40. Leipzig Marathon
24.04.2016
Vorher
Und schon wieder habe ich einen Startplatz bei einem internationalen Marathon gewonnen – na gibt’s denn sowas? Diesmal hat die Facebook-Seite von „laufen.de“ seine Fans am 21. März gefragt, warum ausgerechnet sie beim Leipzig
Marathon am 24. April starten möchten. Unter allen Kommentaren bis einschließlich 27.03. sollten letztlich 5 Freistarts verlost werden. Am 31. März erhielt ich dann eine persönliche Nachricht und
erfuhr, dass ich zu den glücklichen Gewinnern zählte. Glück gebracht hat mir der Kommentar: „Weil mir ein Marathon in Sachsen noch in meiner Deutschland-Sammlung fehlt“. Gesponsert wurde der
nunmehr 60 € teure Startplatz von Krombacher – Dankeschön!
Nach kurzer Zeit buchte ich für meine Freundin Sophie und mich zwei unterschiedliche Unterkünfte in Leipzig, die sich beide noch kurzfristig stornieren ließen. Wir entschieden uns somit eine
knappe Woche vor dem Event gegen das Appartement in der City und für ein günstiges Zwei-Sterne-Hotel am Rande der Stadt. Für insgesamt 51 € gab es nur das Nötigste: ein Zimmer nach typischer
Ossi-Manier, sauberes Bett und Frühstück am nächsten Morgen. Und so störte uns auch der Anblick von außen nicht allzu sehr.
Nachdem wir am Samstag gegen 14 Uhr angekommen sind und uns im Zimmer breit gemacht haben, machten wir uns um 15 Uhr auf den knapp 5 km langen Weg zur Marathonmesse im Sportforum der Universität,
wo ich meine Startnummer abholen wollte. Das Auto parkten wir in unmittelbarer Nähe zwischen 6 bis 8 anderen Autos auf einer Freifläche eines Bürgersteigs. Was zu dieser Zeit unser Interesse
weckte, war ein Verkehrsunfall nur wenige Meter entfernt. Ein nagelneuer Jaguar ist einem ebenso luxuriösen Audi von hinten so stark draufgefahren, dass dieser sich einmal gedreht hat und vor
einem Baum auf dem Autodach zum Liegen kam. Den Insassen scheint nicht viel passiert zu sein, aber die gesamte Szenerie ließ dennoch auf eine enorme Dummheit des einen oder anderen Beteiligten
schließen.
Da das Wetter mit unter 10°C und Wind recht unangenehm war, hielten wir uns nicht lange auf der Messe auf, die zum Teil auf dem Vorplatz der Sport-Uni stattfand. Mit meiner Startnummer erhielt
ich je einen Gutschein für eine Sachsen-Quelle-Limonade und ein Krombacher-Alkoholfrei-Bier, die wir sofort im Anschluss einlösten. Bevor es zurück zum Auto ging, besorgten wir uns am Info-Stand
noch einen Streckenplan, den ich mir am Abend wie gewohnt genau anschauen wollte. Noch bevor es zu regnen anfing, waren wir um 16 Uhr wieder im Auto und entdeckten doch tatsächlich ein Knöllchen
hinter dem Scheibenwischer. Na toll! Der vermeintliche, kleine Parkplatz erwies sich also doch als zu groß geratener Bürgersteig, denn nach Parkverbotsschildern suchten wir vergebens. Auch die
anderen Fahrzeuge waren mit Knöllchen versorgt. Lediglich einen heranfahrenden Smart-Fahrer konnten wir noch rechtzeitig warnen. Uns hat leider niemand gewarnt :-(
Damit uns dieser Fehler kein zweites Mal passiert, habe ich mich im Internet nach kostenlosen Parkplätzen in der Innenstadt umgeschaut. Ein paar Minuten später erreichten wir die Grassistraße,
von wo aus es nur wenige hundert Meter bis zur City waren. Als ersten Besichtigungsstopp betraten wir die Thomaskirche – ohne zu wissen, dass dort das Grab von Johann Sebastian Bach liegt. Wir
waren überrascht und verbuchten dies als erstes Highlight unseres Leipzig-Ausflugs.
Daraufhin spazierten wir weiter durch die belebten Straßen der Innenstadt und hüpften hier und da in ein paar Geschäfte, um uns aufzuwärmen. Unter anderem betraten wir den kleinen Laden
„Bier-Freunde“ oder den bunten Krimskrams- und Geschenke-Laden
„Pylones“, die beide sehr zu empfehlen
sind.
