8. Steinhart500 Steinfurt
10.11.2019
Vorher
Am 15. August erhielt ich eine freundliche E-Mail von der Vorsitzenden des Vereins TB Burgsteinfurt, also der Veranstalterin des Steinhart500 Marathons in Steinfurt. Aus der E-Mail ging hervor,
dass ich als Vorjahressieger mittels Freistart eingeladen werde, meinen Titel aus 2018 zu verteidigen. Ohne lange zu überlegen
schaute ich in meinen Laufkalender und entdeckte tatsächlich noch eine Lücke, sodass meine Anmeldung bereits vier Tage später rausging.
Noch machte ich mir keine allzu vielen Gedanken über die bevorstehenden vier Runden mit insgesamt 56 km, 666 Höhenmetern und wahrscheinlich herbstlich-kalten Wetterbedingungen. Der Vorteil an
dieser Veranstaltung, die vor dem Schloss in Burgsteinfurt stattfindet, ist die Flexibilität in der spontanen Streckenwahl. Wer sich für die vier Runden gemeldet hat, darf bereits nach zwei oder
drei Runden in den Zielkanal einbiegen und kommt dennoch in die offizielle Wertung über die kürzere Distanz (28 km oder 42 km). Ob ich also erneut die volle Ultradistanz zurücklegen werde oder
mich „nur“ mit einem einfachen Marathon begnüge, wollte ich somit kurzfristig entscheiden.
Die Vorbereitung verlief eher schlecht als recht. Ein stressiger Umzug von Hamburg nach Melle Mitte September verhinderte ein entspanntes und vor allem geregeltes Laufen. Anschließend folgten
Anfang Oktober zwar einige Trainingsläufe an wunderschönen Orten Australiens, woraufhin am 13.10. ein erfolgreicher Melbourne
Marathon möglich war, doch die großen Laufumfänge für einen Ultra waren das noch nicht. Notgedrungen schob ich somit noch zwei Trainingsmarathons in Münster dazwischen (am 31.10. und am 03.11.), sodass ich mich zumindest halbwegs vorbereitet
fühlte.
Die letzte Woche vor dem Lauf in Steinfurt verbrachte ich weitgehend stressfrei und mit etwas längeren Nächten, als in den Wochen zuvor. Am Freitag nach der Arbeit wurden im IKEA noch einige
Meter abgespult, bevor am Samstag ein Familientag in Bielefeld mit Brunch und Schwarzlicht-Minigolf folgte. Dieser endet im Restaurant Indikitchen bei einem reichhaltigen
Buffet, das mir als Kohlenhydratquelle Reis statt Pasta bot. Ich machte mir drei ganze Teller voll und gönnte mir zudem einen salzigen Lassi. Das müsste für 56 km reichen.
Gegen 23 Uhr sind wir im Elternhaus meiner Freundin in Laggenbeck angekommen, von wo aus ich am Folgetag nur eine Dreiviertelstunde Fahrt vor mir hatte. Der Wecker klingelte mich am Sonntagmorgen
um kurz nach 7 Uhr wach und um 8 Uhr stand ich bereits draußen und kratzte mein Auto. Tatsächlich ist die Temperatur nachts unter den Gefrierpunkt gefallen, obwohl für heute ein sehr sonniger Tag
angekündigt war.
Während der Fahrt frühstückte ich ein Käsebrot und eine Banane, bevor ich wie geplant um kurz vor 9 Uhr am Schloss in Burgsteinfurt angekommen und einen etwa 300 m entfernten Parkplatz ergattert
habe.
Bei Sonnenschein und knackigen 2°C fiel meine heutige Klamottenentscheidung selbstverständlich zugunsten „lang-lang“ aus, dazu Handschuhe und ein dünnes Stirnband. Als die Startnummer im warmen Veranstaltungszelt abgeholt war, ging ich auf dem Rückweg zum Auto an der Sporthalle und den dortigen, rar gesäten Toiletten vorbei. Zum Glück erwischte ich eine ohne Warteschlange, sodass ich danach noch etwas Zeit zum Warmlaufen und Schuhe schnüren hatte.
Gut 15 min vor dem Start schloss ich das Auto ab und lief in Wettkampfmontur erneut zum Veranstaltungszelt, wo ich mich bis 2 min vor dem Start warmhalten konnte. Kurz vor 9:30 Uhr entdeckte ich noch ein paar Kollegen, die im Vorjahr ebenfalls am Start waren. Es gab auch Läufer, die mich erkannten und grüßten, die ich wiederum nicht kannte. Hoffentlich sah man mir die Ahnungslosigkeit nicht an.
Zehn Sekunden vor dem Startschuss zählte eine Moderatorin laut runter und wir zählten laut mit. Dann ging die Reise los durch den Bagno-Buchenberg-Wald.
