bis 15 lagen mit
jeweils 01:48 bis 01:49 min voll im Soll. Während die erste halbe Stunde wie im Flug verging, passierte um mich herum noch nichts Nennenswertes. Ich merkte ein wenig meinen Trainingsrückstand,
genoss aber das leicht bewölkte Wetter in die Kühle des Morgens. Insgesamt schien es mir ganz gut zu gehen und der Körper dankte mir für die Bewegung. Das bildete ich mir zumindest ein.
Nachdem mich das schnelle Staffel-Team mittlerweile ein zweites Mal überrundete, wurde auch ich das eine oder andere Mal durch den Moderator angekündigt. Während es zu Beginn häufig nur hieß: „Da
kommt schon wieder der Führende des Marathons vorbeigelaufen“, wurde im Laufe des Morgens auch mein Vor- und Nachname aus der Starterliste herausgekramt, sodass ich von da an auch namentlich
angekündigt wurde.
Vielleicht war es die persönliche Ansprache über den Stadionsprecher, die mich zwischendurch zu einer flotteren Runde motivierte. So auch in Runde 16 (in 01:46 min), die dann aber wieder von drei
Runden in 01:48 bis 01:49 min gefolgt wurde. Schritt um Schritt und Runde um Runde schaute ich so häufig auf meine Laufuhr am linken Handgelenk, wie bei keinem Marathon zuvor. Es beruhigte mich
jedoch, dass eine super Kontinuität zu erkennen war, denn die Runden 20 bis 31 lagen allesamt im Bereich von 01:47 bis 01:48 min.
Für eine weitere willkommene Ablenkung sorgte die deutsche Top-Läuferin Jana Sussmann, die plötzlich für ein knappes Stündchen ein paar Trainingseinheiten auf dem Rasen und der äußersten Bahn 8
absolvierte. Für jeden von uns Läufern hatte sie zudem eine kurze Motivation übrig, was bei allen natürlich sehr sympathisch ankam.
Mit Runde 32 stand mir das Ende des ersten Drittels kurz bevor. Nach insgesamt 55:40 Minuten wollte ich am Ende dieser Runde den ersten Schluck Wasser zu mir nehmen. Ich entschied mich somit, die
ersten 300 Meter etwas flotter anzugehen, sodass mir die paar Sekunden am Wasserstand nicht meine schöne Serie an Rundenzeiten unter 01:50 min ruinieren. Gedacht, getan: die ersten 220 Meter
waren nach nur 50 Sekunden passiert und auf Höhe des Stadion-Eingangs, etwa 50 Meter vor der Start- und Ziellinie, hielt ich links von dem kleinen Verpflegungstischchen an. Dort drehte ich
zunächst meine große Flasche auf, drückte ein paar sprudelige Schlucke aus ihr heraus, stellte sie wieder hin und verschraubte sie sogar noch, bevor ich weiterlief. Schnell führte die Kohlensäure
zu Aufstoßen und ich hoffte nur, dass keine Seitenstiche folgten.
Mit ein paar langgezogenen Schritten erreichte ich das Ende von Runde 32, die mit 01:46 min sogar ein wenig schneller war, als der Durchschnitt. Dann galt es wieder, den gewohnten Rhythmus
einzunehmen und die Runden gleichmäßig abzuspulen. Bis einschließlich Runde 63 folgten dann 9-mal 01:47 min, 17-mal 01:48 min und 5-mal 01:49 min. Allesamt querbeet durcheinander, aber jederzeit
mit regelmäßiger Schrittabfolge und ohne nennenswerter Störungen, wie z.B. Überrundungen. Die meisten Teilnehmer waren zudem sehr zuvorkommend und wichen aus, wenn schnelle Schritte von hinten zu
hören waren. Außerdem waren durch Überrundungen in den Außenkurven selten mehr als ein-zwei Extrameter zu laufen, sodass ich auch damit sehr zufrieden sein konnte.
In Runde 64, also nach etwa zwei Dritteln des heutigen Rennens, stand mir mein zweiter und vielleicht sogar letzter Boxenstopp am Wassertisch bevor. Ich erhöhte wieder das Tempo auf der ersten
Rundenhälfte und erreichte eine Durchgangszeit von guten 51 Sekunden. Links vom kleinen Tischchen angekommen, blieb ich stehen, öffnete erneut die Flasche und ließ diesmal den Schraubverschluss
fallen. Egal, den suche ich jetzt natürlich nicht, dachte ich mir. Nach drei-vier erfrischenden Schlucken, stellte ich die Flasche wieder hin und lief weiter (Runde 64 in 01:47 min).