Die folgende Textpassage bis zu den Bildern beschreibt unser abenteuerliches Abendessen in aller Ausführlichkeit. Wen es interessiert, der soll gern weiterlesen. Ansonsten geht es unter den Fotos
in knapper Form weiter ;-)
Kurz vor 19 Uhr suchten wir uns ein nettes Restaurant mit einem ansprechenden Pasta-Angebot. Ich schaute hier am Tag vor einem Marathon natürlich auf möglichst viel Masse zu einem adäquaten
Preis, während Sophie keine so besonderen Ansprüche hatte. Und so entschieden wir uns im Restaurant „Andria“ doch tatsächlich für das Familien-Angebot: 4 Portionen eines Pasta-Gerichts zum Preis von 3 – Bingo! Unsere Wahl
fiel auf Hüttchen-Nudeln mit Broccoli und Cocktailtomaten, die uns – ganz familiengerecht – in einer großen Schüssel gereicht werden sollten. Nachdem wir schon über 20 Minuten gewartet haben,
erschien die bullige Chefin des Hauses (die mich im Übrigen an Katy Karrenbauer aus ‚Hinter Gittern‘ erinnerte) und fragte uns, ob wir uns das mit der Familien-Portion recht überlegt hätten.
Bitte was? Sehen wir so aus, als wüssten wir nicht, was wir wollten? Wollen die denn keinen Umsatz machen? … Pfff, Ziege … Nachdem wir abermals 20 Minuten warten mussten, kam die unerfahrene und
völlig gestresste Kellnerin mit einer Schüssel Ravioli mit Schinken-Sahne-Soße daher. Ernsthaft? Da wir vegetarisch essen wollten, lehnten wir das Gericht natürlich ab. Außerdem gefiel uns die
insgesamt stressige Situation nicht, sodass es uns nicht schwer fiel, deutliche und direkte Worte zu finden. Um kurz vor 20 Uhr gab es dann unser ersehntes Essen, welches eher nach 2,5 anstelle
von 4 Portionen aussah. Meine Laune erreichte vorerst den Tiefpunkt. Zum Glück schmeckten wenigstens die Nudeln und Tomaten außerordentlich gut, wenngleich der Broccoli etwas länger hätte garen
können. Als die Familienschüssel geleert war, gab es mit der Rechnung den nächsten Schock: 88,70 € sollten bezahlt werden. Die Kellnerin behaarte sogar darauf, dass der Chef das so wollte, und
wurde zu allem Übel noch frech. Unsere empörten Stimmen wurden lauter und mir war es nur recht, dass die Gäste an den Nebentischen sich schon umdrehten. Es sollte ruhig jeder wissen, wie
inkompetent dieser Laden war. Nachdem wieder mehrere Minuten an dem richtigen Betrag gerechnet wurde, gab es verständlicherweise zu den 32,70 € nur 30 Cent Trinkgeld. Und auch das war schon zu
viel. Übrigens: von einer Entschuldigung seitens der Kellnerin oder der Chefin keine Spur. Saftladen!
Sophie und ich waren uns beim Rausgehen einig, dass wir nach dem vielen Fluchen und Murren bald darüber lachen würden. Und so kam es auf dem Rückweg zum Auto, dass wir das Ganze mit Humor nahmen
und zum Lachen fanden – Danke für diese Art der Unterhaltung!
Im Hotel angekommen, schalteten wir passend zur Stimmung „Verstehen Sie Spaß?“ auf ARD ein und entspannten den Rest des Abends auf dem Bett. Zwischendurch packte ich meine Sachen für den morgigen
Tag, doch da vertraute ich hauptsächlich auf meine Routine und machte mich nicht zu verrückt. Als wir uns bettfertig gemacht und den Wecker auf 7 Uhr gestellt hatten, waren wir um halb 12 auch
schon am Schlafen.
Am nächsten Morgen fiel mir das Aufstehen nicht leicht, aber Sophie hatte noch mehr zu kämpfen. Um 07:30 Uhr machten wir uns auf den Weg in den Frühstücksraum, der ebenso altmodisch eingerichtet
war, wie der Rest des Hotels. Die Auswahl war dennoch gut und so gab es Brötchen, hart gekochte Eier, Aufschnitt aller Art, unterschiedliche Marmeladen, Honig, Cornflakes, Obst und – wer mag es
glauben – Kaviar! Na das nenne ich mal Zwei-Sterne-Niveau.
