27. München Marathon
14.10.2012
Vorgeschichte
Nach meiner Praktikumszusage von Bosch in Vaterstetten bei München, galt mein erster Gedanke einzig und allein dem München Marathon. Die Anmeldung erfolgte nur wenige Tage nach der Zusage und zu meiner Überraschung entschied sich auch mein Vater, in der bayrischen Landeshauptstadt sein Marathon-Debüt zu geben. Respekt!
Nach Frankfurt, Berlin und Düsseldorf soll also München meine nächste große Station in Deutschland werden. Ob es insgesamt aber mein 6. oder 7. Marathon sein würde, wusste ich noch nicht genau, denn es stand noch offen, ob ich Anfang August beim Friedensmarathon in Augsburg starten würde.
Mit Beginn meines Praktikums machte ich meine Pläne dann aber konkreter und entschied mich für Augsburg als meinen 6. und München als meinen 7. Marathon. Damit, dass ich dann aber Mitte September - exakt 4 Wochen vor dem Marathon - noch auf die irrsinnige Idee komme, den 1. Self-Transcendence 6-Stunden-Lauf München zu laufen, habe ich aber nicht gerechnet. Im Nachhinein bereue ich meinen Ausflug in die Ultramarathon-Welt nicht, aber die kurze Erholungspause vor dem Marathon war dann doch sehr gewagt, wenn ich ehrlich bin.
Nunja, nach einem heißen und erfolgreichen Lauf in der schönen Stadt Augsburg und meinen insgesamt 75,545 Kilometern im Pasinger Stadtpark in München, wollte ich meine Kräfte nun für Mitte Oktober sammeln. Allerdings sind lediglich vier Trainingsläufe (15 km, 28 km, 30 km, 10 km) in vier Wochen wohl auch nicht das Gelbe vom Ei. Zudem habe ich einige Tage auf dem legendären Oktoberfest verbracht und mir dort wohl einen Virus eingefangen (die Ärztin bezeichnete es als das Wiesn-Virus). Die Krankheit hielt einige Tage an und ich wurde sie leider erst wenige Tage vor dem Marathon los.
Im Großen und Ganzen will ich damit ausdrücken, dass meine Vorbereitung auf den München Marathon, wo dieses Jahr die Deutschen Meisterschaften ausgetragen wurden, alles andere als vorbildlich verlaufen ist. Die Wochen davor waren geprägt durch harte Wettkämpfe, Trainingsrückstand, Bier in Maßkrügen und wenig Erholung. Ein 1-A-Negativbeispiel!
Freitag, 12.10.2012
Nachdem meine Eltern nachmittags mit der Bahn angereist sind (meine Schwester war zu dem Zeitpunkt in London), fuhren wir mit der S-Bahn zunächst zurück in das Dörfchen Haar, in dem ich in einer kleinen WG wohnte. Wir wollten nur ihren Koffer zu Hause lassen und uns dann wieder auf den Weg in die Innenstadt - genauer zum Olympiapark - machen, um die Startunterlagen abzuholen. Nach einer etwas beschwerlichen Anreise mit S-Bahn, Tram und Fußmarsch trafen wir kurz vor 17.00 Uhr auf der Marathonmesse in der Event Arena neben dem Olympiastadion ein. Zuerst holten wir im ersten Stock unsere Kleiderbeutel mit all dem notwendigen Equipment für den Renntag ab.
Danach trennten sich kurz unsere Wege, da sich meine Eltern auf der Messe umschauen wollten und ich währenddessen ein Treffen mit Friedrich Birkner hatte, einem Lauftrainer des Vereins FCE Running in Ebershausen. Er hatte mich nach meinem Erfolg beim 6-Stunden-Lauf via Facebook angeschrieben und sein Interesse an meiner Person geäußert. Er wollte mich für sein Team bei der ersten Deutschen Meisterschaft im 6-Stunden-Lauf in Troisdorf, der nur drei Wochen nach dem Marathon stattfinden sollte, verpflichten. Mir gefiel die Idee zwar sehr, aber in Anbetracht meines gesundheitlichen Zustandes, des großen Trainingsrückstandes und meinem baldigen Auslandssemester in Mexiko, habe ich ihm schweren Herzens absagen müssen. Mittel- bis Langfristig ist solch ein Verein aber interessant für mich, denn es trainieren wirklich talentierte (Ultra-)Läufer in diesem Verein.