Auf den folgenden 20 Runden bis einschließlich 84 folgte erneut ein sehr gleichmäßiges Erscheinungsbild des Rennverlaufs, wenngleich die Anzahl langsamer Runden zunahm: nur dreimal 01:47 min,
9-mal 01:48 min und 8-mal 01:49 min. Ich merkte also, wie meine Kräfte schwanden, was nach insgesamt 36,5 im Kreis gelaufenen Kilometern wenig verwunderlich war.
Sollte ich nochmal trinken oder einfach durchziehen? 13 Runden nur noch, das sollte auch ohne weiterem Zwischenstopp zu schaffen sein. Gut 5 km noch, ein letztes Mal alles geben. Mit dem
Durchbruch der 01:50-Barriere (Runde 85 in 01:51 min) hatte ich bereits gerechnet und wehrte mich trotzdem dagegen (Runde 86 in 01:49 min).
Auf den darauffolgenden 10 Runden musste ich leider dennoch etwas federn lassen. Allesamt bewegten sich im Bereich von 01:51 bis 01:55 min und das ohne weiterer Trinkpause. Ich rechnete
währenddessen ein wenig herum und prognostizierte meine Zielzeit auf knapp unter 02:55:30 Stunden, womit ich weit mehr als zufrieden sein konnte. Die Halbmarathon-Durchgangszeit von 01:27:04 Std.
ließ bereits vermuten, dass mein Minimalziel heute locker zu knacken war. Wow, Erleichterung machte sich breit.
Mit einer ordentlichen Portion Beifall und Zuspruch vom Stadionrand machte ich mich schließlich auf die letzten 435 Meter und bekam noch einmal Lust, trotz müder Beine einen flotten Schritt auf die Tartanbahn zu legen. BÄM, mit 01:44 min wurde die letzte Runde doch tatsächlich genauso schnell wie die erste. Saubere 02:55:15 Stunden und damit war dann auch der 49. (Ultra-)Marathon eingetütet!
Nachher
Ich genoss den Applaus auf der Zielgeraden und hinter der Ziellinie. Auch der Zweitplatzierte im Marathon klatschte mich während seines Laufs nochmal ab und gratulierte mir. Bei einer Überrundung
nach etwa zwei Dritteln des Rennens rief er mir nach, ich könne den Streckenrekord aus dem Vorjahr (von Marcel Leuze in 03:02:33 Std.) knacken. Zu dem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass dies kein
Problem darstellen sollte.
Rundum glücklich klatschte ich kurz nach meinem Zieleinlauf auch dem Publikum und den Organisatoren zu. Bei einigen Beteiligten bedankte ich mich persönlich für die sympathische Stimmung am
Streckenrand. Es war einfach eine durch und durch gelungene Veranstaltung, die gern ein paar mehr Läufer verdient hätte.
Ein paar Minuten später ging ich zum Verpflegungstisch, schnappte mir meine geöffnete Wasserflasche und machte sie beinahe in einem Zug leer. Das Bücken nach dem Schraubverschluss gestaltete sich
etwas mühsam, funktionierte aber zum Glück noch. Danach stapfte ich zurück zum Auto und holte mein Handy aus dem Handschuhfach. Schnell gab ich Sophie ein Lebenszeichen und ging zurück zur
Veranstaltung, wo ich den Moderator höflich darum bat, meine Siegerehrung vorzuziehen.
Dankenswerterweise wurde diese Ausnahme genehmigt und ich erhielt oben auf dem Treppchen eine hübsche Medaille überreicht. Daraufhin verabschiedete ich mich schnell, schoss vor dem Stadion noch
ein Selfie und fuhr zurück nach Hause.
Dort kam ich bereits um 12:20 Uhr an und somit nur 25 Minuten nach meinem Zieleinlauf. Das nenne ich mal Zeitersparnis, denn es standen noch einige besondere Dinge auf unserem heutigen Plan. Wir wollten das schöne Wetter nutzen und brunchen gehen, bevor ein Spaziergang über die Sternschanze und um 17 Uhr das WM-Vorrunden-Spiel Deutschland vs. Mexiko beim Public Viewing folgen sollten. Leider ging das Spiel nur 0:1 aus, was die Stimmung zwar etwas trübte, aber einem schönen Ausklang des Tages in den eigenen vier Wänden keinen Abbruch tat.
Insgesamt war es ein total verrückter Tag nach einem wunderschönen Urlaub. Und ob „verrückt“ nun positiv oder negativ auszulegen ist, ist jedem selbst überlassen.
Zahlen & Fakten
Distanz
Gelaufene Zeit (Netto)
Gelaufene Zeit (Brutto)
Altersklasse
AK-Platzierung
Platzierung (Männer)
Gesamtplatzierung
42,195 km
02:55:15 Std.
02:55:15 Std.
Männl. Hauptklasse (89-98)
1. von 1
1. von 2
1. von 3