Nachdem wir unser Hotelzimmer leer geräumt und die Schlüssel in den vorgesehenen Briefkasten geworfen haben, ging’s los Richtung Leipziger Stadion, wo sich das Start-Ziel-Gelände befand. Etwa 1,5
km vom Start entfernt parkten wir das Auto legal am Straßenrand und machten uns zu Fuß weiter auf den Weg. Während rings um uns fleißig an den Streckensperrungen gearbeitet wurde, schien bei
kühlen 5°C die Sonne von oben. Ein traumhafter Marathontag kündigte sich an.
Eine knappe Stunde vor dem Start gingen wir zum Start-Ziel-Gelände, um uns einen Überblick zu verschaffen. Der obligatorische Gang zum Dixi-Häuschen blieb nicht aus. Lieber früher, als später
gestresst in Warteschlangen zu stehen. Während des Warmlaufens und Dehnens gingen wir zurück zum Sportforum, wo ich meinen Kleiderbeutel mit den Dusch- und Wechselklamotten abgeben konnte. Da
sich die Wolken 15 Minuten vor dem Startschuss wieder zuzogen, entschied ich mich dafür, doch mit der Kappe auf dem Kopf zu laufen. Sicher ist sicher.
Während ich 10 vor 10 von hinten in den Startblock ging und mich nach vorne schlich, ging Sophie am Rand ebenfalls nach vorne. Als ich beinahe in erster Reihe stand, schnürte ich meine Schuhe
fest zu und zog die wärmende Hose und Jacke aus. Sophie packte alles in ihren Rucksack und knipste noch schnell ein paar Fotos von mir. Dann verabschiedeten wir uns wenige Augenblicke vor dem
Start. Sie wünschte mir in erster Linie viel Spaß und dass ich auf mich aufpassen solle. All das wollte ich beherzigen, denn der Fokus liegt nicht nur auf dem heutigen Leipzig Marathon, sondern
auch auf dem Wings For Life World Run in zwei Wochen, den ich
verletzungs- und beschwerdefrei in Zadar bestreiten möchte.
Nach ein paar Worten der beiden professionellen und unterhaltsamen Moderatoren, ertönten um 10:01 Uhr die Schüsse, die uns auf den Zwei-Runden-Kurs durch Leipzig entließen. Mit dabei waren
übrigens die 75-jährige Sigrid Eichner, die hier ihren 1981. Marathon bestritt und damit Weltrekordlerin im Marathon-Sammeln ist, und der Sieger der ersten Ausgabe des Leipzig Marathons aus dem
Jahre 1977, Roland Winkler.
Die bunte Truppe aus insgesamt über 800 Marathonis setzte sich in Bewegung und ich war überrascht, dass ich vom ersten Meter an vorneweg lief. Warum nicht? Sieht bei den Fotos und Filmchen
nachher bestimmt cool aus, dachte ich mir.
Auf geht’s! Marathon Nr. 21 ist gestartet!
Der Lauf
Über eine lange Gerade ging es rein in die noch ruhigen Straßen der sächsischen Stadt Leipzig. Und voller Vorfreude lief ich vorneweg. Mein Tempo war moderat, nicht zu schnell und nicht zu
langsam, und doch dauerte es 2-3 Minuten, bis die ersten schnellen Männer an mir vorbeizogen. Ich ließ mich nicht beirren und spulte meinen ersten Kilometer in ambitionierten 03:50 min ab. Die
Straßen waren breit, ich suchte meine Ideallinie und trotz der kühlen Luft und leichtem Gegenwind hatte es etwas Erwärmendes, einfach ohne Stress laufen zu dürfen. Der Kopf wurde mit jedem
Schritt freier und die Nervosität wich im Nu.
Bei KM 2 (in 03:49 min) wusste ich jedoch, dass die ganze Träumerei nicht allzu lange anhalten durfte. Das Tempo wurde dadurch zu hoch und ein kontrollierter Marathon im Bereich von 04:05-04:10
min/km sollte nach wie vor mein Ziel sein. Und so lenkte ich mich mit Sehenswürdigkeiten ab, die es am Streckenrand zu sehen gab. Etwa bei KM 2,5 passierten wir das Neue Rathaus, das Sophie und ich schon am Vorabend
bestaunt hatten. Wenig später folgte dann eine Brücke über die S-Bahn-Schienen, die mich sicher ein paar Sekunden kosten würde. Und so kam es, dass ich mit KM 3 in 04:09 min voll im Soll
lag.