Nach meinem aufschlussreichen Gespräch schaute auch ich mir die Marathonmesse an, fand aber kein attraktives Schnäppchen. Allerdings wurde ich auf eine kleine Gruppe junger Medizin-Studenten aufmerksam, die eine Studie zu Wasserablagerungen in Fuß- und Kniegelenken vor und nach sportlicher Belastung durchführte. Ich fühlte mich als Student, der auch schon an ähnlichen Forschungsprojekten gearbeitet hat, innerlich verpflichtet, mitzumachen. So ließ ich mich in weniger als fünf Minuten mit einem Ultraschalgerät untersuchen und versprach, maximal drei Stunden nach Zieleinlauf wieder zu erscheinen.
Als ich dann wenig später meine Eltern wiedergefunden habe, entschieden wir uns gegen 18.30 Uhr, von der offiziellen Pasta-Party des Veranstalters einen Tag früher als gewohnt Gebrauch zu machen. So bestellten wir uns einen Teller Spaghetti Bolognese und ein Erdinger Alkoholfrei, und fuhren dann nach dem Essen zurück in meine WG.
Samstag, 13.10.2012
Um 07.30 Uhr klingelte unser Wecker und ein leicht bewölkter, aber sonniger Tag begrüßte uns. Bevor wir uns auf den Weg zum Olympiapark und dem diesjährigen Trachtenlauf machten, gab es noch ein kleines, provisorisches Frühstück.
Bei dem Trachtenlauf handelt es sich um einen Freundschaftslauf vor dem eigentlichen Renntag, der viele Nationen und Kulturen versucht zu vereinen. Die Teilnahme an dem etwa 5 km langen Läufchen durch den Olympiapark ist freiwillig und kostenlos. Lediglich das anschließende Weißwurstfrühstück, das wir uns natürlich nicht entgehen lassen wollten, kostete einen kleinen Betrag. In der Ausschreibung wird zudem die Anregung gegeben, in seiner persönlichen Nationaltracht zu starten, und so wollten wir natürlich unsere polnischen Farben repräsentieren. Meine Mutter entschied jedoch spontan, sich ein günstiges Dirndl für diesen Lauf zuzulegen. Gleichzeitig wollte ich den Trachtenlauf dazu nutzen, mich mal wieder in mein blaues Morphsuite zu zwängen.
Nach dem Frühstück nahmen wir um kurz vor 09.00 Uhr den Bus zur S-Bahn-Station in Haar und von dort die S-Bahn zum Olympiapark. Eine knappe Stunde später waren wir dann vor der Event Arena im Besitz unserer Startnummern und bereit, schöne Fotos von der Veranstaltung zu schießen.
Um 10.30 Uhr erfolgte dann der Startschuss für mehrere Hundert Läufer. Anfangs noch von einem Elektroauto angeführt, hinderte ein Poller auf dem Gehweg dieses an der Weiterfahrt, sodass wir uns nach nur 300 Metern an dem weißen BMW vorbeidrängen mussten. Auch von der atemberaubenden Strecke zwischen den grünen Hügeln schossen wir viele Fotos und freuten uns ganz besonders darüber, dass das Wetter heute mitspielte.
Nach gut 30 Minuten sind wir im Ziel angekommen und sind dann sofort zum Weißwurstfrühstück gegangen. Dieses bestand ganz traditionell aus einer Brezn, zwei Weißwürsten, süßem Senf und Bier (natürlich alkoholfrei). Es schmeckte – wie erwartet – absolut lecker und ich verzichtete liebend gern auf jeglichen Gedanken über die Frage, ob sowas vor einem Marathon gesund sei oder nicht. Genuss stand nun an erster Stelle!