Der Lauf
Während gut zehn Läufer im hohen Tempo davonflitzten, sortierte ich mich hinter einem Marathon- und einem Ultramarathon-Läufer ein. Den Unterschied zeigten die farbigen Startnummern auf:
Marathonis trugen eine blaue, die Ultras eine hellgrüne Nummer.
Mein heutiger Wunsch ist es, möglichst gleichmäßig durchzulaufen und über 56 km auf einem Treppchenplatz zu landen. Dass beide Wünsche nicht in Erfüllung gehen sollten, ahnte ich zu dem frühen
Zeitpunkt noch nicht.
Nach wenigen hundert Metern durch eine grüne Parkanlage verschwanden wir im Buchenwald, den wir heute nur selten wieder verlassen würden. Nach einigen gepflasterten Wegen folgte bald gut zu
laufender Waldboden, der anfangs nur wenige leichte Hügel aufwies. Bis einschließlich KM 3 galt es, das Wohlfühltempo zu finden, das sich etwa bei 04:13 min/km einpendelte. Die lange Gerade
zwischen KM 1,5 und 3 lag somit schnell hinter uns und der spannendere Teil fing an.
Nach einem kleinen An- und Abstieg erreichten wir die erste große Verpflegungsstation, die an dieser Stelle zweimal angelaufen wurde. Noch griff ich nicht zum Wasserbecher. Als nächstes erwartete
uns ein kurzer Anstieg über die breite Burgsteinfurter Straße, die eigens für uns Läufer an dieser Stelle für Autos gesperrt war (KM 4 in 04:18 min). Es folgte ein Trail-Bergab-Stück, das ich aus
dem Vorjahr noch sehr gut kannte. Während ich hier 2018 jeweils Vollgas gegeben hatte, musste ich mich heute mit 04:11 min für KM
5 zufriedengeben. Meine Beine waren deutlich schwerer, als sonst.
Doch die beiden Männer, mit denen ich mittlerweile gut ins Gespräch gekommen bin, motivierten mich dranzubleiben. Die nächsten 1,5 km verliefen zunächst durch eine Siedlung und dann über einen
asphaltierten Wirtschaftsweg, der uns vorbei am zweiten Getränkestand direkt zum Bagno-Buchenberg führte. Der eigentliche Gegner des Tages würde mir wieder viel abverlangen, besonders bei so
schweren Beinen.
Das leicht ansteigende Auftaktstück über eine große Wiese mündete in einen steilen, mit Laub bedeckten Anstieg, der einen beinahe zum Gehen zwang (KM 7 in 04:31 min). Oben angekommen hatte man
ganz kurz einen schönen Ausblick über die Umgebung, bevor die Konzentration wieder dem unwegsamen Abstieg galt (KM 8 in 04:14 min).
Vorbei an einigen scharfen Kurven und zwei-drei Streckenposten waren wir bald wieder an der großen zentralen Verpflegungsstation angekommen. Das Tempo lag im guten Bereich, war allerdings nicht
leicht zu halten. Ab und zu ergab sich zwischen uns Vieren (zwischenzeitlich hat ein 28-km-Läufer aufgeschlossen) eine Lücke, die aber schnell wieder zugelaufen werden konnte.
Als es langsam aber sicher wieder in Richtung des Veranstaltungsgeländes ging, gab es noch zwei Abschnitte, die uns Läufer ein wenig ärgern sollten.
Der erste war ein Wendepunkt-Abschnitt, der stramm bergauf und dann wieder hinab führte. Dieser schien nötig zu sein, um auf die erforderliche Rundenlänge zu kommen. Der zweite Abschnitt folgte
auf den letzten 2 km einer jeden Runde, als es nochmal einen zusätzlichen Schlenker an einigen Golfplätzen vorbei zu laufen gab. Der kürzeste Weg zum Start-Ziel-Bereich hätte nur wenige hundert
Meter betragen, da die Moderation und Musik gut hörbar waren. Was soll’s? Wir waren nun mal hier, um mindestens Marathon zu laufen und keinen kurzen Volkslauf.
Dank des guten Wetters waren entlang der Strecke immer mal wieder Passanten, die applaudierten und uns motivierende Worte mit auf dem Weg gaben. So beendete ich die erste Runde recht zufrieden
nach knapp 59 Minuten, was meiner Wunsch-Rundenzeit entsprach.