Auf der Höhe des Mendebrunnens
bogen wir rechts ab und liefen auf der breiten und langen Prager Straße dem Friedenspark entgegen. Durch den günstigen Rücken- und Seitenwind wurde ich bei KM 4 (in 03:52 min) wieder schneller.
Noch keine Spur von Rhythmus also.
Und dann kam, was kommen musste: das Wetter spielte verrückt! Fast 10 Minuten lang hagelte und schneite es kleine Schneekugeln vom Himmel und sorgte bei uns Läufern für wenig Freude. Ein junger
Kontrahent, der mich in diesem Moment überholte, sagte bloß „Was ein Wetter!“. Ich antwortete: „Der April macht was er will.“ Zum Glück war abzusehen, dass dieser Schauer nicht von langer Dauer
bleibt, und so nahm ich’s mit Humor. Die Kappe zog ich mir derweil tiefer ins Gesicht, senkte den Kopf und spulte KM 5 in 04:02 min und KM 6 in 04:00 min ab.
Bereits an der ersten Verpflegungsstelle griff ich zu einem Becher Wasser, nahm einen Schluck davon und kippte mir den Rest über das linke Knie. Rein prophylaktisch. Ich wollte nicht, dass das
Knie wieder anfängt zu Meckern, und so musste ich es von Beginn an kühlen.
Zwischen KM 6 und 7, als der kurze Schneesturm nachließ, passierten wir das Völkerschlachtdenkmal, das in seiner monumentalen Größe schon von weitem sichtbar war.
Nach zwei weiteren Kilometern auf der geradeaus verlaufenden Prager Straße (KM 7 in 04:05 min; KM 8 in 03:53 min) erreichten wir den süd-östlichsten Punkt der Strecke, woraufhin eine scharfe
Rechtskurve folgte. An diesem Punkt der Strecke herrschte unter den vielen Zuschauern besonders gute Stimmung, die zusätzlich von rhythmischer Trommelmusik angeheizt wurde. Das motivierte mich
dazu, das Publikum zu noch lauteren Rufen aufzufordern. Ich hob beide Arme und winkte mit den Händen zu mir her. Dann wanderten die Handflächen hinter meine Ohren, was so viel heißen sollte, dass
mir der Applaus zu leise ist. Und es hatte den erhofften Effekt: Aus „Wuhuu!“- wurden „WWUUUHHHUUUUU!!“- Rufe. Ich fühlte mich wie ein Sieger – der Hammer!
Diesen Motivationsschub nahm ich gerne mit und beschleunigte auf dem neunten Kilometer abermals (03:51 min). Zudem verlief die Strecke an diesem Punkt abfallend, was mir bei KM 30 sicher gut tun
wird.
Kurz vor Ende dieser ruhig gelegenen Connewitzer Straße folgte die bereits dritte Verpflegungsstelle. Leider griff ich diesmal zu einem Becher mit Iso-Getränk, obwohl mir der Herr laut und
deutlich „Wasser?“ entgegengerufen hatte. Nach dem ersten kleinen Schluck warf ich den Becher fluchend weg. Sowas mochte ich absolut nicht. Unterwegs trinke ich meistens nur Wasser und in
seltenen Fällen zum Ende eines Rennens einen Schluck Cola, aber Iso kommt mir nicht in die Tüte.
Nach einer Rechtsabbiegung auf die Zwickauer Straße lagen schon die Kontrollmatten des 10-Kilometer-Punktes aus. Ein leises Piepen war zu hören und ich kontrollierte sogleich meine
Durchgangszeit, die mit 39:26 min deutlich unter dem Plan von etwa 41 Minuten lag. Was soll’s? Ich änderte nichts an meiner Taktik und genoss den immer gleichmäßiger werdenden Lauf.
Die leichten Seitenstiche bei KM 10,5 wollte ich nicht wahrhaben und führte sie auf das Iso-Getränk zurück. „Bilde ich mir das nur ein oder wird das jetzt ein Kampf gegen meinen Körper?“ dachte
ich mir. Ebenfalls egal – einfach ausblenden!