Bevor wir uns kurz nach 12.00 Uhr auf den Heimweg begaben, machten wir noch einen Spaziergang auf den Olympiaberg hinauf, um bei schönstem Wetter die Aussicht über München und das Umland zu genießen. Auf mich hat der Olympiapark ein ganz besonderes Flair und in Verbindung mit dem Englischen Garten muss ich sagen, dass ich bisher noch keine grünere Großstadt gesehen habe!
Nach einem kurzen Zwischenstopp und einer heißen Dusche zu Hause fuhren wir mit der S-Bahn wieder zurück in die Innenstadt Münchens. Ich zeigte meinen Eltern das Rathaus am Marienplatz, die gut gefüllte Kaufingerstraße und das Karlstor am Karlsplatz. Wer München kennt weiß, dass das bei Weitem nicht alles ist, was die Stadt zu bieten hat. Allerdings wollten wir auf Nummer Sicher gehen und unsere Beine so gut es geht schonen. Ich wollte nicht denselben Fehler begehen wie im Jahr zuvor in Berlin, als der Marathon erst nach zwei ausgedehnten Sightseeing-Tagen folgte und mich dementsprechend der Mann mit dem Hammer erwartete
Am frühen Abend waren wir dann wieder in meiner WG, blätterten dort durch die Broschüren, die uns zusammen mit den Startnummern ausgehändigt wurden, skypten mit meiner Schwester in London und kochten uns natürlich wieder eine ordentliche Portion Pasta. Die Aufregung vor dem morgigen Tag war sowohl bei mir, als auch bei meinem Vater spürbar. Wir beide wollten nichts überstürzen und haben eingesehen, dass der Spaß an dem Event definitiv an erster Stelle steht.
Meine Mutter arbeitete sich währenddessen durch den Streckenplan und notierte sich die Kilometerpunkte, an denen sie uns sehen könnte. Als Transportmittel kam hierbei für sie nur die U-Bahn infrage, da viele Busse aufgrund der Streckenführung nicht fuhren. Wir errechneten, dass sie uns beide bei KM 1, mich bei KM 20 und danach meinen Vater bei KM 17 treffen könnte, um anschließend rechtzeitig zurück zum Ziel ins Olympiastadion zu fahren.
Sonntag, 14.10.2012
Vorher
Etwa 06.30 Uhr hieß es für uns aufzustehen und uns fertig zu machen. Nach einem leichten Frühstück ging es um 07.20 Uhr mit dem Bus zur S-Bahn-Station in Haar und von dort zum Olympiastadion. Eine Stunde später und genaue anderthalb Stunden vor dem Startschuss kamen wir im Olympiapark an. Noch waren nicht viele Läufer angereist, doch die Plätze um das beeindruckende Stadion füllten sich mit jeder Minute zusehends.
Das Wetter war zum Laufen mehr als ideal: leicht bewölkt, etwa 10°C und kein Wind. Da es so früh am Morgen noch sehr frisch war, haben wir unsere Jacken und langen Hosen noch bis zur späteren Kleiderabgabe angelassen. Um die Zeit ein wenig zu überbrücken und um sich auf dem großen Gelände zu orientieren, sind meine Eltern und ich zunächst ins Olympiastadion gegangen, das heute durchgehend geöffnet war. Die Architektur des Daches und der Tribünen war atemberaubend, das Zielbanner stand bereit und die Verpflegungszone war in der Mitte auf der Rasenfläche aufgebaut. Der Anblick und der Gedanke an den späteren Zieleinlauf erzeugten jetzt schon eine Gänsehaut! Die Vorfreude auf das Rennen und die meist positive Stimmung unter den Läufern stieg gewaltig und auch meinem Vater schien das Ambiente vor seinem Marathon-Debüt sehr zu gefallen.