Mit Beginn der zweiten Runde waren wir nur noch zu zweit unterwegs, da die beiden Männer der kürzeren Distanz ein wenig an Tempo zulegten. Wir hingegen merkten recht bald, dass unser Schnitt
langsamer wurde und wir mittlerweile bei etwa 04:28 min/km auf den ersten fünf Kilometern der Runde ankamen (zwischen 04:22 min und 04:42 min/km). Ich ahnte bereits, dass ich der Anker war, der
uns so langsam machte. An dem langgezogenen Anstieg kurz vor der Rundenhälfte war ich schließlich so platt, dass ich die letzten Schritte zum Gipfel stramm gehen musste. Mein Konkurrent lief
unterdessen weiter, drehte sich – oben angekommen – noch einmal nach mir um und motivierte mich mit einem Winken zum Weiterlaufen. Puuh, ob ich die Lücke wieder schließen konnte, wagte ich zu
bezweifeln (KM 21 in 05:11 min).
Für mich stand nun fest, dass ich heute maximal drei Runden und somit „nur“ den normalen Marathon beenden würde. Für einen Ultramarathon dieser Art fehlte mir heute einfach die Kraft und
Motivation. Sch***ade!
Selbst der folgende Bergab-Kilometer KM 22 in schnellen 04:17 min entfachte in mir kein neues Feuer, sodass mir nichts weiter übrigblieb, als die schöne herbstliche Umgebung zu genießen und ein
schweres Bein vor das andere zu setzen. 20 Kilometer noch!
Die zweite Rundenhälfte führte mich wieder über leicht wellige Wald- und Parkwege vorbei an großen Golfplätzen und ein paar applaudierenden Passanten. Vereinzelt überholten mich Läufer, die in Kürze im Ziel ihres 28-km-Laufs waren. Dennoch rechnete ich damit, dass mich zum Ende meines Rennens auch ein paar Marathonis überholt haben werden. Meine Kilometerzeiten pendelten sich bei 04:46 min bis 05:01 min/km ein, was in Anbetracht des frühen Zeitpunkts echt demotivierend war.
Als ich am Anfang der langen Allee knapp 500 Meter vor dem Ziel angekommen war, sah ich in der Ferne meinen Ultramarathon-Konkurrenten, der mit entsprechendem Vorsprung bereits in Runde 3 und auf
dem Weg zu einem ungefährdeten Sieg war. Ich hingegen ließ mich immer weiter zurückfallen. Die zweite Runde beendete ich nach knapp 01:03 Std. und damit gut vier Minuten langsamer, als die
erste.
Wie schon nach der ersten Runde schnappte ich mir an dem Getränkestand in Start-Ziel-Nähe einen Becher Wasser und ein Energie-Gel von Powerbar, das uns von freundlichen Helfern gereicht wurde.
Das recht flüssige Gel kippte ich mit drei-vier Schlucken weg und entsorgte den Beutel ordnungsgemäß in einem Mülleimer im Wald. Auf die paar Sekunden Umweg kam es nicht mehr an.
Die folgenden 6 km bis zum gefürchteten Anstieg lief ich in einem durchschnittlichen Tempo von 05:14 min/km, wobei nur ein einziger Bergab-Kilometer eine „4“ vorne aufwies (KM 33 in 04:54 min).
Mit verhärteten Muskeln, schmerzenden Knien und müden Augen schleppte ich mich ein letztes Mal über die wunderschöne Strecke, die ich heute leider so gar nicht genießen konnte. Den Gipfel
erreichte ich schließlich – teilweise gehend – bei KM 35 (in 05:58 min) und merkte schnell, dass ich mich gleich irgendwo dehnen musste. Die Muskelfasern flehten förmlich danach, wieder etwas in
die Länge gezogen zu werden.
Doch zunächst nutzte ich das Bergab-Stück über laubübersäte Waldwege, um wieder in Fahrt zu kommen (KM 36 in 05:15 min). Endlich war es nicht mehr weit und ich freute mich schon wieder auf die
große Verpflegungsstation auf der Burgsteinfurter Straße, wo mit Sicherheit ein Becher Cola auf mich wartete.
Bei KM 37 legte ich nun endlich die längst benötigte Dehnpause ein und suchte mir hierfür einen geeigneten Baum in Streckennähe. Natürlich brauchte ich bei diesem Ambiente nicht lange suchen,
sodass sich die Waden nach wenigen Augenblicken wieder etwas lockerer anfühlten (KM 37 in 05:47 min).
Von da an hatte ich nur noch fünf Kilometer vor mir, die ich nach Möglichkeit flotter als die vorherigen fünf laufen wollte. Vielleicht gelingt mir sogar ein Steigerungslauf, dachte ich mir, und
legte mit KM 38 (in 05:10 min) direkt mal los. Mit der Nähe zum Schloss nahm auch wieder die Zuschauerzahl zu, sodass ich alle paar hundert Meter hörte, dass ich noch locker aussehe. Na toll,
wäre schön, wenn es denn stimmen würde!