Nach einer zweiten Brücke über Eisenbahnschienen ging es bei KM 11 (in 03:57 min) nach rechts auf ein etwa 1 km langes Wendepunktstück. Hier kamen uns schon die schnellen Läufer entgegen, die
bereits ein paar Minuten gut machen konnten. Hinter einem Einzelkämpfer folgten mit Abstand eine starke Dreiergruppe und zwei weitere Teams aus je zwei Läufern. Dann kam ich auf Platz 9 gelegen –
eine Platzierung mit der ich im Ziel mehr als zufrieden wäre, denn insgeheim habe ich nur mit einem Rang unter den Top-20 gerechnet.
Bei KM 12 (in 04:00 min) war der Wendepunkt erreicht und nach der 180°-Linkskurve musste ich mich mit aller Kraft gegen den Wind lehnen. Während dieser bisher nur hin und wieder zu spüren war,
kam er nun mit voller Kraft von vorn. Kein Windschatten, keine schützenden Gebäude, nichts. Da die Strecke ganz leicht abfallend war, fiel es mir zum Glück nicht schwer, einen flotten 13.
Kilometer rauszuhauen (in 03:52 min).
An der vierten Getränkestation griff ich endlich wieder zu Wasser. Ein Schluck in den Rachen, der Rest ans Knie und weiter ging’s. Nach einem leicht kurvigen Abschnitt folgte bei KM 14 (in 03:57
min) die dritte Eisenbahn-Brücke. Wieder hieß es für kurze Zeit, die Zähne zusammenzubeißen, doch leichte Anstiege machen mir Spaß: „oben“ angekommen zu sein bedeutet nämlich, dass es wieder
runter geht und man den Beinen ein wenig Entspannung erlaubt, sofern davon die Rede sein kann.
Auf den folgenden 3 km ging es auf der Kurt-Eisner-Straße und dem Schleußiger Weg wieder nur geradeaus – stets gegen den Wind. Dennoch konnte ich auf dieser Passage knapp unter dem 4er-Schnitt
bleiben und mich dadurch an die beiden vor mir Laufenden herankämpfen. Für nette Ablenkung sorgten Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten, die uns auf der flachen Brücke über den Hochflutkanal auf
Höhe des Leipziger Auenwalds das Wasser reichten. Natürlich
ging meine Hand wieder zum Becher.
Bei KM 18 (in 04:01 min) bogen wir rechts ab und liefen durch die windgeschützte Erich-Zeigner-Allee, die bei KM 19 (in 03:55 min) einen kleinen Kreisverkehr passierte. Auch hier waren wieder
besonders viele Zuschauer anwesend, was mich zu meinen gewohnten Arm-Bewegungen verleiten ließ. Wieder mit Effekt! Zudem fing ich an, die kleinen Kinderhände abzuklatschen, die mir – meist von
Jungs – entgegengestreckt wurden. Für die Kleinen ist jeder Abklatscher Gold wert und so hörte ich das eine oder andere Mal, wie fleißig mitgezählt wurde.
Nachdem es ab KM 20 (in 03:55 min) im Uhrzeigersinn um den kleinen Palmengarten ging, musste ein großer aufblasbarer Torbogen durchlaufen werden. Dieser markierte die Stelle, die exakt 1 km vom Ziel entfernt lag. Vor mir lagen aber noch ganze
22 km. Für entsprechend gute Stimmung so kurz vor dem Bergfest sorgten ein Moderator mit Mikro und Lautsprechern und eine große Gruppe Cheerleader, die sich auf beide Straßenseiten aufgeteilt und
uns Läufer über die Strecke gejubelt hat. Großes Lob für die grandiose Atmosphäre bei kaum mehr als 5°C!
Als dann die flache Brücke über das Elsterflutbecken überquert war, sah ich von weitem Sophie und überlegte mir schnell, was für ein Symbol ich mit den Händen machen und ihr dabei sagen wollte.
Das Zeitfenster beträgt meist nur 2 Sekunden, in denen wir uns austauschen können. Und so entschied ich mich für ein Herz, das ich mit meinen Zeigefingern und Daumen formte, und für die Worte „Es
läuft super!“. Das sagte alles aus! Gleichzeitig sah ich in ihrem Gesicht, dass sie sich für mich mitfreute – und das tat gut.
Voller Adrenalin schwebte ich förmlich über den Asphalt. Jegliche kleine Wehwechen in der Beinmuskulatur, die mir ab und an einen Krampf voraussagten, waren verflogen. Die leichten Seitenstiche
ebenfalls. Und die Zuschauer wurden dankenswerterweise wieder mehr und lauter. Kurz vor der Halbzeit stockte mir sogar der Atem, als der Moderator meinen Namen rief und es am Streckenrand durch
mein erneutes Arm-Fuchteln und Ohren-Zeigen wieder richtig laut wurde. Gänsehaut-Stimmung! ‚Kraft tanken‘ lautete nun die Devise!