Etwa 40 Minuten vor dem Start entschieden wir uns, die beiden Kleiderbeutel abzugeben. Lediglich zwei dünne Jäckchen hatten wir noch an, um auf dem Weg zum etwa 1,5 km entfernten Startbereich auf der Ackermannstraße nicht zu frieren. Diese konnte meine Mutter später zusammenrollen und in ihre Tasche packen.
Aus den paar hundert Läufern von vor einer Stunde sind nun ein paar Tausend geworden und alle gemeinsam gingen wir quer durch den Olympiapark in Richtung Start. Auf diesem Weg bemerkte ich, dass meine GPS-Laufuhr ihren Geist aufgegeben hat. Akku leer, kaputt? Keine Ahnung! Ich wurde nervös, da so etwas so kurz vor einem Marathon nicht passieren sollte. Meine Mutter war jedoch die Retterin in der Not und bot mir an, dass ich ihre Laufuhr benutzen könnte. Super, Problem gelöst!
Nach einer letzten Banane, einigen Lockerungsübungen und einer kurzen Pipi-Pause hinter’m Baum verabschiedete ich mich zuerst von meinem Vater, da er in einem Startblock weiter hinten im Feld starten musste. Ich gab ihm auf den Weg, dass er den Lauf in erster Linie genießen sollte und wünschte ihm viel Erfolg und lockere Beine. Danach sind meine Mutter und ich weiter nach vorne gegangen, wo ich mich hinter den Meisterschaftsstartern in den zweiten Startblock einreihte. Meine Jacke legte ich nun endgültig ab, die Uhr war richtig eingestellt, Doppelknoten in den Schnürsenkeln, eine letzte Umarmung von meiner Mutter und Abwarten! Die großen roten Luftballons der Brems- und Zugläufer, die knapp unter 3 Stunden für die Strecke benötigen werden, konnte ich noch nicht entdecken. Ich war mir allerdings sicher, dass diese etwas weiter hinten im Feld waren. Da heute an keine Bestzeit zu denken ist, wollte ich mich zunächst in den Windschatten dieser Tempomacher hängen und gucken, wie lange das gutgeht.
Pünktlich um 10.00 Uhr fiel nach der obligatorischen Rede irgendeiner wichtigen Persönlichkeit dann endlich der Startschuss. Auf ins Ungewisse, auf in eine wunderschöne Stadt! Auf geht’s!
Der Lauf
Anfangs war das Gedränge groß und den richtigen Rhythmus zu finden würde wohl etwas länger dauern. Trotzdem versuchte ich nach Erreichen der Starlinie nach 13 Sekunden, ein Lauftempo von durchschnittlich 04:16 min/km zu halten (Ziel < 03:00:00 Stunden). Hinter der ersten Linksabbiegung orientierte ich mich weiter am linken Streckenrand bis ich nach 500 Metern meine Mutter entdeckt habe. Sie wartete dort mit der Kamera auf mich und meinen Vater, bevor sie sich mit der U-Bahn auf den Weg Richtung Kilometerpunkt 20 machte.
Unterdessen liefen wir bei immer noch recht kühlen Temperaturen Richtung Osten weiter in die Stadt hinein. Nach dem ersten chaotischen Kilometer (04:21 min), konnte man sich danach schon recht locker bewegen und meine folgenden drei Kilometer pendelten sich bei idealen 04:14 min/km ein. Zwischen KM 2,5 und KM 5 folgte eine lange, breite Wendepunktpassage auf der Leopoldstraße. Wir passierten erst das Siegestor und dann die Ludwig-Maximilians-Universität, bevor die Strecke kurz vor KM 4 wieder kehrtmachte und uns gen Norden zum Englischen Garten führte. Aufgrund des Wendepunktes sah ich, dass die 3-Stunden-Zugläufer mit ihren roten Ballons nur knapp hinter mir waren. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, wann ich mich in deren Windschatten hängen konnte.