Trotz der kurzen Wendepunkt-Passage inklusiv Auf- und Abstieg konnte ich endlich mal wieder einen Kilometer unter der 5-min-Marke verbuchen (KM 39 in 04:58 min). Nach der Unterführung der
Bundesstraße B54 ging es flott weiter in nordwestliche Richtung. Wald wechselte sich mit Parkanlagen, Teichen und Golfplätzen ab, während ich in ordentlichem Tempo weiter voran preschte (KM 40 in
04:32 min). Was mich nun wieder so schnell machte, weiß ich allerding nicht. Vielleicht war es die Angst davor, auf den letzten Metern doch noch einmal überholt zu werden.
Auch KM 41, der durch die schöne Allee kurz vor dem Ziel führte, absolvierte ich schneller, als den vorherigen Kilometer (in 04:23 min). Aufgrund einiger Ungenauigkeiten meiner GPS-Uhr, was im
Wald gerne mal vorkommt, zeigte diese im Ziel eine Distanz von knapp 41,4 km an. Ich wunderte mich nicht darüber und genoss das Einbiegen in den rechten Zielkanal. Zuvor bin ich zweimal links
abgebogen.
Ohne allzu viel Euphorie bemerkte ich, wie die dritte Runde fast 01:12 Std. gedauert hat und damit neun Minuten langsamer war, als die vorherige. Abhaken, Patrick! Auch die Gesamtzeit von
03:13:36 Std. enttäuschte mich, zumal ich im letzten Jahr über 22 Minuten schneller war und noch eine vierte Runde drangehängt hatte.
Egal, schnell vergessen!
Nachher
Im Zielbereich nahm ich ein besonderes Finisher-Geschenk entgegen: einen Ziegelstein! In der Läuferszene ist das meines Wissens einmalig. Doch in diesem Jahr konnte ich mich weniger darüber freuen, als beim letzten Mal, als ich für den Gesamtsieg zusätzlich einen goldenen Stein in Empfang nehmen durfte. Diese Finisher-Steine sind mit dem Event-Logo und dem aktuellen Jahr graviert worden und ergeben im Gegensatz zu Medaillen oder Pokalen einen sehr außergewöhnlichen Staubfänger.
Als mir der Drittplatzierte des Marathons zum Gratulieren entgegenkam, spekulierten wir über meine finale Platzierung. Es müsste der 4. oder 5. Platz sein, dachten wir uns. Als er jedoch beim
Aufruf zur 28-km-Siegerehrung einen Namen vernahm, den er auf der Liste der Marathonfinisher erwartet hatte, vermuteten wir, dass ich mit viel Glück doch noch Dritter geworden sein könnte.
Mit zwei Bechern warmen Eistee im Bauch und einer Flasche alkoholfreiem Bier in der Hand humpelte ich zunächst zu dem Zeitmess-Team neben der Strecke, um mir meine tatsächliche Gesamtplatzierung
zu erfragen. Die Verantwortlichen wussten zwar, mit welcher Zeit ich ins Ziel gekommen bin, jedoch hatten sie keinen Einblick ins Ranking und schickten mich zu den Profis im Veranstaltungszelt.
Dort angekommen sagten mir die Zeitnehmer, ich sei Gesamtfünfter, was mir einiges an Wartezeit bis zur Siegerehrung ersparte. [Nachtrag: Laut Online-Ergebnisliste bin ich doch Vierter geworden,
was an meiner Entscheidung, früher zu fahren, eh nichts geändert hätte.]
Und so wanderte ich mit meinem Ziegelstein unterm Arm zurück zum Auto, wo trockene und warme Klamotten auf mich warteten. Von dort fuhr ich zu meinen Eltern nach Hopsten, um ein-zwei
organisatorischen Dinge zu erledigen. Unter anderem mussten endlich die Winterreifen aufgezogen werden, was mit müden Marathonbeinen sicher nicht ganz einfach werden würde. Aber was muss, das
muss!
Insgesamt möchte ich diese wirklich sehr schöne Veranstaltung für mich persönlich abhaken und erst dann wiederkehren, wenn ich mich irgendwann richtig fit fühle. Allen anderen empfehle ich
wärmstens, einmal mitzulaufen – und das nicht nur wegen des Ziegelsteins. Es lohnt sich!
Zahlen & Fakten
Distanz
Gelaufene Zeit (Netto)
Gelaufene Zeit (Brutto)
Altersklasse
AK-Platzierung
Platzierung (Männer)
Gesamtplatzierung
42,195 km
03:13:36 Std.
03:13:36 Std.
Männl. Hauptklasse (90-99)
1. von 6
4. von 102 (3,9 %)
4. von 129 (3,1 %)