Nach einer engen 180°-Rechtswende folgten die Zeitmessmatten für den ersten Halbmarathon, den ich nach 01:23:23 Stunden absolviert hatte. Eine Endzeit von 02:47:00 Stunden kündigte sich also an …
sofern ich das Tempo halten konnte. Übrigens war mein 21. Kilometer mit 03:44 min der bis dahin schnellste des Tages. So viel zum Thema Motivation.
Als es wieder ruhiger wurde und wir abermals Richtung Neuem Rathaus liefen, fragte mich der Finne, den ich vor KM 20 überholt hatte und der mir seitdem im Nacken saß, ob wir nicht kooperieren
wollten. „Of course“ antwortete ich ihm. Natürlich! Und das meinte ich auch so. Da wir in der Spitze recht wenig schnelle Läufer waren, ist jeder direkte Konkurrent gleichzeitig ein großer
Ansporn, weiter schnelle Zeiten zu laufen. Wir versuchten auf den folgenden Kilometern, uns bei der Führungsarbeit abzuwechseln. So kamen wir auf recht flotte Zeiten: KM 22 in 04:03 min, KM 23 in
03:50 min, KM 24 in 03:55 min und KM 25 in 03:52 min.
Ab diesem Punkt musste der Finne allerdings abreißen lassen. Mit einem kurzen englischen Satz teilte er mir noch mit, er sei keine Hilfe für mich. „Don’t worry“ Lautete meine Antwort. Keine
Sorge! Einfach nicht aufgeben! Und schon wurde auch ich etwas langsamer (KM 27 in 04:00 min).
Ich näherte mich nun wieder dem gewaltigen Völkerschlachtdenkmal und bereitete mich darauf vor, eines von meinen zwei Power Gels zu mir zu nehmen. Im Rahmen eines Marathons sollte dies nun mein
zweiter Versuch werden, nachdem ich beim Big Sur International Marathon gute Erfahrungen damit gemacht habe. Nach KM 27 (in 04:03
min) holte ich einen Beutel aus der kleinen Hosentasche und fummelte danach wieder am Reißverschluss, damit das zweite Gel nicht herausfallen konnte. Etwa 200 Meter vor der Getränkestation riss
ich die Packung mit den Zähnen auf und drückte mir den süßen Inhalt in den Mund. Mit drei-vier Schlucken war das Gel weg und der Becher Wasser folgte sogleich. Ich spülte mir den Mund aus und
lief erwartungsvoll weiter. Erwartungsvoll, weil ich nicht ahnte, was mich auf dem letzten Streckendrittel erwarten würde (KM 28 in 04:03 min).
Am süd-östlichsten Punkt der Route (KM 29 in 04:00 min) hieß es wieder, die grandiose Stimmung aufzusaugen und wieder mehrere Kinderhände abzuklatschen. Das tat uns allen gut. Und nach der
scharfen Rechtskurve ging es wieder leicht bergab durch die Connewitzer Straße. KM 30 und 31 lief ich beide in 03:56 min und bei Überlaufen der dritten Kontrollmatte (KM 31,1) hatte ich eine
Durchgangszeit von 02:03:02 Stunden.
Hinter der kleinen Brücke folgte wieder das 1 km lange Pendelstück, auf dem ich sowohl die vor mir Laufenden, als auch meine Verfolger beobachten konnte. Wer sah wie aus? Wer könnte mir noch
gefährlich werden? Jagdinstinkt und Verfolgungswahn lagen nun nah beieinander …
Und so rückten mir nach zwei minimal langsameren Kilometern (KM 32 in 04:00 min und KM 33 in 04:02 min) wieder zwei Läufer auf die Pelle. In unserer Dreiergruppe konnte ich glücklicherweise ein
wenig Windschatten ausnutzen und so folgte wieder ein etwas schnellerer Abschnitt (KM 34 in 03:57 min).
Da wir uns gegenseitig so sehr motivierten, merkten wir kaum, wie nah wir an den Fünft- und Sechstplatzierten gekommen sind. Beide arbeiteten seit Beginn des Rennens zusammen und wurden nun
Sekunde um Sekunde langsamer. Ich nutzte die Gunst der Stunde und löste mich mit einem kurzen Antritt von unserer Dreiergruppe, um auf die beiden vor mir aufzulaufen. Dieses Manöver verlangte mir
03:56 min für KM 35 ab. Das war es wert.