Auf einem minimal abfallenden Abschnitt in der Nähe der Münchner Freiheit sind mir sind mir die schnellsten Kilometer des Rennens gelungen (KM 5 in 04:09 min, KM 6 in 04:02 min) und dennoch näherten sich die Brems- und Zugläufer mit jeder Minute. Kurz bevor wir bei KM 8 nach rechts in den berühmten Englischen Garten einbogen wurde ich endlich von einer großen Läuferschar überholt. Von nun an wollte ich solange wie möglich in dieser Gruppe laufen, um so Kräfte für die zweite Hälfte zu sparen. Meine Beine waren zwar jetzt schon etwas müde, aber von Tempoverlust noch keine Spur.
Auf den folgenden knapp sechs Kilometern sind wir durchgehend über die schmalen Asphaltwege im nördlichen Teil des Englischen Gartens, der übrigens der größte innerstädtische Park der Welt ist, gelaufen. Aufgrund vieler Kurven und sehr vieler Läufer um mich herum, wurde das Laufen unrhythmischer, unbequemer und leider auch etwas langsamer (KM 9 in 04:27 min, KM 10 in 04:20 min, KM 11 in 04:30 min). Erst als die Tempomacher das bemerkten, wurde die Geschwindigkeit wieder ein wenig angezogen (KM 13 in 04:13 min, KM 14 in 04:16 min). Zu diesem Zeitpunkt, als wir unter anderem in den südlichen Teil des Parks wechselten, war mir bereits klar, dass ich heute einen ganz schlechten Tag erwischt habe. Bei KM 15 war ich zwar noch voll im Plan und auf Tuchfühlung mit den anderen ambitionierten „Unter-3-Stunden-Läufern“, jedoch musste ich genau hier mit Verlassen des Englischen Gartens langsam aber sicher abreißen lassen: KM 16 in 04:29 min, KM 17 in 04:32 min und KM 18 in 04:25 min taten schon weh und die Hälfte war noch nicht erreicht.
Während mein Körper einfach nur stehen bleiben wollte, habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich ihm das ausreden könnte. ‚Meilensteine setzen‘ lautete die Devise. Wann erlaube ich mir die erste Gehpause? – Am liebsten gar nicht, aber das würde ich nicht durchhalten. Da ich bei KM 20 mit meiner Mutter verabredet war und sie danach sofort zu KM 17 eilen musste, wollte ich sie nicht allzu lange auf mich warten lassen. Die roten Ballons immer noch in Blickweite, motivierte ich mich zu einer 04:18 min bei KM 19 und einer 04:29 min bei KM 20. Schön sahen diese Zeiten nicht aus, aber ich konnte nicht schneller. Meine Oberschenkel wurden gleichzeitig immer härter und streikten bei jedem Schritt. So nutzte ich das kurze Treffen mit meiner Mutter am rechten Streckenrand, um mich etwas zu dehnen. Ihre erste Reaktion war: „Die 3-Stunden-Ballons sind vor dir, schau mal, da drüben.“ Dabei zeigte sie auf die enteilende Läufergruppe. „Ich weiß, aber ich bin k.o.“ war meine Antwort. Sie wünschte mir, dass es mir später wieder besser gehe und gab mir noch ein paar motivierende Worte mit auf den Weg. Danach quälte ich mich alleine weiter.
Nach dem vorerst langsamsten Kilometer (KM 21 in 05:04 min) erreichte ich die Halbmarathonmarke nach 01:31:49 Stunden. Weiter Richtung Südosten laufend ging’s zwischen KM 23 und KM 24 in München-Berg am Laim durch eine Unterführung der dortigen Eisenbahnschienen. Auf der südlichen Seite der Münchner S-Bahn-Stammstrecke hat der Mann mit dem Hammer den Nagel (also mich) wieder auf den Kopf getroffen: KM 25 in 05:21 min. Schlimmer geht immer! Aber dennoch tut es auch innerlich weh, wenn man so früh in einem Marathon ein zweites Mal stehen bleiben muss. Die an mir vorbeilaufenden Sportler habe ich kaum noch wahrgenommen, meine Beine waren schon so sehr verkrampft, dass es eigentlich einen übergeordneten Begriff für ‚Schmerz‘ geben sollte, und auch sonst weiß ich kaum noch etwas von den äußeren Gegebenheiten. Leider.
Nach erneuter Unterquerung der Schienen bei KM 27 und der darauffolgenden Überquerung der Isar über die Ludwigsbrücke vorbei am Deutschen Museum, passierten wir den Gärtnerplatz über die Corneliusstraße und erreichten dann bei KM 30 das Highlight: den Marienplatz! Hier herrschte eine bombastische Stimmung, es war laut, Musik, Applaus und Anfeuerungsrufe überall. Ich konnte und wollte hier nicht langsam laufen und so gelang es mir ein letztes Mal, den Kilometer zwischen KM 30 und KM 31 in „schnellen“ 04:40 min zu laufen. Generell versuchte ich nun seit meiner zweiten Gehpause möglichst ohne weitere Pausen durchzulaufen. Das Tempo wollte ich mindestens unter 05:00 min/km drücken, was bis auf zwei Ausnahmen klappte (KM 33 in 05:03 min, KM 36 in 05:07 min). Mir war alles sch***egal, Hauptsache solide ins Ziel kommen!
Zwischen KM 33 und 36 ging es noch über eine Extra-Schleife durch Maxvorstadt und an der Technischen Universität vorbei, bevor wir links abbogen und bei KM 37 (04:56 min) wieder am Siegestor vorbeiliefen. Von nun an befanden wir uns auf demselben Streckenverlauf wie ganz zu Beginn auf den ersten vier Kilometern. Das Ziel konnte man förmlich riechen und trotzdem erwischte es mich ein drittes Mal – diesmal am heftigsten. Kurz vor KM 38 musste ich an einer Bushaltestelle pausieren, ich lehnte mich an die Glaswand und dehnte meine beiden Beine. Einfach nur stehen zu bleiben hat sich für meinen Körper wundervoll angefühlt; für meinen Kopf und mein Herz war es schmerzhafter als alle Krämpfe zusammen. Noch schlimmer wurden die Qualen, als mich genau in diesem Moment die große Läufergruppe um die 03:15-Stunden-Ballons einholte und leider auch überholte. So kurz vor dem Ziel schienen selbst 03:15:00 Stunden unmöglich für mich. Für eine Sekunde dachte ich daran, mich an diese Truppe heften zu können, aber weit gefehlt. KM 39 in 05:04 min und KM 40 in 05:03 min zerstörten alle Illusionen. Selbst KM 41 (04:54 min), der bereits in den Olympiapark hineinführte war hierfür zu langsam.
03:00 Std. sind futsch. 03:15 Std. sind ebenfalls futsch! Was bleibt mir noch? BÄM! Meine Debüt-Zeit von vor 3 Jahren (03:18:55 Std.) war die allerletzte Barriere, die mir einfiel. „Diese Zeit muss ich einfach unterbieten. München soll nicht mein langsamster Marathon werden. Der Zweitlangsamste ist okay, aber das bedeutete nochmals beißen!“
Der letzte ganze Kilometer durch die grüne Oase, die sich Olympiapark nennt, wurde nochmals flott (04:39 min) und ich konnte vereinzelt ein paar Leute überholen. Ein schönes Gefühl, das ich schon den ganzen Tag vermisst habe. Über die Brücke, links um das Olympiastadion von 1972 herum, durch den Nordtunnel hinein auf die Bahn, 300 Meter noch! Das atemberaubende Stadion entlockte mir trotz aller Schmerzen eine Gänsehaut. Mein kürzlich neu formuliertes Ziel war kein Problem, Genießen angesagt, soweit es möglich war. Schlusssprint oder nicht? – Natürlich doch! Letzte Kurve! Meine Mutter müsste irgendwo links auf der Tribüne sitzen und filmen. Also Winken angesagt. Wieder nach vorne schauen und durchs Ziel laufen. Endlich. Endlich … endlich … endlich!