Ein offizieller Radbegleiter fragte mich: „Sind deine Beine noch fit?“. Ich nickte kurz und sagte: „Jupp“. Das war jedoch nur die halbe Wahrheit, denn es wurde langsam aber sicher knüppelhart. Zu
allem Übel musste ich bei KM 36 (in 04:04 min) mit einer Dame am Getränkestand schimpfen, als sie mir zwar den Becher entgegenreichte, aber einfach nicht loslassen wollte. Ich fluchte und mir
entwich das böse Wort mit „Sch“. Entschuldigung an dieser Stelle! Dennoch war ich geschockt und verwundert, wie das passieren konnte. In der Hoffnung, meinen Durst ignorieren zu können, bin ich
einfach weitergelaufen. Doch wenige Augenblicke später fuhr der Radfahrer rechts an mich heran, entschuldigte sich und reichte mir einen gefüllten Wasserbecher. Wow, Danke!
Dies motivierte mich zu einem letzten Kilometer unter dem magischen 4-min-Schnitt (KM 37 in 03:57 min). Da mir Passanten zuriefen, ich sei nun Vierter, ahnte ich, dass ein starker Läufer
ausgestiegen sein muss. Des einen Freud ist des anderen Leid. Jedoch war meine Freude von kurzer Dauer, als mich ein Läufer mit blauem Shirt hinter KM 38 (in 04:02 min) schnellen Schrittes
überholte. „Ganz großes Kino!“ entgegnete ich ihm und meinte damit seine effektive Krafteinteilung. Wer jetzt noch so powern kann, hat sich seine Körner gut verteilt.
Bei mir war währenddessen die Luft raus. Die vielen Trommlergruppen und vereinzelten Zuschauer motivierten zwar immer noch, aber es reichte nicht mehr aus, um das Tempo gleichbleibend hoch zu
halten. Auf KM 39 in 04:06 min folgte KM 40 in 04:05 min. Diese paar Sekunden, die ich nun verlor, schienen den türkisch stämmigen Läufer mit Radbegleiter zu motivieren. Obwohl ich ihn vor kurzem
überholt und abgehängt hatte, konnte er sich zurück kämpfen und überholte mich knapp 2 km vor dem Ziel. Nun blieb mir noch der 6. Platz.
Noch weiter wollte ich auf keinen Fall zurückfallen und so nutzte ich die positive Stimmung der Cheerleader am Torbogen des 41. Kilometers (in 04:04 min) für die letzten zwei langen Geraden.
Beide etwa 500 Meter langen Straßen zogen sich wie Kaugummi. Umdrehen kam für mich nicht infrage. Vor mir war die Lücke auch schon zu groß. Was konnte mich jetzt noch zu einem letzten schnellen
Kilometer bewegen? Nichts. Aber das war mir auch egal, denn ich wollte lächelnd und genießend ins Ziel. „Patrick, leg‘ den Schalter um, Wettkampf-Modus aus, Genuss an!“
Die letzte Gerade! Und die Gewissheit, heute meinen zweitschnellsten Marathon absolviert zu haben. Das konnte mir keiner mehr nehmen. KM 42 in 04:07 min war absolviert und die letzten 195 Meter
standen bevor! Ein Blick auf die Uhr: Knapp über 02:47 Stunden. Schaffe ich es noch unter 02:48 Std.? Nochmal Druck aufs Gaspedal … aber bloß genießend!
Wenige Schritte vor der Ziellinie zog ich meine Kappe vom Kopf. Als Zeichen des Respekts vor dieser Distanz, die schon so viele zum Verzweifeln gebracht hat. Doch ich hab es auch heute wieder
geschafft! Zum 21. Mal finishe ich mindestens die Marathon-Distanz und es war geil. Hammer-mega-ober-geil wie selten zuvor!
02:47:51 Stunden habe ich an der großen Digitalanzeige über mir erkannt. Eine zweite Rennhälfte, die um 01:05 min langsamer war, als die erste. Damit kann ich absolut zufrieden sein und bin es
auch!
Nachher
Da sich Sophie direkt hinter dem Zielbanner am Rand aufhielt, konnten wir uns sofort in die Augen schauen und miteinander sprechen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und gratulierte mir.