Nachher
Endlich im Ziel. Nach endlos erscheinenden 03:16:24 Std. Noch nie zuvor habe ich mich über eine so lange Distanz gequält. Zwischen KM 15 und KM 42 war es eine reine Tortur. Aber auch das muss man mal erlebt haben. Direkt hinter der Ziellinie verkrampften meine Beine noch mehr – ist noch mehr überhaupt möglich?
Ich freute mich auf das alkoholfreie Bier und die Brezn, die es an den „sehr weit entfernten“ Versorgungstischen zu Genüge gab. Dort wartete ich – bereits mit einer schönen Finisher-Medaille geschmückt und in Wärmefolie gehüllt – auf meinen Vater, dem es hoffentlich besser erging als mir. Mal setzte ich mich auf den Kunstrasen, mal stand ich an der Absperrung zur Strecke. Dort sah ich unter anderem, wie Sören Kah als Halbmarathon-Sieger (01:04:42 Std.) und Ingalena Heuck als entsprechende Siegerin (01:21:35 Std.) einliefen.
Nach etwas mehr als 4 Stunden und 20 Minuten erschien mein Vater auf der Gegengeraden und ich feuerte ihn nochmal auf seinen letzten Metern an. Besonders gespannt war ich auf seine Umstände, denn auch er hatte ursprünglich mit einer Zeit von knapp unter 4 Stunden gerechnet. Wie sich herausstellte, kam bei ihm der Mann mit dem Hammer exakt 10 km vor dem Ziel. Er zwang ihn sogar zu Kilometerzeiten jenseits von 07:00 min, was selbst für einen Langstreckenläufer ganz schon bitter sein kann. Trotzdem war er stolz auf sich – und ich bin es immer noch -, dass er nach 04:20:06 Stunden seinen ersten Marathon gefinisht hat. Gratuliere!
Als wir die lange Rampe und die Treppenstufen hinaus aus dem Stadion gemeistert haben, ging es zu unseren Kleiderbeuteln, wo meine Mutter und ich meinem Vater ein kleines Geschenk zur Feier seines Marathon-Debüts überreichten: ein individuell gestaltetes Bierglas mit einem Bild von ihm und dem Datum des 27. München Marathons.
Nachdem wir wieder zurück zu meiner WG gefahren sind, bestellten wir uns um kurz vor 19.00 Uhr drei extrem leckere Pizzen bei Call-a-Pizza. Dass sie uns so unheimlich gut schmeckten, lag wohl nicht einzig an der Qualität der Pizzen, sondern auch an der heute erbrachten Leistung. Dazu ein leckeres Bierchen und die Belohnung war perfekt! Etwas später am Abend konnten wir noch live im Internet verfolgen, wie der Österreicher Felix Baumgartner seinen Rekordsprung aus der Stratosphäre (38.969 Meter Höhe) vollbrachte und dabei auf eine Geschwindigkeit von 1357,6 km/h (schneller als Schallgeschwindigkeit) gekommen ist. Einen Marathon hätte man damit in einer Zeit von 1 Minute und 52 Sekunden absolvieren können!!!
Danach verabschiedete ich bereits meine Eltern, da sie für ihren langen Heimweg eine Nachtverbindung mit der Bahn ausgewählt haben. Die Armen hatten außerdem 2-3 Umstiege vor sich, während ich todmüde ins Bett gefallen bin und die ganze Nacht durchgeschlafen habe.
Zahlen & Fakten
Distanz
Gelaufene Zeit (Netto)
Gelaufene Zeit (Brutto)
Altersklasse
AK-Platzierung
Platzierung (Männer)
Gesamtplatzierung
42,195 km
03:16:24 Std.
03:16:37 Std.
Männl. Hauptklasse (83-92)
105. von 673 (15,6 %)
682. von 4923 (13,9 %)
727. von 6083 (12,0 %)