„Wahnsinn“ war das Wort, das von uns beiden am häufigsten verwendet wurde, denn keiner hätte heute mit dieser Zeit gerechnet. Am wenigsten ich.
Sophie schob ein Element des Absperrzauns zur Seite und verschaffte sich direkt Zugang zu mir. Da es noch immer recht frisch war, zog sie meine Jacke aus dem Rucksack, die ich dann sofort anzog.
Nachdem ich wieder zu Atem gekommen bin, gingen wir zur Medaillen-Ausgabe. Dieses fast schon zeremonielle Überreichen der Auszeichnung genieße ich nach Marathons ganz besonders.
Daraufhin machten wir uns auf den Weg zum Verpflegungsplatz, wo es von Wasser über Apfelschorle, Iso-Getränke, Tee, Obst bis hin zu alkoholfreiem Bier von Krombacher alles gab, was das Läuferherz begehrt. Da ich nach solch einem Lauf keinen Bissen runterkriege, galt mein Interesse all den leckeren Getränken. Von letzterem gönnte ich mir gleich zwei Becher … was sonst?!
Auf dem etwa 600 Meter langen Weg zurück zum Sportforum, wo die Kleiderbeutel deponiert und die Duschen hoffentlich noch warm waren, grübelten wir noch immer, wie ich die Leistung heute abrufen
konnte. Die Vorzeichen waren mit einem schwachen Hannover Halbmarathon und wenig Training eher schlecht als recht und trotzdem
lief es wie am Schnürchen. Hatte es eventuell doch was mit dem Gel auf sich? Das werde ich nur durch Ausprobieren erfahren.
Noch bevor es unter die Dusche ging, riefen meine Eltern auf Sophies Handy an und wollten ganz dringend Neuigkeiten erfahren. Diese gab es dann von erster Hand und auch hier folgten prompt
Glückwünsche. Danke!
Obwohl die Duschen schön warm waren, beeilte ich mich, um Sophie nicht zu lange warten zu lassen. Außerdem wurde es langsam Zeit, doch etwas Festes zu sich zu nehmen. Wir entschieden uns dafür,
am Hauptbahnhof durch die Passagen zu spazieren, da es dort hoffentlich wärmer als unter freiem Himmel sein würde.
Beim Verlassen des Sportforums entdeckten wir noch die Ergebnisliste, die uns zeigte, dass ich tatsächlich Altersklassen-Erster geworden bin. Die ersten Fünf waren alle mindestens 5 Jahre älter
als ich und somit in einer höheren Altersklasse. Schade, dass es hierfür keine separate Ehrung gibt, wie wir uns nach meinem Zieleinlauf bei den Verantwortlichen erfragt haben. Naja, egal, es
zählt die Zeit.
Am Hauptbahnhof angekommen gönnten wir uns asiatische, gebratene Nudeln mit Hähnchenfleisch und Kokossoße – lecker! Und im Großen und Ganzen besser, als unser gestriges Abendessen im Restaurant.
Noch ein paar letzte Worte zum Leipzig Marathon und der Stadt Leipzig allgemein: Wer diese Stadt noch nicht besucht hat, sollte dies auf jeden Fall bald nachholen. Hierfür eignet sich sicherlich
ein ausgedehntes Wochenende, um alle kulturellen und historischen Teile der Stadt zu erkunden.
Und der älteste, ununterbrochen stattfindende City-Marathon Deutschlands ist mindestens genauso eine Teilnahme wert. Wenn das Wetter mitspielt, läuft man hier über eine sehr schnelle und
vermessene Strecke, die viele schöne Seiten hat. Ein Zwei-Runden-Kurs ist zwar nicht jedermann Sache, aber mir persönlich macht solch ein Lauf mehr Spaß, als eine sehr große, langweilige Runde
laufen zu müssen. Zudem ist die Organisation des Events so professionell und gleichzeitig liebevoll, wie bei kaum einem anderen Marathon. „Den Leipzig Marathon muss man mal erlebt haben“ lautet
mein Fazit.
Zahlen & Fakten
Distanz
Gelaufene Zeit (Netto)
Gelaufene Zeit (Brutto)
Altersklasse
AK-Platzierung
Platzierung (Männer)
Gesamtplatzierung
42,195 km
02:47:51 Std.
02:47:51 Std.
Männl. Hauptklasse (87-96)
1. von 79 (1,3 %)
6. von 678 (0,9 %)
6. von 801 (0,7 %)